Überblick
Das mittlere und südlichere Nordamerika mit den Vereinigten Staaten, dem Süden Kanadas und Norden Mexikos, erstreckt sich zwischen dem Pazifischen Ozean im Westen und dem Atlantischen Ozean im Osten auf der Höhe des 50. Breitengrades über ungefähr 70 Längengrade, im Süden auf der Höhe des nördlichen Wendekreises hingegen nur noch über 40 Längengrade. Die Verjüngung der nordamerikanischen Landfläche von Nord nach Süd ist im Kartenbild also gut zu erkennen. Dieser Raum kann in drei Großlandschaften gegliedert werden: das junge Faltengebirge der nördlichen Kordilleren im Westen (hier in Ost-West-Richtung auf bis zu 1500 Kilometer aufgespreizt), die weiten, zum Mississippi-Tal sacht abfallenden und zu den Appalachen wieder ansteigenden Ebenen, sowie die Appalachen und die östlich vorgelagerte Küstenebene.
Junge Faltengebirge im Westen
Im Westen Nordamerikas ist die Landschaft von geologisch jungen, von Norden nach Süden verlaufenden Faltengebirgen geprägt, den nördlichen Kordilleren, die über die mittelamerikanische Landbrücke hinweg ihre Fortsetzung in den südlichen Kordilleren Südamerikas, den Anden, finden. Bereits im äußersten Nordwesten der Karte ist die Aufteilung der Kordilleren in das pazifiknahe Küstengebirge (westliche Kordilleren) und die bereits 300 Kilometer weiter im Landesinneren verlaufenden Rocky Mountains (östliche Kordilleren) zu erkennen. Während die langgestreckten, hohen Rocky Mountains weiter in südöstliche Richtung verlaufen, knicken die südlichen Folgegebirge des Küstengebirges – die Kaskadenkette, die Küstenkette mit der Sierra Nevada im Osten des Kalifornischen Längstals, sowie das Niederkalifornische Gebirge und auf dem Festland die Westliche Sierra Madre – an der kanadischen Grenze in eine meridionale Richtung ab. Im Landesinneren entfernen sich die Rocky Mountains hingegen immer weiter von der Küste, so dass mit der Bitterrootkette und der Wasatchkette, zahlreichen kleineren Gebirgsmassiven, Einzelbergen, großen Becken- und Plateaulandschaften (Great Basin, Colorado-Plateau), Hochebenen, tief eingeschnittenen Flusstälern (Grand Canyon, Snake Canyon), Salzseen und abwechslungsreichen Erosionsformationen wie dem Monument Valley oder Painted Desert, ein reichhaltiger geomorphologischer Formenschatz in dem bis 1500 Kilometer breiten Gebirgsraum zwischen dem westlichen Küstengebirgsstrang und den östlichen Rocky Mountains eingelagert ist. Jenseits der durch den Rio Grande markierten mexikanischen Grenze finden die Rocky Mountains in der Östlichen Sierra Madre ihre Entsprechung. Zwischen den am südwestlichen Kartenrand wieder aufeinander zulaufenden Strängen der Westlichen und Östlichen Sierra Madre liegt eingebettet das Hochland von Mexiko. Die Berggipfel in diesem gesamten System erreichen von Nord nach Süd und West nach Ost durchweg Höhen von 3000 bis knapp 4500 Metern – der Mount Whitney in der kalifornischen Sierra Nevada ist mit 4421 m jedoch der höchste Gipfel.
Die Berge haben einen großen Einfluss auf die klimatischen Bedingungen, da sie als Barriere für die vorherrschende Westströmung der mittleren Breiten wirken (s. 141.4). An der Westküste gibt es dementsprechend weit verbreitete, aufsteigende Niederschläge, während der Zwischenraum zwischen dem westlichen und östlichen Kordillerenstrang oft sehr trocken ist. Das Tal des Todes (Death Valley) liegt auf –86 m, weit unter dem Meeresspiegel. Dort wurde 1913 die weltweit höchste Lufttemperatur gemessen (56,7 °C, Hitzerekord der Erde).
Eine tektonische Transformationsstörung verläuft durch den südlichen Abschnitt der pazifischen Küstenkette, wo sich die nordamerikanische Platte (2,5 cm pro Jahr nach Süden) und die pazifische Platte (8 cm pro Jahr nach Nordwesten) am San-Andreas-Graben seitlich aneinander vorbei bewegen. Hier kommt es immer wieder zu sehr starken Erdbeben (s. 168.1 und 170.1).
Weite Ebenen und die Hügel der Great Plains
Der junge Faltengebirgsgürtel der nördlichen Kordilleren wurde Richtung Osten auf den geologisch alten, tektonisch stabilen Kanadischen und Amerikanischen Schild angefaltet. Dieser besteht aus weiten Ebenen (z. B. Great Plains), die nach Osten hin allmählich abfallen und in denen die Gewässer markante Landmarken bilden, besonders das mit 6051 km wohl viertlängste Flusssystem der Welt Mississippi-Missouri und die Großen Seen, die aber lediglich Teil einer umfassenden, bogenförmigen Seenkette um den Kanadischen Schild herum sind. Die Großen Seen (Great Lakes), eine Gruppe von fünf miteinander verbundenen Seen (Oberer See, Michigan See, Huronsee, Ontariosee und Eriesee) sind die bedeutendsten Seen dieser Kette und nehmen eine Gesamtfläche ein, die etwa 70 Prozent der Landesfläche Deutschlands entspricht. Der größte dieser Seen, der Lake Superior (Oberer See), übersteigt Bayern flächenmäßig deutlich. Die Großen Seen münden über den St.-Lorenz-Strom in den Atlantik, der mit Schleusen, Kanälen und Dämmen so ausgebaut wurde, dass Hochseeschiffe bis weit ins Landesinnere fahren können. Die Niagarafälle sind 57 Meter hohe Wasserfälle an der Grenze zwischen den USA und Kanada bzw. im Übergang vom Eriesee in den Ontariosee, sie werden für die Schifffahrt von einem Kanal mit 8 Schleusen umgangen. An einigen der großen Flüsse wie am Tennessee, Upper Mississippi, Missouri und Columbia wurden zahlreiche Dämme für den Hochwasserschutz gebaut.
Appalachen im Osten
Auch die Appalachen im Westen Nordamerikas sind Teil des Amerikanischen Schilds. Sie erstrecken sich vom St.-Lorenz-Golf im Nordosten ca. 2500 km bis in die Küstenebene des Golfs von Mexiko im Südwesten und schirmen damit die am Atlantik gelegene Küstenebene topographisch wie auch klimatisch ab, so dass diese stärker maritimen Einflüssen unterliegt. Die Appalachen sind deutlich niedriger als die Rocky Mountains – nur wenige Berge erheben sich über 1200 m Höhe – und bestehen aus einer Reihe parallel verlaufender, stark bewaldeter Gebirgszüge und eingelagerter Täler. Ihr Charakter ähnelt deutschen Mittelgebirgen Bis ins 18. Jahrhundert bildeten sie eine Barriere, die eine Besiedlung der westlichen Landesteile verhinderte.