Huerta von Murcia - Bewässerungslandwirtschaft

Spanien - Landwirtschaft
978-3-14-100919-4 | Seite 109 | Abb. 2| Massstab 1 : 200000

Überblick

Als Huerta werden gartenbaulich intensiv genutzte, vorzugsweise in Flussauen gelegene Flächen bezeichnet. Die Huerta von Murcia beginnt westlich von Murcia, nachdem der Fluss Río Segura von Norden kommend die östlichen Gebirgsausläufer der Betischen Kordillere durchbrochen hat und bei Alcantarilla rechtwinklig in eine tektonische Längssenke abbiegt. Sie liegt unweit des Mittelmeers, etwa 80 Kilometer von Alicante entfernt (s. Karte 108.1).
Die bewässerten Flächen lassen sich unterschiedlichen Entwicklungsphasen zuordnen. Neben der traditionell bewirtschafteten Fläche in der Flussaue fand eine Ausweitung der Anbauflächen zunächst auf der Grundlage von Brunnenbewässerung, später mit Wasser aus Fernleitungen statt. Dadurch wurden Flächenverluste in der Flussaue infolge von Siedlungswachstum mehr als kompensiert.

Naturräumliche Gegebenheiten

Die Huerta hat eine mehr als tausendjährige Kulturtradition und gehört zu den ältesten Bewässerungsgebieten am Río Segura. Sie ist sowohl nach Nordwesten als auch nach Südosten gegen Starkwinde und Kälteeinbrüche geschützt. Januartemperaturen mit einem mittleren Minimum von 4,6 °C und einem mittleren Maximum von 15,5 °C zeigen die thermische Begünstigung der Region; die Jahresdurchschnittstemperatur beträgt 17,6 °C, es werden mehr als 3 500 Sonnenstunden pro Jahr gemessen. Diese Rahmenbedingungen ermöglichen zwei bis drei Ernten pro Jahr auf einer Parzelle. Zugleich profitiert die Landwirtschaft im Südosten Spaniens von einem zeitlichen Erntevorsprung von bis zu zwei Monaten im Vergleich zu konkurrierenden Gartenbaugebieten.
Die Kehrseite der thermischen Begünstigung ist die prekäre Wasserverfügbarkeit im Sommerhalbjahr. Die durchschnittlichen Jahresniederschläge liegen in Murcia nur knapp über 300 Millimeter, die sommerliche Verdunstung ist sehr hoch. Obstbaumkulturen benötigen im Jahresdurchschnitt jedoch rund 7 000 Kubikmeter Wasser pro Hektar. Dies machte eine Bewässerung landwirtschaftlicher Intensivkulturen zwingend erforderlich. Da das Wasser dafür überwiegend dem Río Segura entnommen wird, hat die Huerta von Murcia den Charakter einer Flussoase.
Die Huerta von Murcia sieht sich mit natürlichen Risiken konfrontiert. Das geringe Gefälle der Flussaue führt bei aussergewöhnlichen Starkniederschlägen zu episodischen Überflutungen, die im Einzelfall katastrophale Ausmasse annehmen können.

Niedergang der traditionellen Landwirtschaft

Die traditionelle „Huerta-Wirtschaft“ basiert auf der Bewässerung mit Flusswasser. Die randlichen Hauptbewässerungskanäle, die das Frischwasser heranführen, zweigen bereits an der Engtalstelle nördlich von Alcantarilla an einem Stauwehr ab. Die in der Karte rot markierten Entwässerungskanäle, die das überschüssige Bewässerungswasser ableiten, münden weiter talabwärts wieder in den Fluss, sofern sie nicht Reliktwasser in andere Bewässerungskanäle einspeisen.
Auf der Basis dieses uralten Kanalbewässerungssystems und eines nicht minder alten Wasserrechts hatten sich in der Huerta von Murcia vorwiegend Kleinstgartenbaubetriebe ausgebildet. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde der Anteil des Wintergetreides an der bewässerten Nutzfläche zunehmend reduziert, zugunsten von Obst und Gemüse, die bis zu drei Ernten pro Jahr ermöglichten. Parallel dazu wurde die Gartenbaufläche in den Randlagen, die ausserhalb der Reichweite des Kanalbewässerungssystems lagen, durch Brunnenbewässerung immer weiter ausgedehnt.
Etwa ab den 1950er- und 1960er-Jahren setzte ein schleichender Entwertungsprozess ein, der vor allem durch eine selektive Abwanderung von Arbeitskräften aus der Landwirtschaft in die aufstrebende spanische Industrie ausgelöst wurde.

Neue Bewässerungs- und Anbauverfahren

Der allgemein steigende Wasserbedarf und konkurrierende Nutzungsansprüche durch die urbane Wohnbevölkerung, den Tourismus und andere Gewerbe setzten die Landwirtschaft als grösstem Wasserverbraucher in der Folgezeit zunehmend unter Druck. Zum Kennzeichen einer neuen Form der Bewässerungslandwirtschaft wurden moderne, wassersparende Bewässerungstechniken. Vor allem die Tröpfchenbewässerung ersetzte zunehmend nicht nur die traditionelle Furchenbewässerung, sondern auch die Beregnung im Gartenbau.
Seit 1980 wird Wasser aus dem Quellgebiet des Tajo (Luftlinie 320 Kilometer entfernt) über den Fluss Júcar in den Río Segura eingeleitet (s. Karte 108.1; Tajo-Segura-Überleitungskanal). Auch die Provinz Murcia wird so mit Wasser versorgt. Dank flexibel verlegbarer Druckrohrleitungssysteme konnte das Wasser von nun an auch in Hanglagen geführt werden und dezentrale Wasserspeicher speisen. So wurden die Hanglagen am Fuss der Gebirgsketten für Bewässerungskulturen erschlossen (s. dunkelgrüne Flächen).
Bereits auf dem traditionellen Bewässerungsland war aufgrund der günstigen klimatischen Bedingungen ein ganzjähriger Anbau in Fruchtfolge möglich. Die verstärkte Nachfrage nach Winter- und Frühgemüse führte in der Huerta von Murcia dennoch zu einer wichtigen Innovation, der Wachstumsbeschleunigung durch Plastiküberdeckungen. Die technischen Varianten reichen inzwischen von aufliegenden Plastikplanen, die lediglich „Fenster“ für einzelne Pflanzen offen lassen, über sogenannte Mikrotunnel bis hin zu begehbaren, in der Regel unbeheizten, Plastiktreibhäusern.

Strukturwandel in der Huerta

In der Huerta von Murcia ist der Wandel der Bewässerungslandwirtschaft mit einem tiefgreifenden sozioökonomischen und ökologischen Strukturwandel verbunden. Die Ausweitung der Bewässerungsflächen auf Hangpartien hat deren flächenhafte Rodung erzwungen. Die neu entstandenen Parzellen sind etwa neun Hektar gross. An den Hängen werden Erosionsprozesse verstärkt, in deren Folge die Ablagerung von Sedimenten in der Flussaue zunimmt.
Die kapitalintensiven technischen Modernisierungen waren für die traditionellen Kleinstbetriebe im Regelfall unerschwinglich. Deshalb herrschen inzwischen Mittelbetriebe vor, die ihre Produkte überwiegend genossenschaftlich vermarkten. Trotz eines erhöhten Mechanisierungsgrads ist der Arbeitskräftebedarf in der Huerta-Wirtschaft weiterhin beträchtlich. Als Arbeitskräfte werden zunehmend Migranten aus Nordafrika, Lateinamerika und Osteuropa eingesetzt, die nicht selten illegal beschäftigt werden.
Physiognomisch dominantes Merkmal für den aktuellen Strukturwandel ist die Suburbanisierung. Sie äussert sich in Neubauflächen im Anschluss an traditionelle Ortskerne und in einer ungeordneten Ausweitung der Streusiedlungen innerhalb der Flussaue. Inzwischen sind mehr als 50 Prozent der einstigen Huerta-Fläche versiegelt.

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