Überblick
Die gelbe Tönung des südlichen und die rötliche Tönung des nördlichen Kartenteils liefern bereits einen Hinweis auf die unterschiedlichen Voraussetzungen für die Küstenbildung: Die skandinavische Halbinsel mit ihren vorherrschenden Gneisen und Graniten gehört zum Baltischen Schild, einer der ältesten Landmassen in Europa. Typisch für den nördlichen Küstenbereich sind buchtenreiche Felsküsten. Zur Eiszeit flossen hier die Gletscher in die Hohlform der Ostsee und weiter nach Süden, dabei transportierten sie Sedimente, Geröll und Felsblöcke mit sich (Abtragungsgebiet).
Der südliche Küstenbereich ist vor allem durch glaziale (eiszeitliche) Sedimente gekennzeichnet (Ablagerungsgebiet). Hier finden sich die von den Urlaubern als typisch empfundenen langen Sandstrände. An der Nordseeküste fällt der Gegensatz von Wattenküste im deutschen und Ausgleichsküste im dänischen Bereich auf. Der Begriff der Wattenküste gilt streng genommen nur für die Innen- und Zwischenküste; die Außenküste ist sandig und ähnelt der westjütischen Küste. Die gestrichelte Linie im Kartenbild markiert die Grenze, die das Landsenkungsgebiet im Süden vom Raum der postglazialen, noch andauernden Landhebung im Norden trennt.
Die skandinavische Küste
Die Landhebung Skandinaviens wird zum Teil durch die Entlastung der skandinavischen Halbinsel aufgrund des Abschmelzens der Gletscher nach der letzten Eiszeit erklärt. Der relative Hebungsbetrag beläuft sich bei Gotland auf ca. 1 mm pro Jahr und nimmt nach Norden (Bottnischer Meerbusen) bis auf fast 10 mm zu. Die Schärenküste ist vor allem im nordöstlichen Ostseeraum zu erkennen, aber auch im Westen an Skagerrak und Kattegat. Schären sind aus dem Meeraufragende Kuppen einer ehemals vom Eis überfahrenen, flach meerwärts geneigten Felsenlandschaft (s. 90.1). Im Bottnischen Meerbusen kommen auch Schären aus Geschiebematerial vor. Eine Ansammlung von Schären wird als Schärenhof bezeichnet. So spricht man.
Fjordküsten haben sich vor allem an der steilen Westabdachung des skandinavischen Gebirges gebildet. Aufgrund der weit nach Westen versetzten Wasserscheide bestand hier eine sehr hohe Reliefenergie, d. h. die Flüsse schnitten sich einst tief in den Gesteinskörper des kaledonisch gefalteten Gebirges ein. In der Eiszeit wurden die Kerbtäler der Flüsse durch die Gletscher zu Trogtälern ausgeschürft. Der nacheiszeitliche Meeresspiegelanstieg überflutete diese Täler bis weit ins Landesinnere. So sind die Fjorde heute tiefe, steilwandige Buchten von einzigartigem landschaftlichem Reiz. Die Fjord-Schären-Küste ist eine Mischform zwischen der Fjord- und der Schärenküste, bei der sich die den (zumeist kurzen) Fjord umgebenden Steilhänge meerwärts in Schären-Inseln auflösen (z. B. südlich des Oslofjords).
Die Kliffküsten zwischen Öland und der estnischen Küste sind nur die höchstaufragenden Teile einer sonst ertrunkenen Schichtstufenlandschaft, deren Traufseite nach Nordwesten exponiert ist.
Schären-, Fjord- und Kliffküsten sind aus Felsen aufgebaut. Ein allgemeines Merkmal dieser Küsten liegt in der ungleich größeren Beständigkeit des Felsmaterials gegenüber der marinen Abrasion, sodass sich die küstenformenden Prozesse sehr langsam vollziehen.
Als Lockergesteinsküste findet man in der Karte die Moränenküste an der Ostseite Jütlands, aber auch an der Südspitze der skandinavischen Halbinsel sowie an den sanft geneigten, nach Südosten exponierten Seiten von Öland, Gotland, und den estnischen Inseln.
Die südliche Ostseeküste
Die Förden- und Buchtenküste an der schleswig-holsteinischen Ostküste ist gleichsam das Lockergesteins-„Gegenstück“ zur Fjordküste, handelt es sich doch um von Gletscherzungen ausgeschürfte Hohlformen oder auch um unter dem Eis entstandene ehemalige Tunneltäler. Sie sind nachträglich durch das Meer überflutet worden.
Die Boddenküsten Mecklenburg-Vorpommerns (s. 33.5) sowie der dänischen Inseln sind ertrunkene Grundmoränenlandschaften (oder auch flache Endmoränenlandschaften). Ursache für die Überflutung war der nacheiszeitliche Meeresspiegelanstieg, der bis heute fortdauert. Die höheren Geländeteile ragen inselartig aus dem Meer. Die Bodden sind die seichten, vielgestaltigen Wasserflächen dieser reizvollen Küstenlandschaften. Boddenküsten entwickeln sich ebenso wie Fördenküsten zu Ausgleichsküsten (Endzustand), Ursache ist der die Küstenlinien verkürzende strandparallele Küstenversatz.
Drei ausgedehnte Räume mit Ausgleichsküsten sind auf dem Kartenbild zu erkennen. Die west- und nordexponierten Küsten Jütlands wurden von der Nordsee geformt. Eine nahezu vollendete Ausgleichsküste erstreckt sich ostwärts der Oder. Die günstige Exposition dieses Küstenraums gegenüber der vorherrschenden Westwindrichtung (Oberflächenströmung) hat die glazial bedingten Vorsprünge besonders gründlich abgetragen und die Buchten abgeschnürt, wodurch hinter den Hakenbildungen ausgesüßte Strandseen entstanden. Wo größere Flüsse wie Nogat, Pregel und Memel einmünden, bleibt eine natürliche Verbindung zum Meer, diedie Entwicklung zum Strandsee unterbindet. Wir sprechen dann von einer Nehrungs-/Haffküste, wie sie im Osten Polens ausgebildet ist (s. 91.5).
Unter dem anschaulichen Oberbegriff Meeresbodenküste ist die Wattenküste einzuordnen (s 32.1-3, 33.4). Voraussetzung für die Bildung einer Wattenküste mit ihrer täglich zweimaligen Überflutung ist ein nennenswerter Tidenhub (mehr als ein Meter vertikaler Unterschied von Hoch- und Niedrigwasser). Dadurch wird es dem Ebbestrom möglich, ständig ein Tief oder Gat gegenüber dem strandparallel wirkenden Küstenversatz freizuhalten. Eine geschlossene Ausgleichsküste kann sich daher nicht bilden.
Die Meeressediment-Hebungsküste im Osten Jütlands ist ebenfalls eine Meeresbodenküste. Sie besteht aus späteiszeitlichen Meerestonen und Sanden, die einst unter dem Meeresspiegel lagen und erst durch die natürliche Landhebung an die Oberfläche kamen. Sie kann nur bei sehr gering geneigter Schorre (Abrasionsplattform) entstehen und bildet daher eine flache Küstenebene aus.