Überblick
Der bis 800 Meter hohe Gebirgszug Serra Dos Carajás im brasilianischen Bundesstaat Pará gilt als eine der größten bekannten Eisenerzlagerstätten der Welt (18 Milliarden Tonnen). Die Vorkommen werden im Tagebau abgebaut. Die Kehrseite der florierenden Rohstoffgewinnung, mit der die wirtschaftliche Erschließung des tropischen Regenwaldes in dieser Region begann, ist eine weitflächige, irreversible Umweltdegradation. Ein Kartenvergleich zeigt die Entwicklung der Region, die etwa so groß ist wie Bayern und Baden-Württemberg zusammen, seit 1981.
Eisenerz am Rande des Amazonasbeckens
1967 stießen Geologen auf der Hochebene von Carajás auf „Berge aus Eisen“. Neben bedeutenden Lagerstätten von Bauxit – dem Grundstoff der Aluminiumherstellung – sowie Mangan, Nickel, Kupfer, Zinn, Wolfram und Gold entdeckten sie unterhalb einer dünnen Erdschicht Eisenerzreserven, die so groß sind, dass sie nach heutigen Kenntnissen und Abbaumengen knapp 200 Jahre reichen. Da Brasilien, das zu dieser Zeit zu den Dritte-Welt-Ländern zählte, sowohl unter einer hohen Auslandsverschuldung als auch unter einem starken Bevölkerungswachstum litt und dringend wirtschaftliche Impulse benötigte, fiel die Entscheidung zur Erzförderung im tropischen Regenwald trotz hoher Investitionen und ökologischer Bedenken.
Um die abgelegene Lagerstätte abbauen zu können, wurde sie zunächst infrastrukturell erschlossen. Der Staatskonzern Companhia Vale do Rio Doce (CVRD) – nach seiner Privatisierung 1997 unter dem Namen Vale S.A. eines der größten Bergbauunternehmen der Welt – ließ auf der Hochebene von Carajás eine Retortenstadt mit Unterkünften für die Bergleute und die Mitarbeiter der Holzfirmen anlegen. Es entstanden befestigte Straßen unter anderem in das 200 Kilometer entfernte Maraba, ein Flughafen und eine 900 Kilometer lange Stichbahnlinie in die Hafenstadt São Luis am Atlantik, wo man mit dem Bau eines Tiefwasserhafens für Erzfrachter begann.
Der Regenwald wurde entlang der Verkehrsachsen und im Gebiet des künftigen Tagebaus gerodet. Die Umgebung des Minengeländes (Serra Norte, Serra Sul) wurde großräumig unter Schutz gestellt und für spontane Zuwanderung gesperrt; ein Rekultivierungsplan wurde entwickelt. Die Fläche des Tagebaugeländes ist im Vergleich zur geschützten Umgebung relativ klein, weniger als zwei Prozent. Parallel zum Erzabbau entwickelten sich in der Region Carajás-Maraba die Holzwirtschaft, Industriealisierungsansätze (Erzaufbereitung, Metallindustrie) und die Landwirtschaft. Neben Siedlungen, Sägewerken und Industrieanlagen entstanden Weide- und Ackerflächen.
Um das neue Bergbaugebiet, Siedlungen und Industrien mit Elektrizität zu versorgen, wurden ab 1984 der Rio Tocantins und seine Nebenflüsse zum 2500 Quadratkilometer großen Tucurui-Stausee aufgestaut (zum Vergleich: Bodensee 536 km2). An seinem Nordende wurde bis 1992 ein 5,5 Mrd. US-Dollar teures Wasserkraftwerk mit einer Leistung von zunächst 4000 MW, später 8000 MW errichtet, das heute das zweitgrößte des Landes ist (s. 232/233). Dem Stausee mussten nicht nur Regenwaldflächen, sondern auch mehrere Siedlungen weichen.
Die westlichen Industrieländer, die großes Interesse am brasilianischen Eisenerz hatten, beteiligten sich an dem Entwicklungsprojekt: Die Europäische Gemeinschaft steuerte rund 600 Mio. US-Dollar bei und sicherte sich im Gegenzug ein 15 Jahre währendes Kaufrecht für ein Drittel der Jahresproduktion zu Festpreisen. Die Weltbank übernahm mit 300 Mio. US-Dollar einen Teil der Finanzierung, auch Japan und die Vereinigten Staaten gehörten zu den Gläubigern.
Eisenerzförderung 1981
Im Jahr 1981 arbeiteten auf der Hochebene von Carajás etwa 1380 Menschen. Von den pro Jahr geförderten 15 Mio. Tonnen Eisenerz wurde ein Viertel nach Japan verschifft, Deutschland folgte mit rund einem Fünftel an zweiter Stelle (s. Diagramm in der Karte). Zu den weiteren Abnehmern zählten unter anderem Frankreich, Luxemburg, Italien und Südkorea. Östlich der Lagerstätte gab es zu dieser Zeit bereits ein landwirtschaftliches Kolonisationsgebiet, auch beiderseits der Transamazônica waren zahlreiche Rodungsschneisen in den Regenwald geschlagen, aber ansonsten war der Tropenwald im Norden und Westen der Lagerstätte noch weitgehend intakt; die Karte zeigt mehrere große Indio-Schutzgebiete in diesen Waldgebieten.
Ein Goldfund in der nahe gelegenen Serra Pelada löste Anfang der 1980er-Jahre einen Goldrausch aus, der hunderttausende Menschen, in der Mehrzahl landlose Bauern, in den Regenwald lockte. Sie trieben die Rodungen voran, um Hüttensiedlungen zu errichten. Weitere Waldflächen wurden abgeholzt, weil der Bedarf an Brennstoffen in der Erzaufbereitung vor allem durch Holzkohle gedeckt wurde.
Der Abbau heute – und seine Folgen
Nicht zuletzt durch die Fertigstellung der Estrada de Ferro Carajás, der Eisenbahnverbindung nach São Luis (1985) konnte die Eisenerzförderung gesteigert werden – von 22 Mio. Tonnen im Jahr 1981 auf 110 Mio. Tonnen im Jahr 2012. Der Anteil von Carajás an Brasiliens Förderung insgesamt liegt recht stabil bei etwa 25 bis 30 Prozent. Die Veränderungen unter den Hauptabnehmern brasilianischen Eisenerzes sind ein Abbild des weltwirtschaftlichen Wandels. China, 1981 noch unbedeutend, sicherte sich 2012 rund 42 Prozent der gesamten brasilianischen Förderung. Die einstigen Hauptabnehmer Japan und Deutschland kommen zusammen gerade noch auf 10 Prozent, dafür haben der Nahe Osten und Südkorea ihre Anteile erhöht.
Zwar wurde und wird der Erzbergbau in Carajás und der Region ausgebaut (Projeto Ferro im Süden, Standort Sossego), dies allein erklärt aber nicht die starken Veränderungen der Landnutzung in der Gesamtregion. Vielerorts sind heute nur noch Reste des Regenwalds vorhanden, der Rückgang im Vergleich zu 1981 ist augenfällig; Ausnahmen bilden nur einige Indio-Schutzgebiete sowie die Schutzgebiete rund um Carajás. Zum Verhängnis wurde dem Regenwald vor allem, dass er zunehmend den expandierenden Viehfarmen, anderen landwirtschaftlichen Nutzungen und Siedlungsflächen weichen musste. Die Standorte der unmittelbar mit dem Bergbau zusammenhängenden Einrichtungen (Abbaugebiete, Bahnlinie, Hüttenwerk) haben zwar zugenommen, sich aber vergleichsweise nur wenig verändert. Der Goldabbau in der Serra Pelada (s. o.) ist zum Erliegen gekommen. Dagegen haben sich die Verkehrs- und Siedlungsstrukturen stark verdichtet, weitere Straßen sind geplant. Die Stromversorgung erfolgt heute nicht mehr von außerhalb, sondern ruht auf den Wasserkraftwerken am Tucurui-Stausee. Von dort führen Stromleitungen auch in Richtung Nordwesten, der Transamzônica folgend.
Der Abbau auf der Hochebene von Carajás und die starken Rodungen für Plantagenflächen im Umland von Marabá hatten einen nicht unerheblichen Anteil daran, denn Eisenerz, Sojaprodukte, Zucker und Fleisch gehören zu den wichtigsten Ausfuhrerzeugnissen des Landes. Brasilien ist heute siebtgrößte Volkswirtschaft der Welt und könnte perspektivisch durch Erschließung der 2008 entdeckten Rohöl- und Erdgasvorkommen an der Atlantikküste zu einem der großen Erdölproduzenten weltweit aufsteigen. Der Preis, den das Land für diesen wirtschaftlichen Aufschwung zahlt, stellt sich im Amazonasgebiet in Form einer irreversiblen Zerstörung des tropischen Regenwalds dar, die unter Gesichtspunkten des Umwelt- und Klimaschutzes verheerende Ausmaße hat. Gleichzeitig aber hat diese Entwicklung dazu beigetragen, die Lebenssituation vieler Menschen im Land deutlich zu verbessern.