Osteuropa - Geopolitik

Osteuropa - Wirtschaft und Konflikte
978-3-14-100900-2 | Seite 151 | Abb. 2| Maßstab 1 : 20000000

Überblick

Durch Osteuropa verläuft mit der EU-Außengrenze eine Linie, die eine unterschiedliche starke europäische Integration und Annäherung markiert. Akzentuiert wird die Trennung durch den von Russland unterstützten Separatismus in Moldau (Transnistrien), Georgien (Abchasien, Südossetien) und der Ostukraine („Volksrepubliken“ Luhansk, Donezk) sowie besonders durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Ukraine, Moldau und Georgien streben deshalb verstärkt in die Europäische Union. Belarus (Weißrussland) gerät immer stärker in den Einflussbereich Russlands.

Ende des Ost-West-Konflikts

Bis in die späten 1980er-Jahre war Europa durch den Ost-West-Konflikt in zwei einander feindlich gegenüberstehende Blöcke geteilt. Ab 1985 versuchte Michael Gorbatschow die Sowjetunion durch Reformen zu erneuern („Glasnost“, „Perestroika“), scheiterte damit aber. 1989/90 erfasste ein rascher Demokratisierungsprozess die Staaten des sowjetischen Machtbereichs; der Warschauer Pakt löste sich 1991 auf. Selbstständigkeitsbestrebungen innerhalb der UdSSR machten sich zuerst in den baltischen Republiken Estland, Lettland und Litauen bemerkbar. Auch brachen nicht gelöste Nationalitätenkonflikte wieder auf, besonders im Kaukasus.

Wirtschaftliche Probleme, zentrifugale Tendenzen und schließlich der fehlgeschlagene Putsch gegen Gorbatschow beschleunigten die Auflösung der Sowjetunion im Dezember 1991. Auf ihrem einstigen Territorium konstituierte sich – ohne die baltischen Republiken – eine lose Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Ihr gehörten die nun selbstständigen Staaten Russische Föderation, Belarus, Ukraine, Moldau (Moldawien), Georgien, Armenien, Aserbaidschan sowie in Zentralasien Kasachstan, Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisistan an.

Von anhaltender politischer Instabilität, wirtschaftlicher Unterentwicklung, ethnischen und sozialen Konflikten sowie islamistischem Terrorismus gekennzeichnet war der zur Russischen Föderation gehörende Nordkaukasus. Gegen das nach Selbstständigkeit strebende Tschetschenien führte Russland 1994–96 und 1999–2009 zwei Kriege.

Neuorientierung

Die ehemaligen Ostblockstaaten orientierten sich Richtung Westen: Polen, die Tschechische Republik und Ungarn traten 1999 der NATO bei, 2004 folgten die drei baltischen Staaten, Bulgarien, Rumänien, die Slowakei und mit Slowenien der erste Staat aus der Konkursmasse des kommunistischen Jugoslawien. In weiteren Schritten traten Albanien (2009), Montenegro (2017) und Nordmazedonien (2020) der Nordatlantischen Allianz bei. Acht ostmitteleuropäische Staaten wurden 2004 Mitglieder der Europäischen Union (EU); Rumänien und Bulgarien folgten 2007, Kroatien 2013. Die Staaten des sogenannten Weltbalkans mit dem Kosovo als jüngstem (2008 unabhängig) blieben als (potenzielle) Beitragskandidaten aufgrund vieler demokratischer und rechtsstaatlicher Defizite sowie ungelöster nationaler Konflikte als (potenzielle) Beitrittskandidaten in der „Warteschleife“.

Die Russische Föderation als Rechtsnachfolgerin der Sowjetunion, weitaus größter GUS-Staat und einzig verbliebener mit Kernwaffen, versuchte die sowjetischen Nachfolgestaaten stärker an sich zu binden. Nie wurde die GUS aber, auch aufgrund zahlreichen Interessenskonflikte zwischen ihren Mitgliedern, ein engerer Bund. Im Gegenteil: Das politische Klima kühlte sich ab. 2008 erklärte Georgien im Zuge eines fünftägigen Kriegs gegen Russland seinen Austritt. Unter Protesten Russlands vereinbarten Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldau, die Ukraine und Belarus im selben Jahr mit der EU die Östliche Partnerschaft.

Neben der militärischen Integration in die NATO schritt auch die politische und wirtschaftliche Annäherung an die EU voran: Für Moldau, die Ukraine und Georgien stand eine Mitgliedschaft in NATO oder EU zunächst nicht zur Debatte, dennoch öffneten sich diese Staaten weiter Richtung Westen, insbesondere durch Assoziierungsabkommen mit der EU (2016/17).

Expansion Russlands

Lediglich Belarus, Armenien und die zentralasiatischen GUS-Republiken blieben enger mit Russland verbunden: wirtschaftlich im Rahmen der 2014 gegründeten Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) und politisch-militärisch durch die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) mit russischen Militärbasen etwa in Belarus, Armenien und Tadschikistan.

Daneben bildeten sich mit russischer Billigung bzw. Unterstützung seit Anfang der 1990er-Jahre völkerrechtlich nicht anerkannte Gebiete mit Zügen einer eigenen Staatlichkeit heraus: Transnistrien (Moldau) sowie Abchasien und Südossetien (Georgien). Im Zuge des „eingefrorenen“ Konflikts über die hauptsächlich von Armeniern bewohnte Exklave Bergkarabach auf dem Gebiet Aserbaidschans trat die Türkei in einem Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan (2020), der zweite nach 1992–94, neben Russland als weiterer politischer Akteur auf.

Nach der Regierungsübernahme proeuropäischer Kräfte in der Ukraine („Euro-Maidan“) Anfang 2014 gliederte Russland die russisch geprägte Halbinsel Krim seinem Staatsgebiet gewaltsam an und unterstützte außerdem den Separatismus in der Ostukraine. Trotz diplomatischer Bemühungen – durch die OSZE und unter Vermittlung Deutschlands und Frankreichs – gelang keine Befriedung. Vielmehr entwickelte sich im Osten der Ukraine ein Stellungskrieg entlang einer 450 Kilometer langen „Kontaktlinie“. Russland betrachtete sich nicht als Kriegspartei, festigte allerdings die Anbindung der beiden „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk.

Parallel zu russischen Forderungen nach weitgehenden „Sicherheitsgarantien“ für Russland (Dezember 2021), die einer Verdrängung der NATO aus Ostmitteleuropa bzw. einer Schwächung der Bündnisbindung zwischen Europa und den USA gleichgekommen wäre, marschierte die russische Armee im Westen Russlands und in Belarus auf. Der Anerkennung der ostukrainischen Separatistenrepubliken als selbstständige Staaten im Februar 2022 ließ Russland den militärischen Einmarsch in die Ukraine folgen. Die humanitär, finanziell und militärisch immer stärker von der EU und NATO unterstützte Ukraine gelang es bis Ende 2022, den russischen Vormarsch zu stoppen und Teile des von Russland besetzten Gebiets zurückzuerobern. Das Hauptkriegsgeschehen verlagerte sich vollends in den Süden und Südosten der Ukraine entlang einer 1 300 Kilometer langen Frontlinie.

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Diercke

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