Überblick
Die Donau ist mit 2850 Kilometern Länge der zweitlängste Fluss in Europa (nach der Wolga mit 3688 Kilometern). Sie mündet mit einem fächerförmigen Delta im rumänisch-ukrainischen Grenzgebiet ins Schwarze Meer. Das Delta hat eine Ausdehnung von rund 4300 Quadratkilometern (1,7-mal so groß wie das Saarland) und bildet den Anfang einer internationalen Wasserstraße, die die Ukraine, Rumänien, Bulgarien, Serbien, Kroatien, Ungarn, Slowakei, Österreich und Deutschland miteinander verbindet und von dort über Main und Rhein bis nach Rotterdam führt.
Das Delta wächst
Die Donau ist der bedeutendste Vorfluter Südosteuropas und die Sammelader für die großen Flüsse der Ostalpen, der Karpaten und der östlichen Dinariden. Am Beginn des Deltas westlich von Tulcea, am sogenannten Ceatal, beträgt der mittlere Durchfluss 7320 Kubikmeter pro Sekunde. Allerdings sind die Differenzen zwischen Niedrigwasser (2000 m³/s) und Hochwasser (24 000 m³/s) erheblich. Bei Tulcea verteilt sich das Wasser der Donau auf die drei großen Stromarme Kilija im Norden (ca. 60 Prozent), St. Georg im Süden (ca. 30 Prozent) sowie Sulina in der Mitte (ca. 10 Prozent).
Parallel zur Küstenlinie reihen sich, vor allem im Bereich des St.-Georg-Arms, mehrere in Staffeln angeordnete Dünengürtel auf, die ältere Küstenlinien anzeigen. Der St. Georg-Arm wächst kräftig ins Meer hinein. Seine Schwebstoffe – insgesamt rund 80 Mio. Tonnen pro Jahr – werden mit der Meeresströmung nach Südwesten transportiert. Die durch Ablagerungen entstandenen, lang gezogenen Nehrungen haben aus ehemaligen Meeresbuchten den heutigen Razim-See und die Sinoie-Lagune geformt.
Auch am stark sedimentierenden Kilija-Arm wird die Küstenlinie immer weiter vorgeschoben, gegenwärtig um vier bis fünf Meter pro Jahr. Der Sulina-Arm, mit 72 Kilometern der kürzeste der drei Stromarme, wächst aktuell nicht mehr. Zur Sicherung der Schiffspassage wurden Betonmauern bis weit in das Meer gezogen, wodurch die Schwebstoffe hinausgeführt werden und für den Küstenaufbau nicht mehr zur Verfügung stehen.
Die zahlreichen stehenden Gewässer im Delta sind von der Sinkstoffzufuhr abgeschnitten, weshalb sie nur allmählich verlanden. Ein Spezifikum der westlichen Schwarzmeerküste sind der Jalpuh- und der Kotlabuch-See auf der ukrainischen Seite des Deltas. Bei diesen langgezogenen, tiefen Seen handelt es sich um sogenannte Limane, „ertrunkene“ pleistozäne Flussmündungen (Ria), die im Holozän durch die Ablagerungen der Donau vom offenen Meer abgetrennt wurden.
Ein einzigartiger, geschützter Naturraum
Der sowohl aus rumänischer als auch aus ukrainischer Sicht entlegene und äußerst dünn bevölkerte Raum (3,5 E./km2) gilt als das größte Feuchtgebiet in Europa und ist ein wichtiges Refugium für zahllose Pflanzen und Tiere. Der weite Mündungsbereich wird von großen Schilfbeständen beherrscht.
Die Gewässer werden von natürlichen Dämmen eingefasst, die jedoch bei jedem (Sommer-)Hochwasser überflutet werden. Trotz harter Winter sind die Gewässer, Bruchwälder, Dünen und Wiesen des Deltas das Habitat vieler Vogelarten – darunter Enten, Pelikane, Reiher und Seeadler –, zahlreicher Fische, Amphibien und Insekten sowie von Wildkatzen und Mardern. 1991 wurde dieses einmalige Ökosystem als Biosphärenreservat unter Schutz gestellt und UNESCO-Weltnaturerbe.
Menschen im Delta
Bereits seit der Antike wird das Delta bewohnt und bewirtschaftet. Die größten Eingriffe in den ökologisch fragilen Raum erfolgten jedoch zweifellos in den letzten sechs Jahrzehnten. Große Flächen entlang des Kilija-Arms wurden eingepoldert, um landwirtschaftliche Anbauflächen zu gewinnen (Agrarpolder Pardina). Analog zur niederländischen Landgewinnung der 1960er-Jahre im Ijsselmeer (s. 121.3) sollte aus dem Delta eine Kornkammer Rumäniens werden. In den versumpften, nicht eingepolderten Gebieten zielten die wirtschaftlichen Aktivitäten dagegen entweder auf die Verarbeitung der großen Schilfrohrbestände oder auf eine Intensivierung der Fischzucht.
Die Ansiedlung großer Industriebetriebe erreichte nur den Rand des Deltas; neben dem Aluminiumwerk in Tulcea, mit rund 70 000 Einwohnern nach Ismajil die zweitgrößte Stadt am Rand des Donaudeltas, sind Werften und Fischfabriken die einzigen nennenswerten Standorte.
Größter Ort im Delta selbst ist das am Ende des gleichnamigen Donauarms gelegen Sulina. Seine rund 3500 Einwohner sind Fischer, Arbeiter in der Fischkonservenfabrik und Gelegenheitsbeschäftigte; zum Teil leben sie von den Erträgen des eigenen Gartens. Im gesamten Delta wohnen heute nur noch rund 13 000 Menschen – 1960 waren es noch 21 000.
Drei Dinge machten das Delta schon seit frühester Zeit für Zuzügler interessant: die Schifffahrt, die Ressourcen und die Zufluchtsmöglichkeiten, die es bei Verfolgung bot.
Gegenwärtig richten sich die Hoffnungen auf den Tourismus. Der Status als Weltnaturerbe, die Angel- und Jagdmöglichkeiten und die große ethnisch-religiöse Vielfalt zählen zu den großen Vorzügen des Donaudeltas. Im Delta selbst dominiert der Tagestourismus auf Ausflugsschiffen, die von Tulcea aus in Richtung Sulina oder Uzlina starten. Es sind oft Rucksack- und Individualtouristen, die das Delta anzieht. In zunehmenden Maße kommen aber auch Donau-Kreuzfahrttouristen für einen kurzen Aufenthalt. Für Badegäste ist eher die Schwarzmeerküste südlich des Deltas interessant. Dort liegen der Flughafen von Konstanza und einige Hotels. Die Zahl der ausländischen Gäste ist allerdings sowohl im Donaudelta (2013: 22 000) als auch an der Schwarzmeerküste (2013: 31 000) sehr gering und nicht mit anderen europäischen Reisezielen, insbesondere der Schwarzmeerküste im benachbarten Bulgarien, vergleichbar.