Überblick
Als Mittelrhein wird der Rheinabschnitt zwischen Bingen und Bonn bezeichnet, wo der Rhein als enges, vielfach gewundenes Durchbruchstal durch das Rheinische Schiefergebirge verläuft. Im Jahr 2002 wurde das Obere Mittelrheintal zwischen Bingen im Süden und Koblenz im Norden zum Weltkulturerbe ernannt. Die UNESCO begründete dies mit drei Kriterien: Erstens ist der Rhein seit zwei Jahrtausenden eine der wichtigsten Verkehrsadern Europas. Zweitens ist das Mittelrheintal aufgrund der Geologie und der Eingriffe durch den Menschen eine einmalige Kulturlandschaft. Drittens zeigt die Region beispielhaft eine traditionelle Bewirtschaftung in einem engen Flusstal, was besonders am Weinbau zu sehen ist.
Die Karte zeigt einen Abschnitt des Mittelrheintals bei Sankt Goar und dem gegenüberliegenden Sankt Goarshausen.
Der Mittelrhein als Kulturlandschaft
Seit über zweitausend Jahren dient der Mittelrhein als wichtige Verkehrsader zwischen der Mittelmeerregion und Nordeuropa. Neben der Schifffahrt sind die Eisenbahnstrecken und Bundesstraßen beidseitig des Rheins heute weitere bedeutsame Verkehrsverbindungen.
Die historische Bedeutung der Region zeigt sich in zahlreichen Burgen und Ruinen (z. B. Marksburg, Burg Katz, Burgruine Rheinfels, Burginsel Pfalzgrafenstein). An den Talhängen wird nachweislich seit dem 8. Jahrhundert Wein angebaut. Heute werden allerdings viele steile und schwer zugängliche Weinlagen nicht mehr bewirtschaftet – hier haben sich stattdessen einzigartige und artenreiche Naturräume ausgebildet. Weitere historische Nutzungsarten im Mittelrheintal waren die Schiefergewinnung und die Niederwaldwirtschaft. Die Landwirtschaft beschränkt sich bis heute auf die Hochflächen, die vom Rheintal aus nur schwer zugänglich sind.
Der Rheintourismus
Seit dem 19. Jahrhundert bildet der Tourismus einen weiteren Schwerpunkt der Wirtschaft des Mittelrheins. In der Zeit der Romantik kam besonders in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter dem mobiler werdenden europäischen Adel und dem aufstrebenden Bürgertum eine regelrechte Rheintal-Nostalgie und -Euphorie auf. Bedeutende Dichter, Denker, Schriftsteller und Maler aus Deutschland, England und Frankreich begründeten die sogenannte Rheinromantik, eine schwärmerische Verklärung des einfachen und harten Lebens im Mittelrheintal jenseits der zahlreicher werdenden Orte der Industrialisierung. Im Zuge dessen wurde das Kulturerbe im Mittelrheintal gezielt erhalten und stellenweise sogar nach- oder ausgebaut. Von der Rheinromantik zehrt der Tourismus daher noch heute.
Das touristische Angebot ist vielfältig: Das Mittelrheintal bietet zahlreiche Wander- und Radwanderwege, die Möglichkeiten von Schifffahrten und des Besuches verschiedener Museen (u. a. Puppenmuseum in Sankt Goar, Weinmuseum in Sankt Goarshausen). Das Beherbergungsgewerbe ist mit verschiedenen Einrichtungen wie Hotels und Gasthäusern, Jugendherbergen und Campingplätzen vertreten. Darüber hinaus sind im Kartenausschnitt je ein Freibad und ein Hallenbad sowie zwei Jachthäfen verzeichnet.
Der Loreley-Felsen
Zu einem Schwerpunkt des Tourismus hat sich die Loreley mit den beiden Städten Sankt Goar und Sankt Goarshausen entwickelt. Ein bedeutsames Tourismusziel ist dabei die Loreley, ein markanter Fels am rechten Rheinufer und Ort purer Rheinromantik. Der 123 m über den Rhein ragende Felsen engt den Fluss auf eine Breite von 113 m ein. Eine vor der Loreley im Flussbett liegende Sandbank und quer verlaufende Felsrippen verursachen starke Strudel, die für die Schifffahrt sehr gefährlich werden können. Die gefährlichsten Felsen der Loreley wurden daher in den 1930er-Jahren gesprengt. Dennoch ist die Loreley ein mythischer Ort, von dem viele Menschen meinen, dass sie ihn in ihrem Leben gesehen haben müssen. Rund um die Loreley gibt es viele Mythen und Sagen. So schrieb der Dichter Clemens Brentano 1800 eine romantische Ballade mit dem Namen Lorelei. Einer Legende aus dem 19. Jahrhundert zufolge ist die Loreley eine Nixe, die auf dem besagten Felsen ihre langen, goldenen Haare kämmte und sang. Dadurch waren die vorbeifahrenden Schiffer abgelenkt und achteten trotz der gefährlichen Strömung nicht auf den Kurs, sodass ihre Schiffe an den Felsen zerschellten. Zur Erinnerung daran befindet sich heute eine Bronzestatue der Loreley an der Hafenmole von Sankt Goarshausen. Auch Heinrich Heine dichtete über „Die Lore-Ley“ („Ley“ ist ein altes Wort für Fels oder Klippe).
Touristen finden hier zudem ein Besucherzentrum und eine Freilichtbühne mit gelegentlichen Großveranstaltungen wie z. B. Rockkonzerte. Direkt vor Ort befindet sich ein Kultur- und Landschaftspark, der die rheinromantische Mystifizierung der Loreley thematisiert. Außerdem gibt es mit eine beliebte Sommerrodelbahn. Auf der anderen Seite des Rheins lassen einige durch Wanderwege und -steige verbundene Aussichtspunkte schöne Blicke auf die Loreley zu.
Die Loreley und die über 40 Burgen des Oberen Mittelrheintals sind ein Inbegriff der romantischen Rheinlandschaft. Die meisten Burgen entstanden zwischen dem 12. und der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Der Großteil der Burgen wurde im Dreißigjährigen Krieg und im Pfälzischen Erbfolgekrieg zerstört und mit dem Aufkommen der Rheinromantik z. T. neu aufgebaut.
Die Tourismusorte Sankt Goar und Sankt Goarshausen
Auf der linken Rheinseite, oberhalb von Sankt Goar, erhebt sich die Burgruine Rheinfels. Die Burg wurde im 13. Jahrhundert gebaut und war lange die bedeutendste Festung der Umgebung. Die gegenüberliegende Burg Katz stammt aus dem 14. Jahrhundert. 1806 wurde sie von französischen Truppen zerstört; heute beherbergt das neu errichtete Gemäuer ein Hotel. Unmittelbar nördlich der beiden Rheinstädtchen ist der Bau einer Straßenbrücke im Gespräch, da zwischen Koblenz und Mainz sonst keine weitere Brückenverbindung mehr besteht. Allerdings würde ein solches Projekt wohl im Konflikt mit dem Status des Oberen Mittelrheintals als UNESCO-Welterbe stehen, weswegen sich hier keine schnelle Lösung abzeichnet.
Sankt Goar und Sankt Goarshausen haben sich auf den Tourismus spezialisiert; viele der Einwohner arbeiten in Hotels und Gasthäusern. Bei den Gästen sehr beliebt sind Rheinkreuzfahrten. Ein weiteres wirtschaftliches Standbein ist der Weinbau, der ebenfalls eng an den Tourismus geknüpft ist. Für Wanderer gibt es ein gut ausgebautes Wegenetz. All dies trifft in ganz ähnlicher Weise für Oberwesel zu, das am südlichen Kartenrand liegt.
Tourismus im Wandel und Verkehrsbelastung
Ab den 1950er-Jahren bis zum Ende der 1980er-Jahre erlebte das Mittelrheintal einen Tourismusboom. Seit Beginn der 1990er-Jahre ebbte dieser Boom jedoch deutlich ab. Während mehrtägige Urlaubsaufenthalte stark abnahmen, dominieren heute eintägige Ausflugsfahrten per Schiff, Bus oder Pkw. Die Zahl der Übernachtungsgäste war deshalb zwischen 1985 und 1995 stark rückläufig. Seit Ende der 1990er-Jahren steigen die Gästezahlen wieder leicht an, sodass die Transformation des Übernachtungsangebots und der damit einhergehenden touristischen Infrastruktur als gelungen angesehen werden kann.
Ein großes Problem für die im Oberen Mittelrheintal lebende Bevölkerung ist die Belastung durch Lärm und Schadstoffe infolge des intensiven Schienen-, Straßen- und Schiffsverkehrs in diesem Nadelöhr zwischen Hunsrück sowie Taunus und Westerwald. Gerade die links- und rechtsrheinisch verlaufenden Bahnstrecken stellen die wichtigste Güterverkehrsverbindung auf der Schiene zwischen den BENELUX-Staaten mit den Nordseehäfen Rotterdam und Antwerpen sowie dem Ballungsraum Rhein-Ruhr auf der einen, und Süddeutschland, der Schweiz und Norditalien auf der anderen Seite dar. Ein geplanter Umgehungstunnel mit einer Gesamtlänge von über 100 Kilometern besteht bislang nur als Idee.
H. Kiegel