Erde - Verstädterung

Erde - Bevölkerung
978-3-14-100902-6 | Seite 293 | Abb. 4| Maßstab 1 : 180000000

Überblick

Während 1950 noch rund 70 Prozent aller Menschen weltweit auf dem Land lebten, gab es 2006 erstmals in der Menschheitsgeschichte eine ebenso hohe Stadt- wie Landbevölkerung. Und dieser Trend zur Verstädterung setzte sich seitdem ungebrochen fort: 2021 lebten bereits 57 Prozent aller Menschen (4,5 Milliarden) in Städten, 2030 werden Städter nach aktuellen Prognosen einen Anteil von 60 Prozent an der Weltbevölkerung haben, bis 2050 soll ihr Anteil auf 67 Prozent steigen.

Urbanisierung in Industrie- und Entwicklungsländern

Der Verstädterungsgrad ist in allen Industrieländern – nach Definition der Vereinten Nationen zählen dazu ganz Europa, Nordamerika, Australien, Japan und Neuseeland – und einem Teil der Schwellenländer schon heute mindestens über 57 Prozent, zu einem großen Teil über 80 Prozent. In diesen Ländern, in denen der Trend zur Verstädterung bereits mit Beginn der Industrialisierung im späten 18. und 19. Jahrhundert einsetzte, ist der Prozess heute im Wesentlichen abgeschlossen. Zwar wird es auch hier weiterhin urbane Wachstumszentren geben, dennoch erwarten die Experten für die kommenden 25 Jahre nur noch eine vergleichsweise moderate Zunahme der Stadtbevölkerung.
Ein besonders starkes Wachstum werden hingegen auch in naher Zukunft viele Großstädte in den „Schwellen- und Entwicklungsländern“ erleben, in denen sich der Urbanisierungstrend seit etwa 1975 massiv verstärkt hat. In diesen Ländern ist die Verstädterung Indikator eines für „Entwicklungsländer“ typischen Entwicklungsgefälles zwischen Stadt und Land und massiver Strukturprobleme. Die Stadtbevölkerung wächst dort ebenso rasant wie unkontrolliert, weil auf dem Land die Erwerbsmöglichkeiten fehlen. Verstärkt wird diese Tendenz durch das natürliche Bevölkerungswachstum, das gerade in „Entwicklungsländern“ oft überdurchschnittlich hoch ausfällt (vgl. 292.3). Da der Ausbau der städtischen Infrastruktur mit dem Bevölkerungswachstum nicht Schritt halten kann, haben sich in den letzten Jahrzehnten die Slums und Armenviertel in vielen urbanen Zentren unkontrolliert ausgeweitet. Wie auf der Karte zu sehen ist, hat die Slumbevölkerung vor allem in den „Schwellen- und Entwicklungsländern“, insbesondere in Afrika, inzwischen einen erheblichen Anteil an der Stadtbevölkerung.

Megacities

Im Jahre 2005 wurden weltweit erstmals 20 sogenannte Megacities mit einer Bevölkerung von über 10 Mio. Menschen registriert. Bis 2021 war die Zahl dieser Riesenstädte bereits auf 34 angewachsen. Zwei Drittel von ihnen liegen im asiatischen Raum und in Lateinamerika. Als größte Megacity gilt der Ballungsraum Tokio, in dem aktuell 37 Millionen Menschen leben, gefolgt von Delhi (31 Millionen) und Shanghai (28 Millionen). Wie auf dem Kartenbild gut zu sehen, befinden sich fast alle Megacities, die zwischen 2010 und 2020 ein deutlich überproportionales Wachstum verzeichneten, in Schwellen- und Entwicklungsländern, wo der Druck auf die Städte durch das Zusammenspiel von Stadt-Land-Gefälle und Bevölkerungswachstum besonders hoch ist. Das wiederum führt dazu, dass immer mehr Menschen unter Bedingungen leben müssen, die sich durch extreme Armut, bedrückende Wohnverhältnisse, katastrophale hygienische Defizite und einen allgemeinen Mangel an Perspektiven auszeichnen.
Ein Merkmal insbesondere strukturschwacher Länder ist die Ausbildung von Primate Cities, einem urbanen Zentrum von nationaler Bedeutung, das oft, aber keineswegs notwendig, mit der Hauptstadt identisch ist. Häufig zeichnen sich Primate Cities durch ein überdurchschnittliches Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum, zentrale Hauptstadt- und Handelsfunktionen und eine überregionale kulturelle Ausstrahlung aus. Überdies gibt es innerhalb des nationalen Städtesystems keine weiteren Städte von vergleichbarer Bedeutung. Dieses Phänomen lässt sich in jüngster Zeit vor allem in vielen afrikanischen Ländern wie Senegal, Liberia, Somalia oder Tschad beobachten, aber auch alte europäische Hauptstädte wie London und Paris haben wesentliche Züge einer solchen Primatstadt.

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