Überblick
Der Übergangsbereich zwischen den Festlandsmassen des amerikanischen Doppelkontinents wird von zwei Randmeeren des Atlantischen Ozeans eingenommen, dem Golf von Mexiko im Norden und dem Karibischen Meer im Süden, die im Westen durch eine Landbrücke und im Osten durch Inselbögen begrenzt werden. Der Raum wird von einer Vielzahl größerer und kleinerer Staaten eingenommen.
Geographische, kulturelle und politische Vielfalt
Auf der indigen und kolonialspanisch geprägten Landbrücke liegen Mexiko, das geographisch bis zum Golf von Tehuantepec zu Nordamerika zählt, sowie sieben Kleinstaaten. Diese Teilregion vermittelt nicht nur den Nord-Süd-Verkehr über die Panamericana, sondern hat auch Brückenfunktion zwischen dem Atlantischen und Pazifischen Ozean (u. a. durch den 1914 in Betrieb genommenen Panama-Kanal sowie querende Eisenbahn-, Straßen- und Pipeline-Verbindungen). Mittelamerika liegt in den Tropen, lediglich der äußerste Norden Mexikos nahe der Grenze zu den USA ist den Subtropen zuzuordnen.
Die östliche Begrenzung Mittelamerikas bilden die Inselgruppen der Bahamas sowie die Großen und Kleinen Antillen. Es handelt sich um eine Vielzahl unterschiedlich strukturierter Klein- und Mikrostaaten bzw. -territorien, die ihre Unabhängigkeit erst nach dem Zweiten Weltkrieg erlangten oder weiterhin keine volle Souveränität besitzen. Die ethnische und politische Vielfalt dieser Region resultiert aus der Kolonialzeit. Die Guayana-Länder im Südosten (teilweise außerhalb des Kartenausschnitts) sind aus soziokulturellen und ökonomischen Gründen ebenfalls dem karibischen Bereich zuzuordnen.
Die größeren Länder nach Fläche, Bevölkerung und Wirtschaft (Venezuela, Kolumbien und vor allem Mexiko) streben eine Stellung als lateinamerikanische „Mittelmächte“ an. Der Gesamtraum wird seit dem 19. Jahrhundert politisch und wirtschaftlich durch die Großmacht USA dominiert, die Mittelamerika als ihren „Hinterhof“ betrachtet und Mexiko in der NAFTA und deren Nachfolgeabkommen USMCA bereits wirtschaftlich stark an sich gebunden hat, wobei Anfang 2025 Zollkonflikte auf wirtschaftliche Interessenskonflikte hindeuteten.
Die natürlichen Gunsträume Mittelamerikas werden zugleich in hohem Maße durch Naturkatastrophen bedroht (s. 170.1). Neben den tropischen Wirbelstürmen, die insbesondere in der Karibik auftreten, kommt es zu Vulkanausbrüchen und Erdbeben (s. 168.1), die in unregelmäßigen Abständen Menschenleben und Sachwerte vernichten. Besonders betroffen ist der pazifische Teil der Landbrücke.
Landwirtschaft und Bergbau
Der mittelamerikanische Wirtschaftsraum wird heute stark durch die Landwirtschaft bestimmt (s. 142.1). In den meisten Staaten dominieren ein bis zwei agrarische Exportprodukte, wodurch sich eine starke Abhängigkeit von den Weltmarkterlösen dieser Devisenbringer ergibt. In vielen Fällen hat die staatlich geförderte Exportproduktion in Großbetrieben die bäuerliche Landwirtschaft, die sich auf Selbstversorgung sowie lokale und regionale Märkte orientiert, verdrängt.
Ein raumprägendes Strukturmerkmal ist die Plantagenwirtschaft ausländischer Kapitalgesellschaften in agroindustriellen Großbetrieben. Man versteht hierunter nicht nur eine bestimmte Form der agrarischen Produktion, sondern zugleich ein soziales und politisches System, dessen Wurzeln bis in die Kolonialzeit zurückreichen und das seinen Höhepunkt um 1900 erreichte. Die wichtigsten Produkte sind Zuckerrohr, Bananen und Palmöl, außerdem werden Baumwolle, Kakao, Zitrusfrüchte und Ananas sowie in geringerem Maße Kaffee und Tabak in Plantagen angebaut. Kaffee wird überwiegend in bäuerlichen Betrieben, nicht in Plantagen erzeugt. Die Kaffeeerzeuger bilden vielerorts Genossenschaften, um den erzeugten Kaffee gemeinsam zu verarbeiten und zu vermarkten.
Mittelamerika ist reich an Energierohstoffen. Vor allem Erdöl und Erdgas werden in großem Umfang gefördert (Mexiko, Venezuela, Kolumbien, Trinidad und Tobago), teilweise im Offshorebereich, in Kolumbien und im Norden Mexikos kommt der Steinkohlenbergbau hinzu. Die genannten Energierohstoffe bilden eine Grundlage für die Stromerzeugung in Mittelamerika, außerdem kommen Wasserkraftwerke sowie in Mexiko und insbesondere in den USA auch Kernkraftwerke dazu.
Darüber hinaus werden in großem Umfang Buntmetallerze (Mexiko), Stahlveredler (Kuba), Edelmetalle (Mexiko, Kolumbien, Honduras, Nicaragua) sowie Eisenerz (Venezuela) gefördert. Die Erze werden zum einen exportiert, sie bilden zum anderen auch die Grundlage für Verhüttungsstandorte.
Industrie
Im sekundären Wirtschaftssektor treten im Kartenbild die Schwerpunkte im Süden der USA, im östlichen und zentralen Mexiko und im nördlichen Südamerika hervor. Orientiert auf die Erdöl- und Erdgasvorkommen sowie Pipelinestandorte, konzentrieren sich Großraffinerien und die chemische Industrie in wenigen Teilräumen, vor allem an den Küsten des Golfs von Mexiko bzw. des Karibischen Meers.
Moderne Wachstumsindustrien finden sich vor allem in den USA und im Norden Mexikos nahe der Grenze zu den USA. Standorte der Elektronik, Elektrotechnik und Luftfahrtindustrie befinden sich zum Beispiel in Tijuana, Ciudad Juárez, Chihuahua, Monterrey und Nuevo Laredo. Dort spielt die Maquiladora-Industrie eine quantitativ herausragende Rolle. Größter Einzelstandort der Elektronikindustrie in Mexiko ist aber Guadalajara mit mehreren zehntausend Beschäftigten. Dort produzieren global agierende Unternehmen wie Intel, HP und Flex (einer der größten Auftragsfertiger von Elektronikprodukten weltweit, u. a. für Microsoft, Sony und Apple).
Mexiko ist darüber hinaus ein Schwerpunkt des Kraftfahrzeugbaus und seiner Zulieferer, beispielsweise ist der Volkswagen-Konzern dort stark vertreten (Pkw-Werk in Puebla, Lkw-Produktion in Querétaro).
Von wenigen Ausnahmen abgesehen (wie Mexiko-Stadt) überwiegt in den übrigen Teilen Lateinamerikas die Leichtindustrie (Textil-, Nahrungs- und Genussmittelbranche sowie Holzverarbeitung).
Dienstleistungen
Als Dienstleistungsstandorte heben sich vor allem die Hauptstädte ab, in denen sich politisch-administrative Funktionen und Bildungseinrichtungen konzentrieren. Der Tourismus hat für die kleineren Karibik-Inseln und Standorte im Pazifischen Küstenbereich eine große Bedeutung erlangt. Costa Rica, die Halbinsel Yucatán in Mexiko, die Bahamas, Kuba und die Dominikanische Republik sind die wichtigsten Ziele in der Region. Es dominiert der Bade- und Kreuzfahrttourismus.
Spezielle Dienstleistungen im internationalen Finanzgeschäft ließen u. a. auf den Bahamas, den Cayman-Inseln und in Panama punktuell größere Bankzentren entstehen, die als Steueroasen einzustufen sind und eine bedeutende, aber oft kritisch bewertete Rolle in der globalisierten Wirtschaft spielen.
Einkommen, Armut und Entwicklungsstand
Der Entwicklungsstand der Länder Mittelamerikas kann zum Beispiel mithilfe von Indikatoren wie dem HDI und dem Bruttonationaleinkommen (BNE) verglichen und eingeordnet werden. Das BNE pro Kopf (s. 188.2) lag 2023 in den meisten Ländern Mittelamerikas etwas unter oder über dem Weltdurchschnitt und ist damit ungefähr mit jenem in Indien oder China vergleichbar, jedoch deutlich höher als in weiten Teilen Afrikas und im südöstlichen, südlichen und zentralen Asien. Lediglich in Honduras, Nicaragua und Haiti wich der Wert vom Weltdurchschnitt deutlich nach unten ab, vergleichbar mit Ländern wie Nigeria oder Pakistan.
Allerdings muss beachtet werden, dass dieser Indikator als Durchschnittswert allein keine Aussage über die Einkommensverteilung innerhalb eines Landes zulässt und große Einkommensgegensätze möglicherweise verschleiern kann. Daher sollte er zum Beispiel um die Betrachtung der Armutsverteilung ergänzt werden (s. 190.1). Hier zeigen sich für Mittelamerika jedoch kaum Abweichungen, da der Anteil armer Menschen an der Gesamtbevölkerung 2024 nur in Belize, Honduras und Haiti leicht über dem Weltdurchschnitt von 9 % lag. Dies deutet in Verbindung mit den ähnlich verteilten Pro-Kopf-Einkommen 2023 in diesen Staaten auf keine besonders ungleiche Einkommensverteilung hin, anders als in einigen Staaten Südamerikas (vgl. 162.1).
Nach dem HDI (s. 188.1) zu urteilen, zählten Costa Rica, Panama, die Bahamas und einige Staaten und Gebiete der Kleinen Antillen 2022 zur Gruppe der sehr hoch entwickelten Länder (wie auch fast alle europäischen Staaten), während die meisten anderen Staaten Mittelamerikas der Gruppe hoch entwickelter Länder zuzurechnen sind (wie auch China, Iran, Südafrika, einige Staaten im Norden Afrikas sowie Mexiko und Indonesien). Guatemala, El Salvador, Honduras, Nicaragua und Haiti waren hingegen als einzige Länder Mittelamerikas 2022 zur Gruppe der Länder mit mittlerem Entwicklungsstand zuzurechnen (wie Indien und einige Staaten des südlichen Afrikas).