Überblick
Der Ballungsraum Los Angeles gilt seit mehreren Jahren als Prototyp und Modell der US-amerikanischen Stadt der Zukunft und hat Chicago den Rang als weltweit wissenschaftlich am besten untersuchte Stadt abgelaufen. Als postmoderne Stadt entzieht sich Los Angeles in seiner Komplexität und Widersprüchlichkeit der Geometrie klassischer Stadtmodelle. Hier zeigen sich Trends und Entwicklungsabläufe, die nach Meinung vieler Experten für die Städte der westlichen Welt des 21. Jahrhunderts exemplarisch sein werden.
Von der Provinzstadt zur Metropole
Der Verdichtungsraum Los Angeles liegt in Südkalifornien und besteht aus den fünf Counties Los Angeles, Orange, San Bernardino, Riverside und Ventura (vergleichbar den Kreisen in Deutschland). Er hat eine Ausdehnung von fast 200 Kilometern in west-östlicher und 100 Kilometern in nord-südlicher Richtung. Nach unscheinbaren Anfängen hat Los Angeles ein sehr dynamisches Wachstum von Bevölkerung und Wirtschaft erlebt. Um 1870 lag Los Angeles mit 19 000 Einwohnern noch weit hinter der Bay Area mit dem Zentrum San Francisco zurück. Zwischen 1900 und 1930 stieg Los Angeles jedoch der Größe nach von Rang 36 auf Rang 5 in den Vereinigten Staaten auf. Ursachen dieser Entwicklung waren Erdölfunde, der Ausbau des Hafens und die Ansiedlung erster Filmstudios.
Zwar verläuft das Bevölkerungswachstum seit Mitte des 20. Jahrhunderts deutlich moderater, dennoch ist die „Consolidated Metropolitan Statistical Area“ (CMSA) Los Angeles gegenwärtig mit 17, 8 Mio. Einwohnern der zweitgrößte Ballungsraum der USA (nach New York) und der viertgrößte Amerikas (s. 321).
Noch eindrucksvoller als die Zunahme der Einwohnerzahlen ist das Wachstum der besiedelten Flächen. In den westlichen, mehr noch aber in den östlichen Bereichen der Agglomeration stammt der weit überwiegende Teil der Wohnbebauung aus der Zeit nach 1950; nur wenige Siedlungskerne der Counties Orange, Ventura, San Bernardino und Riverside sind älteren Datums. Auch im zentralen County Los Angeles sind die mit Wohnungen bebauten Flächen rasant ausgeweitet worden, zum Teil reichen sie nördlich bereits über den Kartenausschnitt hinaus (s. Santa Clarita).
Eine postindustrielle Stadtlandschaft
Diese exzessive Suburbanisierung wird nicht selten mit den „typisch amerikanischen“ Werten und Idealen der grenzenlosen Freiheit, des Individualismus und der verschwenderischen Mobilität erklärt. Es ist jedoch kaum zu übersehen, dass dieser Prozess gefördert wurde durch die staatliche Wohnungspolitik, die Neubauten gegenüber der Erhaltung des Wohnungsbestandes Priorität einräumte, und durch eine Steuerpolitik, die es ermöglichte, Hypothekenzinsen von der Einkommenssteuer abzusetzen. Weitere Voraussetzungen waren die umfassende private Motorisierung und die Bereitschaft der Steuerzahler, das kostspielige Autobahnnetz in den Verdichtungsräumen zu finanzieren.
Waren die suburbanen Räume lange durch niedrige Bebauungsdichte, Dominanz der Wohnfunktion und weitgehende Abwesenheit von Industrie und Gewerbe charakterisiert, so hat sich dies in der Gegenwart grundlegend geändert. Selbst wenn die Downtown von Los Angeles nach wie vor ein bedeutendes ökonomisches Zentrum ist, lässt sich konstatieren, dass nur weniger als zehn Prozent aller Arbeitsplätze des Ballungsraums in einem Drei-Meilen-Radius um die Downtown zu finden sind – die Vergleichswerte liegen in New York bei 45 Prozent und in Chicago bei immerhin 19 Prozent. Stattdessen hat ein Prozess eingesetzt, der als „Urbanization of the Suburbs“ charakterisiert werden könnte. Sein herausragendes Merkmal ist die Entstehung städtischer Zentren außerhalb der Downtown, zum Beispiel Pasadena, Inglewood, Torrance und Irvine. Diese sogenannten Edge Cities, von denen es im Verdichtungsraum Los Angeles schon heute mehr als 20 gibt, verfügen über ein umfassendes Angebot von Arbeitsplätzen, Einkaufsmöglichkeiten und kulturellen Einrichtungen bis hin zu Konzerthallen. Ihren Standort haben sie durchweg an den vielspurigen Stadtautobahnen, bevorzugt an deren Kreuzungen. Ein beträchtlicher Teil der Verkehrsströme verläuft schon heute zwischen diesen Außenstadtzentren.
Die administrativen Strukturen und damit auch die Siedlungsmuster des Ballungsraums sind hochkomplex. Die Kernstadt Los Angeles bildet mit fast 3,9 Mio. Einwohnern (etwas mehr als Berlin; Stand 2013) die größte administrative Einheit, daneben gibt es aber weitere eigenständige Großstädte wie Long Beach (2013: 470 000 Einwohner) und mehr als 150 kleinere „Incorporated Cities“, selbstständige politische Gemeinden. Entsprechend lässt sich eine mosaikartige Fragmentierung des städtischen Gefüges in eine Vielzahl höchst gegensätzlicher Zellen konstatieren. Die einzelnen Wohnquartiere und Nachbarschaften sind nach demographischen, sozio-ökonomischen und ethnischen Kriterien häufig sehr homogen, gleichzeitig aber deutlich voneinander unterschieden und nicht selten durch Mauern oder Zäune abgeschottet. In jüngster Zeit nimmt die Zahl der sogenannten Gated Communities zu, dies sind privat organisierte und der Öffentlichkeit nicht zugängliche Wohnquartiere, die man nur als Bewohner oder bei Nachweis eines berechtigten Interesses betreten darf.
Ökonomische Polarisierung
Die Polarisierung des Stadtraums setzt sich im ökonomischen Bereich fort. Die fundamentalen Umbrüche der Produktionsstruktur sind durch die Teilprozesse der Deindustrialisierung, Reindustrialisierung und Tertiärisierung gekennzeichnet. Traditionelle fordistische Industriebranchen wie die Eisen- und Stahlindustrie, der Fahrzeugbau und die Reifenindustrie sind nahezu vollständig verschwunden. Sie wurden zum einen ersetzt durch Unternehmen aus der Hochtechnologie, insbesondere der Mikroelektronik sowie der Luft- und Raumfahrtindustrie, mit hoch qualifizierten und gut bezahlten Arbeitskräften, zum anderen durch Firmen, die ein niedriges Qualifikationsniveau verlangen, dafür aber auch nur niedrige Löhne und eine geringe Sicherheit des Arbeitsplatzes bieten (Sweatshops). Charakteristische Branchen sind hier die Textil- und Bekleidungsindustrie, aber auch weite Teile des Dienstleistungsgewerbes, vom Haus- und Reinigungspersonal über die Sicherheitsdienste bis zur Gastronomie.
Diese ökonomische Polarisierung hat auch eine dezidiert ethnische Komponente: Die europäischstämmige Bevölkerung und Teile der Asiaten dominieren die hoch qualifizierten Arbeitsplätze, während die Hispanics oder Latinos, darunter viele illegale Einwanderer, den Billiglohnsektor abdecken. Besonders problematisch ist die Lage der afroamerikanischen Bevölkerung, die von dem Niedergang der traditionellen Industriezweige hart getroffen wurde.
Internationale Stellung
Weltweiten Ruhm hat Los Angeles durch Hollywood und seine mit dem Film verbundene Rolle als Produzent einer universellen Kulturindustrie erlangt. Auch wenn der Stadtteil inzwischen eher ein etwas heruntergekommener Touristentreff ist, bleibt die Film- und Medienindustrie nach wie vor ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Für die touristische Wahrnehmung der Region spielen neben Hollywood die großen Themenparks der Freizeitindustrie (wie Disneyland oder die Universal Studios) eine wesentliche Rolle.
Los Angeles hat in der Hierarchie der Global Cities eine hochrangige Position. Was die Bedeutung der Stadt als internationaler Finanzplatz und Sitz weltweit operierender Unternehmen betrifft, liegt die südkalifornische Metropole zwar deutlich hinter New York, Chicago und San Francisco mit dem benachbarten Silicon Valley. Einen der vorderen Plätze nimmt Los Angeles hingegen bei der Einbindung in die globalen Verkehrsnetze ein: Nach Atlanta, Peking, London Heathrow, Tokio-Haneda und Chicago lag der internationale Flughafen von Los Angeles mit 67 Millionen Passagieren (2013) weltweit an sechster Stelle. Ähnlich bedeutend ist die Position der beiden benachbarten Häfen San Pedro/Los Angeles und Long Beach im Containerverkehr: Zusammen belegten die Hafenstandorte von Los Angeles 2012 den neunten Rang weltweit und waren damit vor Dubai und Rotterdam der größte nichtasiatische Containerhafen.
Insgesamt ist die Agglomeration Los Angeles eine Region der unbegrenzten Kontraste. Sie zeichnet sich durch hohe Bevölkerungs- und Wirtschaftsdynamik aus und kann, nicht zuletzt aufgrund ihrer extremen ethnischen Vielfalt, als Prototyp der US-amerikanischen Stadt des 21. Jahrhunderts angesehen werden. Das multikulturelle Leben ist allerdings nicht nur bereichernd, sondern enthält auch ein beträchtliches Konfliktpotenzial. Problematisch ist zudem der verschwenderische Umgang des Großraums Los Angeles mit Ressourcen wie Wasser und Land, der vom Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung weit entfernt ist.