Nordpolargebiet (Arktis) - Naturraum

Erde - Polargebiete
978-3-14-100800-5 | Seite 238 | Abb. 1| Maßstab 1 : 48000000

Überblick

Der Bereich um den Nordpol wird von dem 14,3 Mio. Quadratkilometer großen und teilweise über 5000 Meter tiefen Meeresbecken des Nordpolarmeeres, seinen vielgestaltigen Inseln und den Nordküsten Nordamerikas und Eurasiens eingenommen. Das Nordpolargebiet lässt sich in zwei Teilräume untergliedern. Die Polarzone wird von den Beleuchtungsverhältnissen und dem Phänomen des Polartags bzw. der Polarnacht bestimmt und reicht bis zum nördlichen Polarkreis (66,5 Grad nördliche Breite). Die südlich daran anschließende arktische Zone wird durch die 10 °C-Isotherme der mittlere Julitemperatur begrenzt (in der Karte als rote Linie markiert). Die arktische Zone umfasst auch große Teile der Tundrengebiete im nördlichen Eurasien und in Nordamerika. (Die 10 °C-Juli-Isotherme entspricht der Baumgrenze.)

Die großen Siedlungen markieren die Grenze der Anökumene, des unbewohnbaren Teils der Erde. Die Bodenschätze deuten die wirtschaftliche Bedeutung des Nordpolargebiets an.

Klima und Landschaft

Die Polargebiete bilden die Zonen der hohen Breiten, in denen es im Sinne unserer Mittelbreiten nie Sommer wird. Die wechselnden Strahlungsverhältnisse bilden Lichtjahreszeiten (Polartag im Nordsommer, Polarnacht im Nordwinter). Trotz des Polartags bleibt es auch in den Sommermonaten kalt oder kühl (vgl. Klimadiagramm Isfjord im Atlas). Am Nordpol herrscht eine Jahresdurchschnittstemperatur von minus 18 °C.

Die vom kalten Klima bestimmten naturräumlichen Bedingungen und Landschaftsformen der Polargebiete – zum Beispiel Gletscher, die bis zum Meeresniveau vorstoßen, Meereis, dauernd gefrorener Untergrund (Permafrost), Tundra, Frostschutt und Eiswüste – reichen auf den umliegenden Kontinenten unterschiedlich weit nach Süden. Das Eis der Gletscher türmt sich im grönländischen Inland zu einem bis über 3000 Meter hohen Plateau auf; seine Basis liegt stellenweise unter dem Niveau des Meeresspiegels.

Die Arktis erhält in weiten Teilen nur vergleichsweise geringe jährliche Niederschläge (oft unter 500 Millimeter). Sie fallen hauptsächlich als Schnee, der über lange Zeit erhalten bleibt. An einem Eisbohrkern aus Camp Century auf dem Inlandeis in Nordwestgrönland (s. Abb. im Handbuch) konnte mehr als 100 000 Jahre altes Eis nachgewiesen werden. Aus dem temperaturabhängigen Verhältnis der Sauerstoffisotope 16O/18O in diesem Bohrkern lässt sich daher die Klimaentwicklung der letzten 100 000 Jahre errechnen. Die großen Eismassen der Polargebiete sind dadurch gleichsam Archive der langfristigen Klimaentwicklung auf der Erde.

Strömungen und Eisausdehnung

Die Meereisverhältnisse wechseln stark von Jahr zu Jahr. Das Meereis wird normalerweise bis zu drei Meter mächtig und schiebt sich als Packeis nur stellenweise bis zu 25 Meter Stärke zusammen. Packeis ist vergleichsweise ortsfest. Als Treibeis bezeichnet man dagegen frei auf den Meeren treibendes Eis in Form von Schollen oder geschlossenen Feldern.

Durch die breite Pforte des Nordatlantiks erzeugt der Golfstrom als warme Meeresströmung eine Wärmeanomalie weit im Norden. Während die mittleren Temperaturen auf Höhe des 70. Breitenkreises bei –10,7 °C liegen, herrschen in vergleichbarer Breitenlage an der norwegischen Westküste bei Tromsö Jahresdurchschnittstemperaturen von +2,9 °C. Die Grenzen der Verbreitung von Packeis werden durch den Golfstrom im September bis nördlich von Spitzbergen gedrängt. Die kalte Gegenströmung des Labradorstroms bringt dagegen Treibeis mit einer Maximalausdehnung von 11 bis 15 Mio. Quadratkilometern weit nach Süden bis auf Höhe des 40° Breitengrads.

Die Ostküste Grönlands bleibt auch im Sommer meist von Treibeis umschlossen, die Nordostküste sogar von Packeis. An der Westküste Grönlands, wo die größten Siedlungen der Insel liegen, werden die Küstengewässer und die meisten Fjorde bis nördlich von Thule im Sommer eisfrei. Ein Strömungswirbel in der Beaufortsee vor der Küste der Mackenzie-Mündung (Alaska) hält die Packeisbedeckung ganzjährig in driftender Bewegung. Hier wie vor der Nordküste Sibiriens öffnen sich schmale Polynyas (Bereiche offenen Wassers im Meereis) und geben die Nordostpassage zu den sibirischen Häfen und die Nordwestpassage durch das Inselgewirr der kanadischen Arktis frei.

Die wechselnden Meereisbedingungen der Arktis werden heute durch Wettersatelliten registriert. Infolge der globalen Klimaerwärmung sinkt die minimale Meereisausdehnung gegenwärtig rasch und erreichte in den letzten Jahren neue Tiefstwerte. Dabei handelt es sich nicht um einzelne Extremjahre, sondern um einen langfristigen Trend.

Vegetation, Dauerfrostboden und wirtschaftliche Nutzung

Die Vegetationsperiode der Tundra ist bei Durchschnittstemperaturen von unter 10 °C im wärmsten Monat zu kurz und zu kühl für Baumwuchs. In kontinentalen Bereichen, etwa in Nordwestkanada und Sibirien, wird die Baumgrenze bereits bei der 12 °C-Juli-Isotherme erreicht.

Der geschlossene und inselartige Dauerfrostboden (Permafrost) reicht bis weit nach Süden in die Gebiete der Nadelwälder. An den Küsten der Beaufortsee und Sibiriens liegt der Dauerfrostboden im Bereich der nacheiszeitlichen Überflutungen (Anstieg des Meeresspiegels um etwa 100 Meter) im Schelfbereich unterhalb der Meeresoberfläche. Dies ist für die Offshoreexploration und -förderung von Erdgas und Erdöl von Bedeutung. An Land bildet sich über dem Permafrost im Sommer eine flache, meist nur wenige Dezimeter mächtige Auftauschicht. Sie bestimmt die geomorphologischen Prozesse und Formen (z. B. Frostmusterböden), beeinflusst aber auch die wirtschaftliche Nutzung, denn alle Bauten und Anlagen müssen besonders gesichert werden.

Im Nordpolargebiet sind sowohl auf den Kontinenten als auch im marinen Bereich viele Bodenschätze vorhanden, besonders in den Formationen der alten Schildstrukturen (Metallerze) und der geologisch jungen Sedimenttiefländer /Erdöl, Erdgas). Viele industriell bedeutsame Rohstoffe wie Steinkohle, Erdöl, Erdgas sowie Eisen-, Buntmetall- und Edelmetallerze werden in zunehmenden Mengen unter extremen naturräumlichen Bedingungen abgebaut. Daran wird grundsätzliche Kritik geäußert, etwa wenn in hochsensiblen marinen Ökosystemen der Arktis Ölplattformen errichtet werden sollen. In solchen Fällen ist das Risiko einer Umweltkatastrophe besonders groß.

Als eine auch in Zukunft nicht zu beherrschende Umweltkatastrophe ist die radioaktive Verseuchung von Nowaja Semlja einzuschätzen. Dort führte die Sowjetunion zwischen 1955 und 1990 insgesamt 130 Kernwaffentests durch, davon rund 90 oberirdisch und drei unter Wasser. In den umliegenden Meeresbereichen wurde große Mengen radioaktiver Müll verklappt.

Heute leben mehr als vier Millionen Menschen dauerhaft in der Arktis nördlich des 60. Breitengrades. Man schätzt, dass etwa 800 000 von ihnen Nachfahren der Ureinwohner dieses Lebensraums sind, etwa der Inuit, Jakuten, Samen und zahlreicher anderer Volksgruppen in Nordostsibirien.

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