Warschau - Innenstadt - 1937

Mitteleuropa - Urbane und ländliche Räume
978-3-14-100900-2 | Seite 118 | Abb. 1| Maßstab 1 : 50000

Überblick

Die erste Karte zeigt die Warschauer Innenstadt 1937 ergänzt um die Lage des jüdischen Ghettos und die Zerstörungen nach dem Warschauer Aufstand. Auf der zweiten Karte überlagern sich die Ergebnisse zweier unterschiedlicher Stadtentwicklungsphasen, der ersten von 1945 bis 1989 und der zweiten nach der demokratischen Wende.

Stadtgeschichte bis 1937

Die am Rand einer Terrasse an der Weichsel planmäßig angelegte Altstadt mit dem rechteckigen Markt (Rynek) als Zentrum bildet den historischen Kern Warschaus. Diesem zuzurechnen sind auch die regelmäßig angelegte Neustadt aus dem frühen 15. Jahrhundert und das Königliche Schloss. Sigismund III. hatte im späten 16. Jahrhundert seinen Hof von Krakau nach Warschau verlegt und der Stadt dadurch einen Entwicklungsschub gegeben.
Mit der Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnte die Stadt ihren Einfluss sogar erweitern. Da die Befestigungsanlagen 1916 geschliffen wurden, wuchs das Stadtgebiet von 33 auf 115 Quadratkilometer. Nach der Erklärung der staatlichen Unabhängigkeit im Oktober 1918 wurde Warschau Hauptstadt der Republik Polen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Innenstadt und die daran angrenzenden Vororte durch Hinterhöfe und sechsgeschossige Häuser hoch verdichtet, die Bevölkerungsdichte lag in einigen Stadtgebieten bei bis zu 21 000 Einw./km². Das Handels- und Geschäftszentrum befand sich in der Umgebung der Sächsischen Gärten und in den Straßenzügen südlich davon. In den Vororten dominierte eine Mischung von Industrie-, Gewerbe- und Wohngebieten.

Deutsche Besatzung

Nach dem Überfall auf Polen im September 1939 gingen die Deutschen brutal gegen polnische Juden vor. Bereits in den ersten Monaten liquidierten die Sonderkommandos der SS mindestens 60 000 Menschen. Juden stellten zu diesem Zeitpunkt etwa ein Drittel der Warschauer Bevölkerung, die meisten von ihnen lebten im Stadtteil Muranów.
Als die Deutschen begannen, in den besetzten und eroberten Gebieten Ostmitteleuropas jüdische Wohnviertel abzuriegeln und Ghettos zu errichten, wurde Muranów zum größten. Zeitweise drängte sich im Warschauer Ghetto eine halbe Million Menschen auf engstem Raum, die Lebensbedingungen waren unmenschlich, die Versorgung war katastrophal, die Sterberate entsprechend hoch. Als im Sommer 1942 die Massentransporte in die Vernichtungslager begannen, bildeten sich im Ghetto jüdische Widerstandsgruppen, die im April 1943 trotz unzulänglicher Bewaffnung einen Aufstand wagten. Bei der Niederschlagung dieser Erhebung wurde das Ghetto dem Erdboden gleichgemacht.
Nach dem gescheiterten Warschauer Aufstand der polnischen Heimatarmee 1944 zerstörten die Deutschen 85 Prozent der bebauten Gebiete auf dem linken Weichselufer. Hatte die Stadt 1918 eine Wohnbevölkerung von rund 730 000 und 1939 bereits mehr als 1°350°000, so waren es bei Kriegsende gerade noch 162 000.

Neuaufbau nach 1945

Die Nachkriegsentwicklung Warschaus ist im Kartenbild u. a. am erfolgreichen Wiederaufbau zu erkennen, der 1947 mit der originalgetreuen Rekonstruktion der Alt- und Neustadt begann und 1958 weitgehend beendet war; Schloss und Schlossplatz entstanden zwischen 1971 und 1977 neu. In den übrigen Stadtteilen verfolgte man beim Wiederaufbau die Prinzipien Auflockerung durch Grünflächen und Funktionstrennung, das heißt die Verlagerung der Industriebetriebe an weiter außerhalb gelegene Standorte.
Die Grundsätze des sozialistischen Städtebaus der Stalin-Ära wurden in den 1950er-Jahren im Gebiet südlich des Sächsischen Gartens angewendet. Die Hauptgeschäftsstraße Marszałkowska wurde zur Magistrale, die sich nach Westen in einen breit angelegten Platz mit dem dominierenden, 234 Meter hohen Kulturpalast öffnet. Diese Nord-Süd-Achse wird von einer Ost-West-Achse, der Aleje Jerozolimskie, geschnitten. Im südlichen Teil der Innenstadt entstand in 1950er-Jahren das Marszałkowska-Wohnviertel (6 300 Wohnungen, 22 000 Menschen). Zur Anlage eines zentralen Platzes um den Kulturpalast wurde der Zentralbahnhof nach Westen verschoben (Neueröffnung 1975). Das im Süden gelegene ehemalige Flughafengelände wurde in einen Park umgewandelt und teilweise mit Sportanlagen bebaut.
Die zweite Phase begann 1989 und dauert bis heute an; sie ist durch einen raschen, tiefgreifenden und sehr dynamischen Wandel gekennzeichnet. Im Zentrum lässt sich eine Citybildung nach westeuropäischem Muster erkennen, das Handels- und Geschäftszentrum um den zentralen Platz weitet sich aus. In das ehemalige Haus der Kommunistischen Partei zog 1991 die Warschauer Börse ein. Dieser Wechsel steht symbolisch für den Aufstieg Warschaus zum Finanzzentrum Ostmitteleuropas. In der Innenstadt und im Stadtteil Wola entstanden zahlreiche moderne Bürohochhäuser. Sie bestimmen heute die Skyline der Stadt und das Erscheinungsbild der südlichen Innenstadt. Das 2007 neu errichtete Einkaufszentrum Zlote Tarasy nördlich des Zentralbahnhofs ist eines der größten seiner Art in Ostmitteleuropa. Daneben entstanden auch neue öffentliche Gebäude, etwa die Universitätsbibliothek.
Die Herausbildung funktionaler Stadtviertel lässt sich am Regierungs- und Diplomatenviertel nördlich des Łazienki-Parks erkennen. Der öffentliche Nahverkehr wurde durch den Bau eines U-Bahn-Netzes verbessert. Ein neues Nationalstadion am rechten Weichselufer wurde für die Fußball-EM 2012 gebaut.

Bevölkerung

Die Zuwanderung in den Nachkriegsjahren – bedingt durch Hauptstadtfunktion und die zahlreichen Industriebetriebe – wich zwischen 1954 bis 1983 einer weitgehenden Zuzugssperre. Nichtsdestotrotz stieg die Bevölkerungszahl bis Ende der 1980er-Jahre auf 1,67 Mio. Menschen. Nach 1990 ging die Bevölkerungszahl infolge von Suburbanisierung leicht zurück. 2007 überschritt die Bevölkerungszahl diejenige vom Ende der 1980er-Jahre (1,7°Mio.), heute liegt sie bei 1,86°Millionen. Warschau weist zwar eine negative natürliche Bevölkerungsentwicklung, jedoch einen deutlich positiven Wanderungssaldo auf. Denn innerhalb Polens ist die Hauptstadt das wichtigste Binnenwanderungsziel.
Wie in vielen europäischen Großstädten lassen sich auch in Warschau deutliche Verdrängungs- und Gentrifizierungprozesse beobachten. Sie betreffen etwa die lange vernachlässigten Wohngebiete auf dem rechten Weichselufer (Praga).

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Diercke

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Warschau - Innenstadt
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