Überblick
Als natürliche Bevölkerungsveränderung bezeichnet man die Veränderung einer Gesellschaft im Hinblick auf die Bevölkerungszahl durch Geburten und Sterbefälle. Die Differenz aus der Zahl der Lebendgeburten und Sterbefälle eines Jahres führt in der Summe auf einer der beiden Seiten zu einem Überschuss, der als natürlicher Saldo bezeichnet wird.
Wie auf der Karte zu sehen ist, gab es 2020 einen positiven natürlichen Bevölkerungssaldo lediglich in jenen Regionen, die auch eine deutlich überdurchschnittliche Geburtenrate aufwiesen, meist infolge von langjährigen Wanderungsgewinnen vergleichsweise junger Erwachsener. Doch diese Regionen sind in der Minderheit, denn das Geburtenniveau in Deutschland gehört seit den frühen 1970er-Jahren zu den niedrigsten weltweit. Zwar gibt es in Europa auch andere Länder, die eine vergleichbar niedrigere Geburtenrate haben (zum Beispiel Italien), doch nicht über 50 Jahre hinweg wie in Deutschland. Dass die Bevölkerungszahl Deutschlands in den vergangenen Jahrzehnten dennoch zugenommen und 2022 erstmalig die Marke von 84 Millionen überschritten hat, liegt demnach an der hohen Nettozuwanderung.
Rückgang des natürlichen Bevölkerungssaldos seit 1964
Der Rückgang der Geburtenzahlen begann in den 1960er-Jahren. In dem außergewöhnlich geburtenstarken Jahrgang 1964 wurden noch rund 1,4 Mio. Kinder geboren. Doch schon wenige Jahre später machte sich ein starker Geburtenrückgang bemerkbar, vor allem in Westdeutschland (der „alten“ Bundesrepublik). 1972 sank die Anzahl der Neugeborenen unter eine Million, womit die Anzahl der Geborenen erstmals niedriger war als die der Sterbefälle (Gestorbenenüberschuss). Ausgeprägt war diese Tendenz vor allem in der alten Bundesrepublik, während es in der DDR in den 1980er-Jahren noch vereinzelt Jahre mit einem geringen Geburtenüberschuss gab. Mit der Wiedervereinigung traten auch in den neuen Bundesländern flächendeckend zum Teil erhebliche Sterbefallüberschüsse ein. Hatte sich die Zahl der jährlichen Geburten in den 1980er-Jahren auf einem Niveau zwischen 800 000 und 900 000 eingependelt (BRD + DDR), gehen die Geburtenzahlen seit 1991 – unterbrochen lediglich von einzelnen Ausnahmejahren – relativ konstant zurück.
So wurden 2018 rund 787 500 Kinder (lebend) geboren, die Zahl der Sterbefälle lag hingegen bei knapp 955 000. Daraus ergibt sich ein Geburtendefizit bzw. Sterbeüberschuss von rund 167 500 im Jahr 2018. Ohne Nettozuwanderung würde die Bevölkerung in Deutschland also schrumpfen, denn allein im Zeitraum 2011 bis 2018 lag der Überschuss an Gestorbenen bei knapp 1,4 Millionen.
Räumliche Muster
Die räumlichen Muster der natürlichen Bevölkerungsveränderung belegen, dass die demographische Entwicklung wesentlich von sozialökonomischen Faktoren beeinflusst wird. Überdurchschnittliche Geburtenraten gibt es in Großstädten und in ihrem unmittelbaren Umland, die sich als wirtschaftliche Zentren durch gute Infrastruktur und ein breites Angebot an Arbeitsplätzen auszeichnen. Dies hält bzw. zieht vor allem junge Menschen an, die eine Familie gründen wollen oder dies bereits getan haben. Zugleich ist der Anteil von Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit hier vergleichsweise hoch (s. ausländische Bevölkerung in Karte 84.1). In diesen Bevölkerungsgruppen sind junge Erwachsene wiederum stärker vertreten als in der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund (s. Altersdiagramme in Abb. 84.6), so dass es alleine dadurch zu höheren Geburtenraten kommt.
Unter den ländlichen Gebieten mit hohen Geburtenraten (und teilweise positivem natürlichen Bevölkerungssaldo) sticht eine Region nahe der niederländischen Grenze in Niedersachsen hervor (Landkreise Emsland, Cloppenburg und Vechta, s. 28.1), die neben einem vergleichsweise traditionellen katholischen Milieu auch eine relativ niedrige Arbeitslosenquote sowie eine hohe wirtschaftliche Leistungskraft aufweisen. Besonders niedrige Geburtenraten gibt es dagegen in weiten Teilen Ostdeutschlands, in den strukturschwachen Regionen Norddeutschlands, in altindustrialisierten Gebieten wie dem Saarland und in peripheren Räumen wie dem Grenzgebiet zu Tschechien. Diese Regionen weisen durchweg eine überdurchschnittliche Überalterung und somit einen vergleichsweise niedrigen Bevölkerungsanteil im „Kinder- und Familien-fähigen“ Alter auf (vgl. Karte 85.4).