Revolution und Reaktion 1848/49
Europa - Europa - Neuzeit
978-3-14-100770-1 |
Seite 91 |
Abb. 4|
Maßstab 1 : 24000000
Informationen
Zu den Merkmalen der Neuzeit zählt die Entwicklung des Nationalstaates, die in Spanien, England und Frankreich, anders als in Deutschland und Italien, bereits im 14. und 15. Jahrhundert begonnen hatte. Thomas Hobbes` Lehre vom "Staatsvertrag" und der absoluten Gewalt des Souveräns lieferte die theoretische Legitimation für den fürstlichen und monarchischen Absolutismus des 16. bis 18. Jahrhunderts.Nicht minder entscheidend für den Beginn der neuen Zeit war die Entstehung einer vom Bürgertum getragenen neuen Ökonomie, die zu einer Ausweitung des Handels und zur arbeitsteiligen Produktion in den Manufakturen führte. Dieser Frühkapitalismus wurde ab dem 16. Jahrhundert begleitet von einem neuen Leistungs- und Wirtschaftsethos, das durch eine sparsame und dem Luxus abgewandte Lebensführung gekennzeichnet war und das sich im Laufe der folgenden zwei Jahrzehnte immer stärker gegen den herrschenden, gesellschaftlich aber zunehmend überflüssig werdenden Adel wandte. Mit der Erfindung der Dampfmaschine 1769 wurde schließlich jener als industrielle Revolution bezeichnete Prozess in Gang gesetzt, der zu einer fundamentalen Umstrukturierung nicht nur der Arbeitsweisen, sondern des ganzen sozialen Lebens führte.
Revolution
Die deutsche Revolution von 1848/49 war Teil einer europäischen Revolutionsbewegung, die sich fast auf dem gesamten Kontinent ausbreitete. In Frankreich, Italien, Böhmen, Ungarn, Österreich, Polen und in den Ländern des Deutschen Bundes kam es zu bewaffneten Kämpfen. Die Hintergründe der Revolten waren unterschiedlich. In Polen, Österreich, Ungarn und den deutschen Ländern handelte es sich überwiegend um Aufstände gegen die politische Restauration. Nationale und demokratische Bestrebungen wurden unterdrückt. Eine größere Rolle spielten in Frankreich soziale Gründe: In der Februarrevolution standen Arbeiter und radikale Studenten einer konservativen Bourgeoisie gegenüber.
Die rasche und weiträumige Ausbreitung der Revolutionsbewegung von 1848 war Ausdruck der schwierigen wirtschaftlichen Situation der unteren Schichten. Schon 1845 war in Flandern und Irland die Kartoffelkrankheit ausgebrochen und hatte eine große Hungersnot mit Hunderttausenden Toten zur Folge. Als 1846 durch eine Reihe von Missernten auch noch die Getreideversorgung zusammenzubrechen drohte, spitzte sich die Lage in ganz Europa zu. 1847 führte eine von England ausgehende Überproduktions- und Absatzkrise zu einem Einbruch in der Textil- und Maschinenbauindustrie. Während die Lebensmittelpreise Rekordniveau erreichten, sanken die Arbeitslöhne um etwa ein Drittel, zahlreiche Menschen wurden erwerbslos. Schon in diesem Jahr kam es in vielen Städten zu Hungeraufständen und Streiks, zur Plünderung, zu Überfällen auf Lebensmitteltransporte, Märkte und Bäckereien. Der Gegensatz von industriellem Aufschwung und wachsender Verelendung der Arbeitenden zeigte sich 1844 exemplarisch an dem militärisch niedergeschlagenen Weberaufstand im preußischen Schlesien.
Reaktion
Die militärisch geführte Reaktion kündigte sich bereits im April 1848 an. In Böhmen, Polen, Ungarn und Italien wurden die Aufstände von Regierungstruppen niedergeschlagen. In Paris wurde der Widerstand der Arbeiter im Juni gebrochen und der eingeführte Zehn-Stunden-Tag aufgehoben. Im Oktober wurde das revolutionäre Wien von der Armee zurückerobert, der Reichstag aufgelöst. Im November 1848 besetzte General von Wrangel mit 50 000 Soldaten Berlin, entwaffnete die Bürgerwehr, wies die verfassunggebende Versammlung aus der Stadt und löste sie wenig später auf. Kleinere Aufstände in ganz Deutschland wurden ebenfalls militärisch niedergeworfen. Im Süden Deutschlands sammelte sich 1849 noch einmal eine "Volksarmee", die jedoch im Juli kapitulieren musste. Mit standrechtlichen Erschießungen und hohen Zuchthausstrafen kam es zu einer Verfolgungswelle bisher nicht gekannten Ausmaßes. Die Revolutionsbewegung scheiterte in nahezu ganz Europa und führte zu einem Erstarken der konservativen Kräfte.
K. Lückemeier, E. Astor