Das Modell, das in den Karten dargestellt ist, erklärt das Risiko einer Katastrophe durch das Zusammentreffen einer Gefährdung durch ein extremes Naturereignis mit einer verwundbaren Gesellschaft. Der Grad der Verwundbarkeit ist abhängig von drei Bedingungsfeldern: der Anfälligkeit, den Bewältigungskapazitäten und den Anpassungskapazitäten.
Anfälligkeit
Die Anfälligkeit steht für den Entwicklungsstand und die sozioökonomischen Rahmenbedingungen einer Gesellschaft oder eines staatlichen Systems. Das Modell geht davon aus, dass Naturkatastrophen in Ländern mit hohem Entwicklungsstand bzw. hoher Wirtschaftskraft geringere Folgen haben als in Ländern mit niedrigem Entwicklungsstand bzw. niedriger Wirtschaftskraft. Dabei spielt auch die Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben eine wichtige Rolle. Denkbar sind wirtschaftsstarke Länder, in denen eine große Bevölkerungsgruppe unter Armut leidet. In deren Wohnvierteln könnte etwa die öffentliche Infrastruktur fehlen, die im Falle eines Wirbelsturms Voraussetzung für ein Vorwarnsystem wäre. Dies würde sich in höheren Opferzahlen als in anderen Wohnvierteln äußern.
Bewältigungskapazitäten
Die Bewältigungskapazitäten stehen für die Fähigkeit, im Falle eines extremen Naturereignisses dessen Auswirkungen zu minimieren. Das Modell geht davon aus, dass dies in Ländern mit zum Beispiel guter Regierungsführung, einer Gesundheitsversorgung auf hohem Niveau für alle Einwohner und einem verbreiteten Versicherungsschutz gegen Naturkatastrophen besser gelingt als in Ländern, die darüber nicht verfügen. Häufig sind es Länder mit hohem Entwicklungsstand bzw. hoher Wirtschaftskraft, in denen die Bewältigungskapazitäten hoch sind.
Anpassungskapazitäten
Die Anpassungskapazitäten stehen für die Fähigkeit, langfristige Strategien zu entwickeln, mit denen das Risiko, Opfer eines extremen Naturereignisses zu werden, vermindert werden kann. Das Modell geht davon aus, dass Länder mit dieser Fähigkeit ihre Anfälligkeit langfristig senken können. Dies könnte zum Beispiel durch Bildungsarbeit in Schulen zum Verhalten bei Tsunamis oder durch die Vermeidung der Besiedlung oder Nutzung stark gefährdeter Steilhänge erfolgen, die im Falle von Erdbeben ins Rutschen geraten könnten.
Gefährdung (Exposition)
Die drei Teilkomplexe der Verwundbarkeit werden jeweils durch Indikatoren erfasst und quantifiziert. Die Gefährdung ergibt sich aus den Eintrittswahrscheinlichkeiten ausgewählter extremer Naturereignisse (Erdbeben, tropische Wirbelstürme, Sturmfluten, Vulkanausbrüche, Folgen des Klimawandels; s. 268.2) in Verbindung mit der Zahl potenziell betroffener Menschen.
Weltrisikoindex
Aus der Kombination von Verwundbarkeit und Gefährdung ergibt sich der Weltrisikoindex, der in der Karte in fünf Abstufungen auf Länderebene dargestellt ist. Somit ergibt sich im Modell die Höhe des Risikos, Opfer einer Naturkatastrophe zu werden, zu wesentlichen Teilen aus gesellschaftlichen Verwundbarkeitsbedingungen und nicht allein über die Eintrittswahrscheinlichkeit oder die mögliche Stärke eines extremen Naturereignisses. Praktische Bedeutung erhält das Modell, indem die Analyse der Verwundbarkeit im Umkehrschluss zu den Möglichkeiten der Vorsorge führt. Setzt man voraus, dass das Naturereignis außerhalb menschlicher Einflussmöglichkeiten liegt, so kann das Risiko dennoch durch die Herabsetzung der Verwundbarkeit aktiv gemindert werden.