Überblick
Trotz der ab 1958 einsetzenden Kohlekrise und der langjährigen Stahlkrise ab 1975 ist das Rheinisch-Westfälische Industriegebiet nach wie vor die größte und am dichtesten besiedelte Industrielandschaft des Kontinents. Es ist im Wesentlichen identisch mit dem Verdichtungsraum Rhein-Ruhr. Zwischen Köln und Wesel sowie Moers und Hamm leben auf nur 2,5 Prozent der Fläche Deutschlands mehr als 10 Mio. Menschen, die etwa 15 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung erwirtschaften.
Natur- und kulturgeographische Leitlinien bestimmen das Kartenbild: die Rheinschiene (Köln – Düsseldorf – Duisburg – Wesel), die Ruhrschiene (Duisburg – Dortmund) und die wirtschaftsgeschichtlich älteste Linie von Köln über Wuppertal ins östliche Ruhrgebiet. Diesen Linien folgte und folgt die Industrie-, Siedlungs- und Verkehrsentwicklung. Dazu im Kontrast stehen die Gebiete des Bergischen Landes und des westlichen Sauerlandes, wo die Siedlungs- und Industrieentwicklung in der Regel eher punktuell ist oder linienhaft den Flusstälern folgt. Gegenpol zum Ruhrgebiet bilden auch der Raum links des Niederrheins mit seinen fruchtbaren und intensiv landwirtschaftlich genutzten Böden sowie die Ausläufer der Münsterländer Bucht.
Wirtschaftliche Konzentration und ihre Folgen
Die Rhein-Ruhr-Region ist bei der industriellen Wertschöpfung in Deutschland in einigen Bereichen dominierend (u. a. Abbau von Stein- und Braunkohle), in vielen anderen Sektoren wie der Metallverarbeitung, dem Maschinenbau, der Chemie, der Elektrotechnik sowie in der verbraucherorientierten Textil- und Nahrungsmittelindustrie überproportional beteiligt. Die Region trägt aber auch die negativen Folgen der Konzentration von Industrie und Siedlung, die sich zum Beispiel im allgemeinen Landschaftsverbrauch für Siedlungs-, Industrie- und Verkehrsflächen manifestiert.
Ausstieg aus dem Steinkohlenbergbau
Während die Rheinschiene in der Nachkriegszeit in Bereichen wie der Chemie- und Kunststoffindustrie eine relativ kontinuierliche Entwicklung erlebte, musste sich das Ruhrgebiet infolge der Konzentration auf Bergbau, Eisen- und Stahlindustrie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einem tief greifenden wirtschaftlichen Strukturwandel stellen. Dieser Anpassungsprozess dauert bis heute an, weil die einstigen Schlüsselindustrien, Steinkohlenbergbau und Stahlerzeugung, weiter an Bedeutung verlieren.
Während die weltweite Steinkohlenproduktion in den letzten fünf Jahrzehnten stark angestiegen ist, nahm der Anteil der Ruhrgebietskohle an der Weltproduktion drastisch ab: Wurden 1955 noch etwa acht Prozent im Ruhrgebiet gefördert, waren es 2014 nur noch 0,1Prozent. Da für die Aufrechterhaltung des Steinkohlenbergbaus im gleichen Zeitraum weit über 100 Mrd. Euro an Subventionsgeldern seitens des Bundes und des Landes NRW aufgebracht werden mussten, wurde 2006 von der Bundesregierung der endgültige Ausstieg aus der Subventionierung des Steinkohlenbergbaus bis 2018 beschlossen. Gegenwärtig fördern noch drei Bergwerke in Deutschland, zwei im Ruhrgebiet und eins in Ibbenbüren. Die Produktion deckt etwa 13 Prozent des deutschen Bedarfs. Die Schließung des Standorts Marl ist für 2015 geplant, die des Standorts Bottrop für 2018. Die Kosten für ein sozialverträgliches Auslaufen des traditionsreichen Bergbaus mit seinen derzeit noch rund 15 000 Beschäftigten werden auf rund 30 Mrd. Euro geschätzt.
Kokereien zur Erzeugung von Koks und Kokereigas gibt es heute nur noch in Bottrop und Duisburg. Außerdem ist Duisburg die einzige Stadt mit zwei verbleibenden Großstandorten der Roheisenerzeugung.
Strukturwandel im Ruhrgebiet
Während im Ruhrgebiet allein zwischen 1980 und 2000 rund 500 000 Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe verloren gingen, wurden im Dienstleistungssektor kontinuierlich Zuwächse verzeichnet. Mitte der 1980er-Jahre war erstmals mehr als die Hälfte der Beschäftigten im Bereich Dienstleistungen tätig, und ihr Anteil nahm beständig zu. Gegenwärtig sind mehr als 80 Prozent im tertiären Sektor tätig.
Zwar ist die Diversifizierung der Industrie durch Betriebe der Elektronik und der IT-Branche vorangekommen, doch Unternehmen wie ThyssenKrupp in Duisburg und Essen, Bayer in Leverkusen und Ford in Köln haben stark rationalisiert und teilweise auch ihre Belegschaft reduziert. Die Opel-Werke und das Nokia-Werk Bochum schlossen ganz.
Dagegen expandieren Klein- und Mittelbetriebe. Seit 2000 konnte der Kommunalverband Ruhr zahlreiche Existenzgründungen in Bereichen wie der Energie-, Umwelt-, Informations- und Kommunikationstechnik, der Medizin, der Mikroelektronik, der Logistik und Werkstofftechnologie registrieren.
Eine wichtige Weichenstellung auf dem Weg vom Industrie- zum Wissensstandort war die Gründung neuer Technologiezentren und Forschungsanstalten. Neben den Hochschulen in Köln, Düsseldorf und Wuppertal wurden im Ruhrgebiet ab 1961 sechs Universitäten gegründet, dazu die Fernuniversität Hagen sowie die Privatuniversität Witten/Herdecke. Damit ist die Rhein-Ruhr-Region die dichteste Hochschullandschaft Deutschlands. Mit ihren zahlreichen Sprech-, Musik- und Tanzbühnen, Kulturfestivals und einer großen Zahl von Museen ist sie zudem auch eine der bedeutendsten Kulturregionen der Welt („Kulturwirtschaft“).
In den letzten 20 Jahren wurde viel Geld investiert, um stillgelegte Berg- und Stahlwerke als Industriedenkmäler zu erhalten oder einer neuen Nutzung zuzuführen. Insgesamt 52 Zeugnisse der industriekulturellen Vergangenheit des Ruhrgebietes bilden die „Route der Industriekultur“. Der Industriekomplex Zollverein Essen beispielsweise, ist seit 2002 Teil des Weltkulturerbes der UNESCO. Mit dem Emscher Landschaftspark erhielt die Region ein gemeinsames „grünes Band“ (s. 73.4). Aus solchen Umbaumaßnahmen ergeben sich wesentliche Impulse für die Entwicklung des Tourismus in der Region.