Überblick
Die Küstenlinie der südwestlichen Niederlande hat sich infolge zahlreicher Maßnahmen zur Gewinnung von Land, zum Schutz vor Hochwasser und zur Sicherung der Schiffsverkehrswege im Laufe der Zeiten immer mehr verkürzt. In der Gegenwart spielt die Landgewinnung keine Rolle mehr, dafür haben die Nutzungsansprüche im Tourismus- und Freizeitbereich und seitens der Wirtschaft zugenommen. Gleichzeitig stehen die Niederlande vor der Herausforderung, Natur und Umwelt ökologisch intakt zu erhalten, gerade im Zusammenhang mit Monumentalbauten wie dem Deltaprojekt.Anfänge und Ausführung des Deltaprojekts
Die einzelnen Arme des weiträumigen Deltas in der Provinz Zeeland waren noch bis in die 1960er-Jahre hinein dem Wechselspiel von Ebbe und Flut ausgesetzt. Innerhalb der Arme gab es ausgedehnte Wattgebiete. Die Inseln im Delta und das Festland waren nur durch Inlandsdeiche geschützt. In der Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar 1953 trafen durch außergewöhnliche Umstände eine Springflut und ein sehr schwerer Nordweststurm vor der Küste der Niederlande zusammen und verursachten eine Flutkatastrophe mit fast 600 Deichbrüchen im Deltagebiet von Rhein, Maas und Schelde. Es kam zu großflächigen Überschwemmungen (rund 200 000 Hektar), fast 2 000 Menschen starben, Dörfer und Städte wurden zum Teil schwer verwüstet, unzählige Nutztiere ertranken; überdies wurden die landwirtschaftlich genutzten Böden durch das Salzwasser nachhaltig geschädigt. Nach dieser nationalen Katastrophe verabschiedete die Regierung in Den Haag das Delta-Gesetz, um das weitverzweigte Mündungsgebiet mit Dämmen, Sturmflutwehren und Küstenbefestigungen zu schützen. Mit der Ausführung der Arbeiten wurde umgehend begonnen, bereits 1960 war ein erster Flussarm, die Brielse Maas, durch einen Damm abgeriegelt.
Zuerst wurde nur die Errichtung von Dämmen angestrebt. Diese aber verursachen durch die Aussüßung des Wassers und die Verlandung der Wattflächen einen vollständigen Wandel des Ökosystems. Deshalb entschloss man sich trotz des höheren Aufwandes zum Bau eines Sturmflutwehres in der Oosterschelde, die als Laichgebiet diverser Nordseefische, als Heimat zahlreicher Vogelarten und nicht zuletzt als Standort einer ausgedehnten Muschel- und Austernzucht von großer ökologischer und wirtschaftlicher Bedeutung ist. Aus der geplanten Abriegelung der Oosterschelde wurde ein halboffener Damm. Das riesige Sperrwerk verhindert weder die Gezeiten noch den Wasseraustausch zwischen Oosterschelde und offenem Meer, bietet zugleich aber ein Höchstmaß an Sicherheit. Für das Sturmflutwehr wurden in der neun Kilometer breiten Mündung an drei Stellen auf künstlichen Inseln große Betonpfeiler errichtet, zwischen denen 62 Metallwehre von je 45 Metern Breite hängen. In ihrer Ruhestellung befinden sie sich oberhalb des Meeresspiegels. Nur bei Gefahr, etwa ein oder zweimal pro Jahr, werden sie geschlossen. Das Oosterscheldegebiet wurde 2004 zum Nationalpark erklärt, in dem der Naturschutz oberste Priorität genießt, gerade auch im Zusammenhang mit dem Deltaprojekt.
Nicht abgeriegelt wurden zunächst die Westerschelde und der Nieuwe Waterweg, die beiden Verbindungswege zu den Häfen von Antwerpen und Rotterdam. Entlang der Westerschelde wurden aber die Deiche erhöht. Im Mündungsbereich des „Neuen Wasserwegs“ wurde 1997 bei Maasdijk mit dem „Maeslantkering“ — zwei gigantischen, bogenförmigen Toren auf den beiden gegenüberliegenden Uferseiten — ein ebenfalls bewegliches Sturmflutwehr fertiggestellt (s. 104.4).