Skandinavien, Baltikum - Wirtschaft

Skandinavien, Baltikum - Wirtschaft
978-3-14-100919-4 | Seite 84 | Abb. 2| Massstab 1 : 6000000

Überblick

Der Kartenausschnitt thematisiert die Wirtschaft der sieben Staaten Skandinaviens (Norwegen, Schweden, Finnland, Dänemark) und des Baltikums (Estland, Lettland, Litauen). Darüber hinaus sind aber auch die Küsten Deutschlands, Polens und der russischen Oblast Kaliningrad in der Karte enthalten, sodass die ökonomische Struktur des gesamten Ostseeraums abgebildet wird. Alle Staaten haben den Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft längst durchlaufen, dennoch gibt es Unterschiede: In Lettland ist der Anteil Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt mit ca. 4 % besonders hoch. In Norwegen (36 %) sowie in Finnland und Litauen (25 %) ist die Industrie überdurchschnittlich wichtig. In Dänemark und Schweden ist es der Dienstleistungssektor mit ca. 66 %.

Wirtschaft im Ostseeraum im Überblick

Die Länder Skandinaviens, die lange zu den ärmeren Staaten Europas zählten, geprägt vor allem durch Fischfang, Schifffahrt und Forstwirtschaft, haben in den letzten Jahrzehnten einen enormen Aufschwung erlebt. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf nach Kaufkraft ist aber nur Norwegen ähnlich wohlhabend wie die Schweiz.
Die Bevölkerungsverteilung in Skandinavien wird stark durch ein Nord-Süd- und ein Küsten-Binnenland-Gefälle geprägt. Ursächlich dafür sind sowohl klimatische und naturräumliche Gründe als auch die traditionelle Bedeutung der Hafenstandorte für Fischfang, Handel und Verkehr. Gegenüber breitenparallelen Zonen in Ostkanada macht sich die temperaturerhöhende Wirkung des Golfstromes in Skandinavien (besonders in Norwegen) in einer relativen Klimagunst bemerkbar.
Die drei Staaten des Baltikums, Estland, Lettland und Litauen, wurden nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1990/1991 wieder unabhängig. Danach wurden sie gesellschaftlich und wirtschaftlich zu erfolgreichen Transformationsländern mit sehr hohen Wachstumsraten, besonders nach ihrem EU-Beitritt im Jahr 2004. Auch heute noch sind sie in der Eurozone besonders dynamische Volkswirtschaften. Das Qualifikationsniveau ist hoch, es gibt zahlreiche Forschungseinrichtungen und viele neu gegründete Unternehmen.

Norwegen

Die wirtschaftliche Prosperität Norwegens begann in den 1970er-Jahren mit der Erschliessung seiner Öl- und Gasreserven, die das Land innerhalb kurzer Zeit zu einem der grössten Öl- und Gasexporteure der Welt machten. Begünstigt wurde der wirtschaftliche Aufschwung durch die enormen Wasserkraftressourcen zur Stromerzeugung. Norwegen kann den nationalen Elektrizitätsbedarf zu fast 90 % aus Wasserkraft decken. Die niedrigen Stromkosten begünstigten wiederum die Ansiedlung energieintensiver Industrien wie der Aluminiumverhüttung. Ein weiterer wichtiger Wirtschaftszweig ist bis heute die Schifffahrt. Norwegen unterhält eine der grössten Handelsflotten der Welt. Überdies ist das Land einer der weltweit führenden Exporteure von Fisch, wobei Lachse aus Aquakulturen die Hauptrolle spielen. Auch die Tourismusbranche ist spürbar gewachsen. Mit einem BIP pro Kopf in Kaufkraftstandards von rund 78 000 zählte Norwegen 2022 zu den reichsten Ländern der Welt (Dänemark 71 300, Island 67 200, Schweden 66 100, Finnland 58 400, Litauen 47 100, Estland 44 600, Lettland 39 200; zum Vergleich Schweiz 86 300 / alle Angaben in internationalen Dollar [$]).

Schweden

Die schwedische Wirtschaft ist breit gefächert. Das Spektrum international konkurrenzfähiger Branchen reicht von der Holz-, Zellstoff-, Papier- und Möbelindustrie über die verarbeitenden Industrien (Fahrzeug- und Maschinenbau, Elektrotechnik, Pharmazie) bis zur Informationstechnologie und Biotechnik. Einige der traditionellen, global agierenden Grossunternehmen sind aber nicht mehr in schwedischem Besitz (wie die PKW-Sparte von Volvo, die dem chinesischen Fahrzeugkonzern Geely gehört), sind offiziell im Ausland angesiedelt (wie IKEA in den Niederlanden) oder sind insolvent (wie der Automobilhersteller Saab). Die wichtigsten Exportmärkte sind Norwegen und Deutschland, gefolgt von den USA, Finnland und Dänemark, die bedeutendsten Exportwaren sind Maschinen, elektronische Geräte, Fahrzeuge, Erdölprodukte, Papierwaren, Eisen und Stahl.

Finnland

Die finnische Wirtschaft hat in den letzten Jahrzehnten überdurchschnittlich stark von der Globalisierung profitiert, war aber durch ihre starke Exportorientierung von der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 auch sehr viel stärker betroffen als andere Industrienationen. Die wichtigen Industriezweige, auf die ein Grossteil der finnischen Exporte entfällt, sind die Chemische Industrie, die Holz- und Papierindustrie (vgl. Karte 85.3), die Metall- und Elektroindustrie sowie der Maschinenbau. Nokia, der früher weltweit grösste Hersteller von Mobiltelefonen, hat nach 2010 massiv Marktanteile verloren, hat Namensrechte teilweise verkauft, ist heute aber noch im Bereich der Telekommunikationsnetzwerke aktiv. Aufgrund seiner geographischen Lage und einiger energieintensiver Industrien ist der durchschnittliche Energieverbrauch in Finnland ungewöhnlich hoch. Der Pro-Kopf-Verbrauch an Primärenergie liegt mit 68 MWh pro Jahr bei fast dem Doppelten des EU-Durchschnitts. Die Energiequellen waren 2021 zu 57 % Öl, Erdgas und Kohle, zu 35 % erneuerbare Energien und zu 19 % Kernenergie. Seit der Eskalation des Ukraine-Krieges 2022 hat sich dieser Mix erheblich verändert (s. Karte 75.4).

Dänemark

Die dänische Wirtschaft ist gekennzeichnet durch eine Vielzahl hoch spezialisierter mittelständischer Industrie- und Dienstleistungsunternehmen, die oft technologisch zur Spitzenklasse gehören, etwa im Bereich Pharmazie, Unterhaltungselektronik, Windkraftanlagen, Bekleidung oder Spielwaren. Daneben spielen der Maschinenbau, die Tourismusbranche und die Lebensmittelindustrie bedeutende Rollen. Etwa ein Drittel des dänischen Bruttoinlandsproduktes wird durch Exporte erwirtschaftet. Zu den wichtigsten Exportartikeln zählen Pharmazeutika, Maschinen und Lebensmittel. Seit 2002 ist das Land darüber hinaus auch Exporteur von Erdgas und Erdöl. Wichtigster Aussenhandelspartner Dänemarks ist Deutschland, gefolgt von Schweden und den Niederlanden. Das ökonomische Zentrum des Landes ist die Hauptstadtregion Kopenhagen mit einem Anteil von 40 % am BIP.

Estland

Der nördlichste Staat des Baltikums ist Estland. Seine wichtigsten Branchen sind Finanzdienstleistungen, Transport, Tourismus, Handel, Telekommunikation, die Immobilien- und Baubranche, die Land- und Forstwirtschaft und die Fischerei. Die bedeutendsten Exportgüter sind Erdöl und Erdölerzeugnisse, Elektronik und Holz. Moderne Logistikzentren und Sonderwirtschaftszonen gibt es an wichtigen Verkehrsachsen und -knoten. Estland ist aber auch der europäische Vorreiter bei der digitalen Transformation. Der technologische Vorsprung beruht auf innovativen IT-Lösungen, besonders auch für die Industrie 4.0. Inspiriert von Finnland liegt Estland auch bei der Schulbildung und der Bekämpfung der Korruption weit vorn.

Lettland

Riga, die lettische Hauptstadt, hat eine Bevölkerungszahl von ca. 610 000 (mit Vororten ca. 1 Mio.) und ist damit die grösste Stadt des Baltikums und auch dessen wichtigstes Handels- und Dienstleistungszentrum. Die bedeutendsten Industriezweige Lettlands sind die Holz- und Papierverarbeitung, der Bau von Maschinen und Fahrzeugen, die Nahrungsmittelbranche, die Textilherstellung und die Metallproduktion. Lettland ist mit dem Hafen Ventspils und dem Flughafen Riga das zentrale baltische Verkehrsdrehkreuz. Das Land exportiert hauptsächlich Holz und Holzprodukte, Metallwaren, Glasfasererzeugnisse und Aluminiumlegierungen.

Litauen

Litauen ist mit 2,9 Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern das bevölkerungsreichste Land des Baltikums. Neben der Hauptstadt Vilnius (Bevölkerung 570 000) ist Kaunas ein weiteres Industriezentrum. Bedeutend für den Aussenhandel ist der Tiefwasserhafen in Klaipeda. Die wichtigsten industriellen Branchen sind Nahrungsmittel, Chemie und Pharmazie. Litauen exportiert insbesondere Lebensmittel, Möbel, Holz, Plastik, Düngemittel und Metallerzeugnisse. Energie muss überwiegend importiert werden.

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