Damaskus - Orientalische Stadt im Wandel

Asien - Naher und Mittlerer Osten - Siedlungsentwicklung
978-3-14-100803-6 | Seite 180 | Abb. 2| Maßstab 1 : 25000

Überblick

Die syrische Hauptstadt Damaskus gilt als älteste durchgängig bewohnte Stadt der Welt. Ihre Ursprünge gehen bis ins 5. vorchristliche Jahrtausend zurück. Entscheidend für ihre Entstehung und Entwicklung war die Lage am Baradafluss, der nordwestlich von Damaskus das Qasyungebirge verlässt und die östlich von Damaskus gelegene Oase Ghuta bewässert; auf der Karte ist der Flussverlauf nördlich der Altstadt zu sehen. Das antike Erbe lässt sich bis heute an einigen Stellen in der Altstadt und in der teilweise noch sichtbaren rechtwinkligen Grundrissform der größeren Durchgangsstraßen im Zentrum erkennen. Größere Bedeutung erlangte die Stadt als Hauptstadt der Umayyaden-Dynastie (661–750), deren Reich sich von der Iberischen Halbinsel bis an den Indus erstreckte. Vom 16. Jahrhundert bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Stadt und das gesamte Land Teil des Osmanischen Reiches, 1920 wurde Syrien zum französischen Mandatsgebiet, bis das Land 1946 seine uneingeschränkte Autonomie erlangte.

Altstadt und Bevölkerungsentwicklung

Auf der Karte gut zu erkennen sind die charakteristische Hauptmoschee (Umayyaden-Moschee), der Souk (das traditionelle Geschäftszentrum), die Zitadelle am Rand der Altstadt, der charakteristische unregelmäßige Verlauf der Straßen mit vielen Sackgassen und die Aufteilung der Wohnquartiere nach Religionen. Das Altstadtviertel Bab Touma war das christliche Viertel, der zugehörige christliche Friedhof lag im Südosten vor den Mauern der Stadt.

Im Unterschied zum Modell der traditionellen orientalischen Stadt, das Dettmann (1969) ausschließlich auf die Altstadt bezogen hatte, war Damaskus schon in osmanischer Zeit über seine Mauern hinausgewachsen. Auf der Karte lässt sich dies daran erkennen, dass auch Viertel wie Bab al-Djabiya und Amaara Barraniyah den gleichen Grundriss wie die Altstadt aufweisen.

Seit der Unabhängigkeit Syriens hat sich die Hauptstadt Damaskus infolge eines rasanten Bevölkerungswachstums äußerst dynamisch entwickelt. Bereits bis Mitte der 1960er-Jahre hatte sich die Einwohnerzahl auf 600 000 verdoppelt, eine Volkszählung 1981 ergab 1,1 Mio. Einwohnern in der Stadt selbst; in der Stadtregion mit Umland waren es rund 2 Mio. Menschen. Im Jahr 2010 lebten in Damaskus offiziell 1,8 Mio. Einwohner (davon rund 130 000 in der Altstadt; Stadtregion mit Umland insgesamt 2,8 Mio). Die tatsächlichen Einwohnerzahlen von Damaskus werden schon seit Mitte der 1980er-Jahre wesentlich höher geschätzt. Genaue Aussagen zur Gegenwart sind angesichts des Bürgerkriegs in Syrien nicht möglich (s. u.).

2010 lebten in Damaskus mehr als 80 Prozent Muslime und 15 Prozent Christen; Juden haben nur einen relativ geringen Anteil.

In der Altstadt leben heute knapp dreimal so viele Menschen wie 1946; auch die Struktur der Bevölkerung veränderte sich grundlegend. Bis in die 1970er-Jahre zogen Familien, die sich einen Umzug in eine komfortable Neubauwohnung leisten konnten, aus der Altstadt fort; Christen bevorzugten dabei die nordöstlich an die Altstadt angrenzenden Viertel Al-Qassa’a und Al-Koussour, muslimische Familien die nördlich und westlich gelegenen modernen Wohnviertel. In die frei gewordenen Altstadthäuser zogen Zuwanderer aus ländlichen Siedlungen, deren Familien in der Regel größer waren und die über deutlich geringere Einkommen verfügten als die Weggezogenen. In der Folge kam es zu Abrissen, Modernisierungen und Neubauten in der Altstadt, die das historische Erbe bedrohten.

Veränderungen in der Altstadt

Die Altstadt wurde 1979 zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt. Dennoch fanden bis in die 1980er-Jahre hinein weitere Modernisierungen und Abrisse statt. So wurden beispielsweise die Umayyaden-Moschee und der Eingang zum Souk al-Hamidiya freigelegt, indem man angrenzende Läden beseitigte, Straßen verbreiterte und Plätze erweiterte.

Allerdings war schon die Altstadt von Damaskus mit der Bausubstanz, die sie Mitte des 20. Jahrhunderts aufwies, nicht überall historisch. Die überdachte Einkaufsstraße Souk al-Hamidiya war erst in den 1880er-Jahren errichtet worden. Die zweite Achse des Geschäftsviertels der Altstadt, der Souk Madhat Basha, wurde in dieser Zeit für Fahrzeuge verbreitert. Auch viele Bauwerke, die in spätosmanischer Zeit um den Al-Merjeh-Platz und entlang der An-Nasr-Straße entstanden, entsprachen nicht dem originalen Damaszener oder osmanischen Stil: Der Hejaz-Bahnhof und zahlreiche andere öffentliche Gebäude dieser Epoche wurden von europäischen Architekten gebaut.

Stadterweiterungen seit 1946

Die enormen Stadterweiterungen nach der Unabhängigkeit Syriens 1946 erfolgten in einem mediterran-europäischen Stil, was dem modernen Damaskus einen relativ einheitlichen, aber unspezifischen Charakter verleiht. Auch das moderne Geschäftszentrum wurde im Wesentlichen nach der Unabhängigkeit erweitert und dehnte sich sukzessive vom Al-Merjeh-Platz und von der Salhiye-Straße, die nach europäischem Vorbild in ihrem mittleren Bereich in eine Fußgängerzone umgewandelt wurde, Richtung Westen aus.

Zahlreiche Einrichtungen zeigen die Hauptstadtfunktion von Damaskus, zum Beispiel die Zentralbank, das Parlament, das Botschaftsviertel, große Museen und die Zentrale der regierenden Baath-Partei.

Der weitaus größte Teil der Bevölkerung der Metropole lebt heute in modernen Stadtvierteln und arbeitet in den Büros der modernen Geschäftsviertel. Für diese Bewohner von Damaskus spielt die traditionelle Altstadt im Alltag kaum noch eine Rolle. Der Versorgung mit Waren und Dienstleistungen dienen Geschäfte, Boutiquen, Konditoreien, Reiseagenturen u. a. in den modernen Geschäftsvierteln.

Die im Souk angebotenen Waren – überwiegend Kleidung und Stoffe, Haushaltswaren sowie Schmuck, Gewürze und Souvenirs – zielen auf die Bewohner der Altstadt selbst, auf ein ländliches Publikum und internationale Touristen. (Als Folge der Syrienkrise ist allerdings der Tourismus praktisch zum Erliegen gekommen.)

Entwicklungen der Gegenwart

Die traditionellen Elemente orientalischer Städte wurden in Damaskus in den letzten Jahrzehnten immer stärker zurückgedrängt und sind inzwischen nur noch in der Altstadt und in wenigen Bereichen der an sie angrenzenden Stadtviertel zu finden. Im Bewusstsein der Menschen spielen diese wenigen Relikte jedoch inzwischen eine größere Rolle denn je. Die Verdrängung des Ursprünglichen und Originären wird nach der Modernisierungseuphorie in den ersten Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit Syriens von Teilen der Bevölkerung inzwischen kritisch gesehen und als Kultur- und Identitätsverlust empfunden.

Ab 2011 kam es in Syrien zu Protesten und bewaffneten Aufständen gegen die Regierung, die schließlich in einen anhaltenden Bürgerkrieg mündeten. In vielen Teilen Syriens ist die staatliche Herrschaft zusammengebrochen, die Macht haben unterschiedliche Milizen übernommen. Mehr als 160 000 Menschen kamen ums Leben, rund drei Millionen Menschen haben das Land verlassen, rund neun Millionen Menschen sind innerhalb Syriens auf der Flucht. Auch in Damaskus kam es zu Kämpfen, vor allem in den Vororten. Die Karte zeigt außerdem Orte von Rebellen-Anschlägen auf staatliche Einrichtungen. Im Vergleich zu anderen Städten und Regionen Syriens, zum Beispiel Aleppo, blieb die Situation in Damaskus – Machzentrum der regierenden Baath-Partei und des syrischen Staats – aber stabiler.

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