Überblick
Die räumliche Verteilung der Wirtschaftsstandorte in Osteuropa – zwischen Ostsee und Kaspischem Meer – zeigt einerseits die wenig genutzten Zonen der nördlichen Nadelwälder und zentralasiatischen Wüsten und andererseits die breiten, in weiten Teilen stark bis intensiv genutzten Gürtel der gemäßigten Zone und der feuchten Steppen. Diese Zonen erstrecken sich überwiegend breitenkreisparallel, allerdings überprägt durch die von Westen nach Osten zunehmende Kontinentalität des Klimas (sinkende Winter-, steigende Sommertemperaturen, abnehmende Niederschläge) bzw. regionale Effekte an Gebirgen (Höhenstufen, Luv-Lee-Effekte). Der intensiv genutzte Gürtel wird nach Osten hin schmaler, die wenig genutzten Gürtel nördlich und südlich davon werden breiter.Peripherien
Die naturräumlich benachteiligten Gebiete im Norden und Südosten – überwiegend zu Russland und Kasachstan gehörend – werden nur entlang einiger größerer Flüsse landwirtschaftlich genutzt (Dwina, Unterläufe von Wolga und Ural). Sie sind sehr dünn besiedelt und nur teilweise durch Verkehrswege erschlossen. Hauptgegenstand wirtschaftlicher Nutzung sind Rohstoffvorkommen: Metallerze im Uralgebirge sowie Erdöl und Erdgas beiderseits des nördlichen Uralgebirges und am Kaspischen Meer. Vor allem die Förderung von Erdöl und Erdgas ist von existenzieller Bedeutung für den russischen und kasachischen Außenhandel. Die Förderstandorte sind über Pipelines mit den ehemaligen Abnehmern in Europa oder den Exporthäfen am Schwarzen Meer und dem Mittelmeer verbunden. Seit dem vollständigen Ausbruch des Ukraine-Krieges im Februar 2022 hat Russland seine Exportstrukturen aufgrund der internationalen, von den westlichen Staaten Europas, Nordamerikas und Ostasiens angeführten Sanktionen, erheblich umbauen müssen. Es ist dabei eine Neuorientierung insbesondere nach China festzustellen.
Verarbeitende Industrien sind in diesen Räumen selten; eine Ausnahme bildet die Holz-, Zellulose- und Papierindustrie mit zahlreichen Standorten in der nördlichen Nadelwaldzone; sie orientieren sich an den Holzvorkommen oder Verkehrswegen.
Dass sich in der Zone der nördlichen Nadelwälder auch ohne nennenswerte Rohstoffvorkommen eine leistungsstarke, diversifizierte Volkswirtschaft etablieren kann, zeigt das Beispiel Finnland. Eine vergleichbare Perspektive zeichnet sich für die baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland ab. Die Modernisierung deren Wirtschaft erhielt durch den EU-Beitritt 2004 und die spätere Eingliederung in die Eurozone einen weiteren Schub.
Mittleres Osteuropa
Die Karte zeigt eine Zweiteilung des mittleren Osteuropa in eine besonders intensiv landwirtschaftlich genutzte südliche Zone (mit der Ukraine) und eine landwirtschaftlich stark genutzte, aber auch von Wäldern und großen Niederungen mit Wiesen durchsetzte nördliche Zone. Auch für die Landwirtschaft ist die Eskalation des Ukraine-Krieges 2022 mit erheblichen Auswirkungen verbunden, wie die Fallbeispielkarte zu Dobre zeigt (151.3).
Das mittlere Osteuropa ist reich an Rohstoffen. Das Donezbecken (Donbas) ist das wichtigste Kohlerevier; Krywyj Rih, Kursk und der südliche Ural sind die bedeutendsten Eisenerzreviere. Die Förderung erfolgt vor allem für die Montanindustrie der Region, ist aber ebenso wie die Lieferbeziehungen durch den Ukraine-Krieg seit 2014 und verstärkt seit 2022 gestört und rückläufig. Zu industriellen Zentren haben sich die größten Städte der jeweiligen Staaten (Moskau, St. Petersburg, Kiew, Minsk, Riga), die perlenartig entlang der Wolga und Kama aufgereihten Städte zwischen Nischni Nowgorod und Wolgograd, der mittlere Don, das Donezbecken (kriegsbedingt eingeschränkt) und das Uralgebiet entwickelt.
Ein Vergleich mit der Wirtschaftsstruktur West- und Mitteleuropas zeigt einige strukturelle Grundprobleme der Wirtschaft. Sie erklären sich aus den Prioritäten der Wirtschaftspolitik der Sowjetunion, die trotz der Transformation fortwirkt. So dominieren im Donezbecken und im Uralgebiet noch immer rohstofforientierte Branchen der Altindustrien (Bergbau, Stahlerzeugung). Verstärkt durch die Errichtung von Großkombinaten war vielerorts eine industrielle Monostruktur entstanden; der Dienstleistungssektor blieb oft unterentwickelt. Wachstumsindustrien wie die Elektronik gibt es nur an einzelnen Standorten (Moskau). Wirtschaftlich diversifizierte Standorte wie Moskau, St. Petersburg, Samara-Toljatti und Nischni Nowgorod bilden eher die Ausnahme. Weiterhin steht die Wirtschaft im Zeichen der vielerorts entstandenen und sich immer wieder dynamisch entwickelnden politischen und militärischen Krisen in den Transformationsstaaten Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion (s. 151.2).