Überblick
Der Spitzbergen-Archipel erstreckt sich zwischen 74° und 81° nördlicher Breite und 10° bis 35° östlicher Länge im Arktischen Ozean und umfasst gut 61 000 km2 Landfläche. Die größte Insel ist die im deutschen Sprachgebrauch für die gesamte Inselgruppe namensgebende Insel Spitzbergen. Weitere größere Inseln sind Nordaustlandet, Barentsøya, Edgeøya und Kyitøa. Die höchste Erhebung ist der 1 713 Meter hohe Newtontoppen. Die Hauptsiedlung Spitzbergens ist Longyearbyen mit einer Bevölkerung von knapp 2 400 Menschen, in der der Großteil der knapp 3 000 Menschen umfassenden Bevölkerung lebt. Es handelt sich um die am weitesten nördlich gelegene Stadt der Erde.
Landschaft
Etwa 60 Prozent der Oberfläche Spitzbergens ist von Gletschern bedeckt. In weiten Teilen handelt es sich um eine reliefübergeordnete Vergletscherung, nur zwischen dem Isfjord oder dem Van Mijenfjord, wo der warme Westspitzbergenstrom mildere Bedingungen hervorruft, herrscht eine Gebirgsvergletscherung vor. An der milden Westküste finden sich auch wichtige Vogelschutzgebiete. Die nicht vergletscherten Bereiche werden von spärlich bewachsenen Frostschuttfluren (ca. 25 Prozent der Gesamtfläche Spitzbergens) bzw. Tundren und Sümpfen (15 Prozent) eingenommen. Sie sind weiträumig von Permafrost unterlagert.
Zugehörigkeit
Bis ins frühe 20. Jahrhundert war Spitzbergen „Niemandsland“. Erst 1920 wurden mit dem Spitzbergenvertrag Gebietsansprüche formal geregelt und Norwegen wurde die gesetzgeberische Souveränität über den Archipel zugesprochen. Im Vertrag sind Umweltschutzrichtlinien, Antidiskriminierungsgesetze und eine dauerhafte Demilitarisierung festgeschrieben, ferner garantiert er jedem Bürger eines Unterzeichnerstaates (über 40), auf Spitzbergen zu leben und zu arbeiten, was den heute hohen Anteil von Nicht-Norwegern (ca. 25 Prozent) an der Gesamtbevölkerung erklärt.
Klimawandel auf Spitzbergen
Klimaaufzeichnung auf Spitzbergen lassen Trends einer zunehmenden Erwärmung erkennen. Seit 1970 hat sich die Jahresmitteltemperatur um ca. 4 °C erhöht. In Teilen Spitzbergens ist die Vergletscherung daher im Rückzug begriffen, insbesondere in Küstennähe und im Süden des Archipels, im Landesinneren und in höheren Lagen findet aber auch Eiszuwachs statt.
Die Folgen des Klimawandels auf Spitzbergen sind für Mensch und Natur vielfältig. Einigen wenigen, aus ökonomischer Sicht vielleicht positiv zu wertenden Effekten stehen etliche problematische Entwicklungen gegenüber. Zu ersteren zählen der nun mögliche Zugang zu Öl- und Gas-Ressourcen durch das schwindende Meereis oder das Potenzial für die Erschließung von neuen Fanggründen in der Fischerei, die bisher unter dem Eis verborgen waren. Um einer drohenden Überfischung entgegenzuwirken wurde die Meeresfischerei durch weitreichende Schutzzonen rund um den Archipel in die Schranken gewiesen. Zu den ungünstigen, vor allem auch kostenintensiven Folgen des Klimawandels ist der tauende Permafrost zu rechnen, der dazu führt, dass immer mehr Gebäude instabil werden und die gesamte Infrastruktur in Mitleidenschaft gezogen wird. Aus ökologischer Sicht hat der Schwund des Meereises negative Konsequenzen für Lebewesen, deren Existenzgrundlage auf dem Vorhandensein der Eisdecke beruht, etwa Eisbären, die entlang der Eiskante nach Robben jagen.
Sozioökonomischer Wandel
Für Spitzbergen sind neben dem Klimawandel auch sozioökonomische Veränderungen von Bedeutung. Die Wirtschaft Spitzbergens stützte sich lange auf drei Säulen: Kohle, Tourismus und Forschung. Der Kohlebergbau ist heute nahezu zum Erliegen gekommen. Der Großteil der Minen wurde bereits in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts aus Rentabilitätsgründen geschlossen. Die letzte verbliebene Kohlemiene Spitzbergens, Gruve 7 in Longyearbyen, die relativ rentabel ist und durch Kohleverstromung eine wichtige Rolle für die Energieversorgung der Hauptstadt spielt, musste nach Schmelzwassereinbruch in Folge von Rekordtemperaturen von 21,7 °C im Sommer 2020 vorübergehend schließen. Erst nach aufwändigen Reparaturarbeiten konnte der Betrieb Ende Oktober 2020 wieder aufgenommen werden.
Im letzten Jahrzehnt hat sich eine deutliche Verschiebung in der Erwerbsstruktur Spitzbergens vollzogen. Während die Zahl der Beschäftigten im Bergbau dramatisch sank und heute nur noch 4 Prozent der Bevölkerung Spitzbergens in diesem Sektor arbeitet, haben die Beschäftigtenzahlen im Tourismus und dem angegliederten Kultursektor deutlich zugenommen. Der Tourismus entwickelte sich seit dem Bau des Flughafens im Jahr 1975. Er ermöglichte es, dass die Inselgruppe nun innerhalb weniger Stunden Flugzeit anstatt einer mehrtägigen Seefahrt zu erreichen war. Heute sind es vor allem Kreuzfahrten, die den Großteil der touristischen Ankünfte stellen. Schätzungen gehen von mittlerweile 70 000 Reisenden pro Jahr aus. Der Tourismussektor ist heute nach Verwaltung, Gesundheits- und Sozialarbeit sowie weiteren Dienstleistungen der wichtigste Arbeitgeber.
Spitzbergen als wichtiger Forschungsstandort
Ein weiterer, seit jeher wichtiger Beschäftigungssektor auf Spitzbergen ist die Forschung, in Zeiten des Klimawandels mit steigender Tendenz. Zentralen Betätigungsfelder sind Klima-, Meeres-, Umwelt- und Atmosphärenforschung. Zentren der Forschungsaktivitäten sind zum einen die Siedlung Ny Ålesund, wo zahlreiche Nationen Forschungsstationen betreiben (darunter die vom deutschen Alfred-Wegener-Institut seit 1991 betriebene Koldewey-Station), zum anderen der Svalbard Forskingpark in Longyearbyen, zu dem eine Universität, eine Außenstelle des norwegischen Polarinstituts sowie Radar- und Satellitenbodenstationen zur Kontrolle von Satelliten mit polarer Umlaufbahn gehören, die von internationalen Institutionen wie NASA, ESA, EUMETSAT und NOAA betrieben werden.
2008 wurde mit dem Svalbard Saatgut-Tresor (Svalbard Global Seed Vault, SGSV) in der Nähe von Longyearbyen ein weiteres Projekt ins Leben gerufen, das zwar nicht explizit der Forschung dient, aber dennoch wissenschaftlich begleitet wird. Der SGSV dient der Lagerung von Saatgut, mit der die Erhaltung der globalen Vielfalt von Nutzpflanzen und damit die Nahrungsgrundlage der Weltbevölkerung langfristig gesichert werden soll. Der Speicher wurde in einer ehemaligen Kohlegrube errichtet, die sich 120 Meter tief in den Permafrostboden hineinzieht. Die Temperaturen werden künstlich auf –18 °C gehalten. Sollten technische Probleme auftreten, bleiben die Temperaturen aufgrund des umgebenden Permafrosts immer noch deutlich unter 0 °C. Bei diesen Temperaturen bleiben die Samen über Jahrzehnte bis Jahrhunderte, in manchen Fällen (z. B. bei Erbsen) sogar über Jahrtausende keimfähig. Ausgelegt ist der Speicher für 4,5 Millionen Samenproben, wobei jede Probe aus 500 Samen besteht. Die Zahl eingelagerter Pflanzen lag 2018 bei etwa 5000 Arten und Varietäten.
Komplexe Veränderungen als Herausforderung für Spitzbergen
Spitzbergen mit seinem Hauptort Longyearbyen zeigt exemplarisch, dass der globale Wandel selbst (oder gerade) vor peripheren Regionen nicht Halt macht. Der Klimawandel und seine Auswirkungen auf Mensch und Umwelt, die Erschließung neuer ökonomischer Sektoren jenseits der Kohleförderung und der wachsende Tourismus sind Hauptantriebskräfte des Wandels auf Spitzbergen. Sie bieten auf der einen Seite Chancen für eine zukunftsfähige Entwicklung Spitzbergens, auf der anderen Seite bergen sie aber auch Risiken, da sie kostenintensive und nicht selten in Widerspruch zu Umweltauflagen des Spitzbergenvertrages stehende Maßnahmen erfordern. Hier ist zum einen das steigende Naturgefahrenpotenzial im Zuge der Klimaerwärmung zu nennen, das die Ausweisung neuer, sicherer Bauplätze notwendig macht, eine Ausweitung der Bebauung aber aufgrund bestehender Umweltschutzauflagen schwierig bis unmöglich ist. Ein weiteres Dilemma ergibt sich aus dem erklärten Ziel der norwegischen Regierung, den Tourismus zu fördern, um die Ökonomie Spitzbergens zu stärken, obwohl große Teile des Archipels durch Umweltschutzvorgaben eigentlich dem Tourismus vorenthalten bleiben.