Überblick
Nach dem Ersten Weltkrieg wurden viele europäische Grenzen neu gezogen. Die Kämpfe hatten in den vier Kaiserreichen Deutschland, Österreich-Ungarn, Russland und dem Osmanischen Reich zum Sturz der Monarchien geführt. Es gelang in den folgenden Jahren jedoch nicht, zwischen den älteren Nationalstaaten und den neuen Republiken eine stabile politische Ordnung zu schaffen. Einerseits schwelten verschiedene Territorialkonflikte, andererseits waren die Grenzen in einigen Ländern wie dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen relativ willkürlich und ohne Rücksicht auf dort lebende Nationalitäten und Ethnien gezogen worden.
Territoriale Veränderungen
Das Deutsche Reich musste nach Kriegsende die in dem Versailler Vertrag ultimativ geforderten Gebietsabtretungen hinnehmen, durch die das Land mehr als 6 Mio. Einwohner und bedeutende Territorien verlor. Durch die Entstehung des „Polnischen Korridors“ wurde Ostpreußen auf dem Landweg vom Reich abgetrennt, Elsass-Lothringen ging an Frankreich, das Hultschiner Ländchen an die Tschechoslowakei, Danzig wurde dem Schutz des Völkerbunds unterstellt. Überdies gab es die Abstimmungsgebiete (Nordschleswig, Oberschlesien, Teile West- und Ostpreußens, Eupen-Malmedy und das Saargebiet), in denen die Bevölkerung über ihre zukünftige nationale Zugehörigkeit selbst entscheiden sollte. Das österreichisch-ungarische Kaiserreich zerfiel; auf dem Gebiet der Habsburgermonarchie konstituierten sich die Nachfolgestaaten Österreich, Ungarn und die Tschechoslowakei; andere Teile des Territoriums fielen an Italien, Polen, Rumänien und an das 1918 proklamierte Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen.
Im Russischen Reich war es 1917 zur Revolution gekommen. 1918 wurde das Land zur Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik, die sich in den anschließenden Bürgerkriegen durchsetzen konnte, aber Gebietseinbußen hinnehmen musste. Weißrussland und die Ukraine, die sich zu Beginnder russischen Revolution unabhängig gemacht hatten, waren nach dem sowjetisch-polnischen Krieg von 1920 zwischen der UdSSR und Polen aufgeteilt worden. In Polen, seit dem Wiener Kongress ein in Personalunion mit Russland verbundenes Königreich, war 1918 die Republik ausgerufen worden. Auch die ehemals russisch-baltischen Provinzen Estland, Lettland und Litauen hatten sich 1918 zu unabhängigen Staaten erklärt. Finnland hatte 1917 seine Unabhängigkeit proklamiert und war seit 1919 Republik.
Während die Grenzen von Portugal und Spanien nach dem Ersten Weltkrieg unverändert blieben, konnte Italien im Norden und Osten kleinere Gebiete hinzugewinnen. Die Türkei hatte sich 1923 unter Kemal Atatürk im Frieden von Lausanne jenes Staatsgebiet gesichert, welches dem heutigen in etwa entspricht. In Irland war 1916 die unabhängige Irische Republik ausgerufen worden, die 1921, nach der Abtretung der Provinz Ulster (Nordirland) an Großbritannien, zum Freistaat wurde. Island wurde 1918 zu einem in Personalunion mit Dänemark verbundenen, selbstständigen Königreich.
Im Jahre 1936 hatte das Deutsche Reich mit der Besetzung der entmilitarisierten Rheinlande zunächst die Locarno-Verträge gebrochen, in denen sich 1925 die europäischen Nationen, nicht zuletzt durch das Engagement des deutschen Außenministers Stresemann, ihre territoriale Integrität garantiert hatten. Der Einmarsch in Österreich im Jahre 1938 und die von England und Frankreich auf der Konferenz von München gebilligte Annexion der Tschechoslowakei 1939 waren die unmittelbaren Vorboten des deutschen Eroberungskrieges.
Faschisten und Diktatoren
Neben den ethnischen und territorialen Konflikten gab es in den Nachkriegsjahren eine Reihe von wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Faktoren, die sich in anhaltenden internationalen Spannungen entluden. Die Weltwirtschaftskrise, ein durch verschiedene Faktoren angefachter aggressiver Nationalismus, innenpolitische Macht- und Verteilungskämpfe, das erwachende Krisenbewusstsein der Moderne und ein vielerorts fehlendes oder unterentwickeltes Bürgertum – all dies begünstigte in der Zwischenkriegszeit den Zusammenbruch vieler junger Demokratien und ihre Ersetzung durch diktatorische Regime.
In Italien begann Mussolini 1922 unter dem Versprechen einer nationalen Erneuerung seinen „Marsch auf Rom“. König Victor Emanuel III. wurde gezwungen, die Regierung zugunsten der faschistischen Einparteienherrschaft Mussolinis niederzulegen. Nach einer schweren Depression wurde ein Jahr später in Spanien mit der Zustimmung des Königs eine Militärdiktatur errichtet. Im Mai 1926 führte Marschall Pilsudski in Polen einen Staatsstreich durch, der ihn ungeachtet der formalen Beibehaltung von Verfassung und Parlament de facto zum autoritären Alleinherrscher machte. Im selben Jahr beseitigte ein Militärputsch in Portugal Parlament und Verfassung. 1928 gründete dort de Fragoso Carmona eine Einparteienregierung; Oppositionelle wurden Opfer der gefürchteten Geheimpolizei. Ein Jahr zuvor hatte in der UdSSR die Ära Stalin begonnen.
1929 setzte Alexander I. von Jugoslawien nach häufigen Regierungswechseln und einer zunehmenden politischen Instabilität eine Art „Königsdiktatur“ durch, deren wesentliche Merkmale die Auflösung des Parlaments und die Aufhebung der Verfassung waren. 1933 übernahmen im Deutschen Reich mit Hitlers Ernennung zum Reichskanzler die Nationalsozialisten die Macht. 1934 kam es in Estland und Lettland zu Staatsstreichen, die hier wie dort zur Errichtung autoritärer Präsidialregimes führten. Im gleichen Jahr ließ Zar Boris III. von Bulgarien alle politischen Parteien seines Landes verbieten. 1936 errichtete Joannis Metaxas in Griechenland per Staatsstreich eine Diktatur. 1938 mündete auch die Willkürherrschaft Karls II. von Rumänien in offene Tyrannei und 1939 erkämpfte sich schließlich General Franco nach einem dreijährigen blutigen Bürgerkrieg in Spanien die Macht. Die 2. Republik hatte sich nicht halten können.
Ohnmacht des Völkerbundes
Die Gründung des Völkerbundes als Vorläufer der UN im Jahre 1919, angeregt durch Vorschläge des US-Präsidenten Wilson, war ein hoffnungsvoller, aber ohnmächtiger Versuch, eine Institution zu schaffen, die bei Interessenkonflikten zwischen einzelnen Staaten für friedlichen Ausgleich hätte sorgen können. Mitgliedsstaaten mussten sich zur Ausarbeitung eines Abrüstungsplans sowie zur Wahrung der territorialen Integrität und politischen Souveränität verpflichten. Gegen Krieg verursachende Mitglieder wurden Sanktionen, für Streitfragen ein Schiedsgerichtsverfahren vereinbart. Das Problem des Völkerbunds war, dass die USA, die ihm Gewicht hätten geben können, nicht beitraten. Er konnte auf humanitärem Gebiet einige Leistungen erbringen und in den 1920er-Jahren auch einige kleinere europäische Konflikte beschwichtigen. Er scheiterte allerdings immer dann mit dem Versuch, die territoriale Integrität der Mitgliedsstaaten und den internationalen Frieden zu erhalten, wenn die Interessen einer Großmacht berührt wurden, am deutlichsten unmittelbar vor und während des Zweiten Weltkrieges.