?stanbul - Erdbebengefährdete Megastadt

Türkei - Brücke zwischen Europa und Asien
978-3-14-100900-2 | Seite 146 | Abb. 2| Maßstab 1 : 500000

Überblick

Istanbul ist mit mehr als 15 Millionen Menschen die bevölkerungsreichste Stadt der Türkei und ihr wirtschaftliches Zentrum. Der Bosporus, eine nur maximal 2,5 Kilometer breite Meerenge, bildet die Grenze zwischen Europa und Asien, sodass Istanbul auf zwei Kontinenten liegt. Die besondere Lage hat die 2600-jährige Geschichte der Stadt wesentlich beeinflusst.

Plattentektonik und Erdbebengefahr

Istanbul liegt auf einer nur rund 30 Kilometer breiten Landenge am Kreuzungspunkt der Schifffahrtsroute Schwarzes Meer–Mittelmeer und des Landwegs zwischen Westasien und Europa. Durch das Gebiet verläuft eine Transformstörung, also eine Störungszone mit Horizontalverschiebung, an der sich die Anatolische Platte westwärts an der Eurasischen Platte vorbei bewegt. Die Karte zeigt den Verlauf der Störungslinien durch das Marmarameer, nur wenige Kilometer vor Istanbul.

Senkrecht zum Meeresboden verlaufen Störungsflächen in Richtung des Erdinneren. Daran reiben sich die Platten, sie üben Druck aufeinander aus und verhaken sich. Eine gleichmäßige horizontale Bewegung kann sich im Bereich der starren Erdkruste so nicht ausbilden. Stattdessen entstehen Spannungen, die sich schlagartig in Erdbeben lösen.

Starke Erdbeben mit großen Zerstörungen gab es im Raum Istanbul zum Beispiel in den Jahren 1509, 1766 und 1894; teilweise kam es anschließend zu verheerenden Flutwellen. In der Region sind weitere schwere Erdbeben in den Jahren 1928, 1944 und 1970 belegt.

Vor diesem Hintergrund wird das Risiko für das nächste sehr starke Erdbeben in Istanbul als hoch eingeschätzt (in den nächsten 10 Jahren wir mit einem Erdbeben der Stärke 7 oder größer gerechnet). Es gibt zwar eine seismische Überwachung (siehe Karte), aber bei Erdbebenereignissen ist keine Vorwarnzeit möglich. Hinzu kommt die Gefahr eines anschließenden Tsunamis.

Stadtentwicklung und Schadensrisiken

Der Kartenausschnitt zeigt im Wesentlichen das Stadtgebiet Istanbuls. Mit 5 461 km² ist es etwa ein Drittel so groß wie Thüringen; lediglich das Gebiet im Südosten um Gebze gehört zur Nachbarprovinz Kocaeli. Neben bebauten Flächen umfasst das Stadtgebiet auch Ackerland und Wälder.

Die Bevölkerung Istanbuls entspricht gut dem Zehnfachen von München. Sie ist in den vergangenen Jahrzehnten stark gewachsen. Erst in den 1950er-Jahren zur Millionenstadt geworden, hatte Istanbul im Jahr 2000 eine Bevölkerung von rund 9 Millionen, 2008 rund 12,6 Millionen, 2014 knapp 14,4 Millionen und 2021 15,5 Millionen. Der Bevölkerungszuwachs ist auf drei Faktoren zurückzuführen: das natürliche Bevölkerungswachstum, die hohe Zuwanderung und die Erweiterung des Stadtgebiets durch Eingemeindungen. Die Wachstumsraten verlangsamten sich allerdings seit 2010.

Das dennoch insgesamt kontinuierliche Bevölkerungswachstum spiegelt sich in der Ausweitung der bebauten Flächen (siehe Karte), die häufig mit dem Abriss ganzer Stadtviertel, Zwangsumsiedlung oder Verdrängung der ansässigen Bevölkerung einhergeht. Viele Zuwanderer kommen zunächst in ungeplanten Siedlungen unter, die später legalisiert werden. Trotz aufwendiger städtebaulicher und infrastruktureller Projekte verläuft das Wachstum in der Metropolregion vielerorts ungesteuert. Ein Großteil der neueren Gebäude in Istanbul wurden ohne Baugenehmigung errichtet.

Erdbebengefährdeter Baubestand

Das Stadtzentrum zeigt heute Gegensätze auf engem Raum. Historische Stadtviertel mit Baudenkmälern stehen neben modernen Bürohochhäusern aus Glas und Beton. Wegen der Erdbebengefahr werden gegenwärtig verstärkt öffentliche Gebäude wie Schulen und Krankenhäuser erdbebensicher gemacht. Die Sicherheitsanforderungen für Neubauten wurden auf ein Niveau vergleichbar mit Kalifornien und Japan angehoben. Allerdings ist es praktisch unmöglich, den Standard bei den zahlreichen bestehenden Bauten auf dieses Niveau zu bringen.

Daraus ergeben sich erhebliche Risiken im Falle eines schweren Erdbebens, vor allem in den küstennahen Vierteln mit relativ alter Bebauung zwischen der Altstadt und dem Flughafen Atatürk. Bei einer Magnitude von 5 bis 6 ist mit ernsten Schäden bei anfälligen Gebäuden zu rechnen, bei einer höheren Magnitude sind großflächig Schäden auch an robusten Gebäuden zu erwarten. Angesichts der hohen Bevölkerungszahl könnte dies dramatische Folgen haben, wie das Erdbeben im Südosten der Türkei und im Norden Syriens im Februar 2023 verdeutlichte.

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Diercke

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Istanbul - Erdbebengefährdete Megastadt
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