Überblick
Eine Fahrt auf der Grimselpassstrasse zwischen Innertkirchen und der Passhöhe führt durch das Oberhasli. Hier ist der Landschaftswandel, der durch den Kraftwerkbau in einer hochalpinen Region bewirkt wurde, deutlich zu sehen. Am Beispiel der Kraftwerke Oberhasli (KWO) lässt sich zudem exemplarisch zeigen, welcher Aufwand betrieben werden muss, damit Konsumentinnen und Konsumenten jeden Tag genügend Spitzen-Energie aus Speicherkraftwerken beziehen können. Die aktuelle Auseinandersetzung um den Weiterausbau der Anlagen zeigt symptomatisch, wie heute die unterschiedlichen Interessen im Alpenraum aufeinanderprallen (Naturschutz kontra wirtschaftliche Interessen) und welche Rolle die Politik in dieser Auseinandersetzung spielt.Geschichte der KWO:
Weshalb entstand im Oberhasli ein derart komplexes Kraftwerksystem? Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen ist das Grimselgebiet Teil des niederschlagreichsten Gebiets der Schweiz. Zum anderen eignet sich das Aaretal nicht nur aus hydrologischer, sondern auch aus topografischer und geologischer Sicht hervorragend für den Kraftwerkbau: Kompakter Granitfels des Aarmassivs verhindert Wasserverluste und bietet Gewähr für sicheren Baugrund. Das gestufte Relief mit grossen Höhenunterschieden (eine Folge der eiszeitlichen Vergletscherung) erlaubt mehrmaliges Nutzen des Wassers, und die schmalen Täler eignen sich hervorragend für den Bau von Talsperren. Es folgt nun ein Überblick über die wichtigsten Ausbau-Etappen der KWO bis in unsere Gegenwart:
1925 – 1932:
Kraftwerk Handeck 1: Das im Grimselsee akkumulierte Wasser fliesst durch einen Verbindungsstollen in den ebenfalls gestauten Gelmersee auf 1 850 m ü. M. und wird durch einen Druckschacht in die Zentrale Handeck 1 geleitet und dort zur Stromproduktion genutzt (Höhenunterschied: 547 Meter).
1939 – 1943:
Kraftwerk Innertkirchen 1: Das Turbinenwasser von Handeck 1 fliesst mit zusätzlich gefassten Bächen in einem 10 km langen Druckstollen über Innertkirchen zum Wasserschloss, von dort führt ein Druckschacht mit 672 Metern Gefälle in die Zentrale Innertkirchen 1. Sie wurde als erste Anlage der Schweiz in eine Felskaverne verlegt.
1947 – 1950:
Kraftwerk Handeck 2: Das Wasser der neuen Staubecken Räterichsboden und Mattenalp fliesst ins Wasserschloss Handeckfluh auf 1 681 m ü. M. Die unterirdische Zentrale Handeck 2 kann 463 Meter Gefälle nutzen und gibt ihr Wasser weiter nach Innertkirchen 1.
1950 – 1954:
Kraftwerk Oberaar: Die Stauanlage Oberaar ist durch Druckstollen und -schacht mit der Zentrale Grimsel 1 verbunden. Hier baute man erstmals ausser der Turbine eine Speicherpumpe ein, die Wasser zurück in den Oberaarsee fördern kann.
Weitere Ausbauphasen:
1952 – 1955: Zuleitung des Gadmerwassers zum Kraftwerk Innertkirchen 1
1958 – 1960: Bau des Kraftwerks Gental mit der Zentrale Fuhren
1962 – 1967: Bau des Kraftwerks Hopflauenen
1964 – 1968: Bau des Kraftwerks Innertkirchen 2
1970 – 1982: Bau des Umwälzwerks Oberaar-Grimsel (Grimsel 2) und des Kraftwerks Handeck 3 sowie Ausführung zahlreicher Verbesserungen an den bestehenden Anlagen.
KWO heute:
Im Jahr 1925 wurden die Kraftwerke Oberhasli AG (KWO) gegründet. Es handelt sich dabei um eine reine Produktionsgesellschaft, d. h. sie betreiben keinen Stromhandel, sondern überlassen ihre gesamte Elektrizitätserzeugung den Partnerwerken ihrer vier Aktionäre (der Bernischen Kraftwerke AG/Beteiligungsgesellschaft, dem Kanton Basel-Stadt sowie den Städten Bern und Zürich). Dabei beziehen die Partner die Gesamtnettoproduktion der KWO im gleichen Verhältnis wie sie am KWO-Aktienkapital von 120 Mio. Franken beteiligt sind: Die Bernischen Kraftwerke übernehmen deshalb die Hälfte und die anderen drei Partner je einen Sechstel der Produktion. Mit Hilfe von 29 Turbinen in 9 Kraftwerken erzeugen die KWO pro Jahr etwa 2 400 Gigawattstunden (GWh) elektrische Energie (2015: 2 296 GWh), das sind rund 7 % der Gesamtproduktion aller Schweizer Wasserkraftwerke. 69 % der Energieproduktion entfallen auf den Sommer, 31 % auf den Winter. Das Wasser dafür beziehen sie zur Hauptsache aus acht Stauseen und Staubecken mit einem nutzbaren Inhalt von total 195 Mio. Kubikmeter. Dies entspricht etwa einem Viertel der jährlichen Niederschlagsmenge im Konzessionsgebiet der KWO. Seit 1925 wurden über 1,5 Milliarden Franken in die Anlagen der Kraftwerke investiert. Heute bieten die KWO rund 350 Vollzeitstellen an.Umwälzwerke/Pumpspeicherwerke:
Während in Spitzenzeiten (z. B. über die Mittagszeit) der Bedarf an elektrischer Energie kaum gedeckt werden kann, fällt in den Schwachlastperioden in den thermischen und Flusskraftwerken überschüssige Energie an. Als zusätzliche Möglichkeit, diese Bedarfsschwankungen auszugleichen, bietet sich bei den KWO das Umwälzwerk an. Dieser Anlageteil erlaubt es, die überschüssige Energie in Form von Wasser zu speichern und im Bedarfsfall zur Deckung der Verbrauchsspitzen wieder abzugeben. Durch diesen Vorgang wird ursprünglich überschüssige Energie nicht nur gespeichert, sondern in hochwertige Spitzenenergie umgewandelt.Projekt „KWO plus“:
Zum Verständnis des Projekts „KWO plus“ seien einige Besonderheiten der Elektrizitätswirtschaft in Erinnerung gerufen: Elektrische Energie kann nicht gespeichert werden. Eine Lagerung ist nur in Form potenzieller Energie möglich, indem man beispielsweise Wasser speichert. Etwa 90 Prozent des Wasserabflusses im Gebirge erfolgen im Sommer; der Strombedarf ist aber im Winter wesentlich grösser als im Sommer. Die Anlagen der KWO reichen bei weitem nicht aus, um alles zufliessende Schmelz- und Regenwasser für den Winter zu speichern. Deshalb entsteht überschüssiger Sommerstrom, der exportiert werden muss. Im Winter ist die inländische Stromproduktion aus Wasserkraft wegen fehlender Speicherkapazität zu klein, deshalb ist die Schweiz zunehmend auf Stromimporte (vor allem aus Frankreich) angewiesen. Um die einheimische Wasserkraft besser zu nutzen, ist eine Umlagerung der Stromproduktion vom Sommer in den Winter notwendig. Genau das möchten die KWO mit dem Projekt „KWO plus“ erreichen. Konkretes Ziel ist es, möglichst viel Winter-Spitzenenergie zu erzeugen.Gegenwärtige und geplante Bauprojekte:
Unter dem Begriff „KWO plus“ wird eine Reihe voneinander unabhängiger Projekte verstanden, mit denen die KWO ihre bestehenden Anlagen sanieren und aufwerten wollen. Durch die Vielzahl an Massnahmen und Projekten strebt die KWO eine signifikante Steigerung der Speicher- und Produktionskapazitäten an, um den Herausforderungen der saisonalen Stromnachfrage gerecht zu werden und die einheimische Wasserkraft effizienter zu nutzen.
Vergrösserung des Grimselsees:
Eines der bedeutenden Projekte ist die geplante Vergrösserung des Grimselsees. Der See hat einen grossen direkten Zufluss, der sein Fassungsvermögen um mehr als das Doppelte übersteigt. Durch eine Erhöhung der beiden Staumauern um 23 Meter könnte das Volumen des Sees um 75 Mio. m³ auf insgesamt 170 Mio. m³ erweitert werden. Mit diesem zusätzlichen Speichervolumen könnte ein Teil der Stromproduktion vom Hochsommer, wenn das meiste Wasser anfällt, jedoch die Nachfrage nach Strom geringer ist, in andere Jahreszeiten verlagert werden.
Das Projekt ist umstritten, da eine Erhöhung des Seespiegels Teile eines Moorgebiets und eines Arvenwalds gefährden würde. 2012 entschied das bernische Verwaltungsgericht gegen das Projekt aufgrund des Moorschutzes. 2017 entschied das Bundesgericht jedoch zugunsten des Ausbaus, unter anderem wegen der geringen Fläche des betroffenen Moores, und betonte die Bedeutung für die Energieversorgungssicherheit.
Ersatz der Staumauer Spitallamm:
Das Projekt umfasst den Bau einer neuen, modernen Bogenstaumauer neben der bestehenden, die erhebliche Alterungserscheinungen aufweist. Die Bauarbeiten begannen 2019, und die Fertigstellung ist für 2025 geplant. Die neue Mauer wird 113 Meter hoch und 212 Meter lang sein und das aktuelle Speichervolumen beibehalten. Die alte Mauer wird nach Inbetriebnahme der neuen teilweise abgetragen und als Sicherung dienen. Dieses Vorhaben garantiert die langfristige Sicherheit und Stabilität der Energieversorgung im Grimselgebiet.
Planungen zur Vergrösserung des Oberaarsees:
Geplant ist eine Erhöhung der Staumauer des Oberaarsees um 10 Meter, um das Speichervolumen zu steigern und so eine bessere Nutzung der Wasserressourcen für die Energieerzeugung zu ermöglichen. Dieses Projekt befindet sich derzeit in der Planungsphase, wobei die Zeitangaben noch offen sind.
Pumpspeicherwerk Grimsel 3:
Ein ebenfalls signifikantes Projekt ist das Pumpspeicherwerk Grimsel 3, das mit einer geplanten Bauzeit von sechs Jahren errichtet werden soll. Das Pumpspeicherwerk wird an die Speicherseen Oberaar und Räterichsboden angeschlossen und nutzt bestehende Infrastrukturen. Grimsel 3 ermöglicht den Ausgleich zwischen Stromproduktion und -bedarf und reagiert schnell auf die Schwankungen von Wind- und Solarenergie.
Pumpspeicherwerk Grimsel 4:
Die KWO plant das Pumpspeicherwerk Grimsel 4 als unterirdisches Werk, das ohne zusätzliches Wasser auskommt und bestehende Anlagen integriert. Es soll wichtige Ausgleichsleistungen für das Stromnetz, wie Spitzenlast und Pumpspeicherung, ermöglichen und Schwankungen durch den Rückgang von Kernkraftwerken und den Anstieg von Wind- und Solarstrom ausgleichen. Das Projekt zielt darauf ab, die Speicherseen Räterichsbodensee und Grimselsee zu optimieren. Der Baubeginn soll 2027 mit einer geplanten Bauzeit von 4,5 Jahren starten.
Kraftwerk Handeck 4:
Daneben ist der Bau des Kraftwerks Handeck 4 zu erwähnen, bei dem ein neues unterirdisches Kraftwerk als Erweiterung der bestehenden Kraftwerkskette entsteht. Wann die konkreten Bauarbeiten beginnen sollen, steht noch offen. Die geschätzte Bauzeit wurde bereits auf zweieinhalb Jahre festgelegt.
Neubauprojekt Speichersee und Kraftwerk Trift:
Das Neubauprojekt Speichersee und Kraftwerk Trift sieht vor, einen neuen Stausee im Triftgletscherbecken zu errichten und ein Kraftwerk mit einer Leistung von 80 MW zu bauen. Der Triftsee, der 2002 durch den Rückzug des Triftgletschers entstanden ist, soll als Speichersee dienen. Das Baugesuch wurde 2017 eingereicht, aber aufgrund rechtlicher und planungstechnischer Verzögerungen konnte das Projekt erst Anfang 2023 wieder aufgenommen werden. Durch jüngste Beschwerden wird sich die Fertigstellung weiter verzögern. Das Projekt ist umstritten und wird von Umweltschützern kritisiert, da es ins fragile Ökosystem des neuen Sees eingreift. Dennoch gilt es als wichtig für die Energieversorgungssicherheit.