St. Gotthard - Pass und Tunnel

Schweiz - Landschaftswandel und Transitverkehr
978-3-14-100919-4 | Seite 55 | Abb. 2| Massstab 1 : 500000

Überblick

In der topografisch gestalteten Karte sind die vier wichtigsten Verkehrstransversalen eingezeichnet: die St. Gotthard-Passstrasse, die Autobahn durch den Alpen-Hauptkamm, die Eisenbahn-Bergstrecke sowie die Neue Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) mit dem Basistunnel. Die Darstellung ermöglicht einen direkten Vergleich der Streckenführungen: Während die beiden älteren Linien (Passstrasse und Eisenbahn) die topografischen Hindernisse mit zahlreichen Kehren bewältigen mussten, zeigen die beiden neuen (Autobahn und NEAT) einen viel direkteren Verlauf. Dies wird auch aus der Anzahl und Länge der Tunnel ersichtlich. Die Kombination dieser Karte mit dem geologischen Profil ermöglicht eine aufschlussreiche dreidimensionale Ansicht der Zentralalpen. Der Querschnitt weist auf die Schwierigkeiten mit dem Gestein hin, die beim Tunnelbau auftreten können.

Erschliessung der Gotthardregion

Inmitten der Zentralalpen gelegen, bildet die Gotthardregion das Quellgebiet der grossen schweizerischen Alpenflüsse Rhein, Rhone, Reuss, Aare und Ticino. Der Gotthardpass selbst liegt auf der Hauptwasserscheide zwischen Rhein und Po und somit zwischen Nord- und Südeuropa. Diese Wasserscheide bildet eine höchst wirkungsvolle Wetterscheide und war seit jeher auch eine Sprach- und Völkergrenze.
Während der Römerzeit blieb der zentrale Alpenraum fast unberührt. Schwer überwindbare topografische Hindernisse stellten sich am Gotthard entgegen, an der Nordrampe der Axenfelsen und die Schöllenen, auf der Südrampe die Klusen von Piotino und Biaschina.
Erst zu Beginn des 13. Jahrhunderts wurde mit kühnen Bauwerken ein Saumpfad über den Gotthard eröffnet. 1830 ersetzte eine für Pferdekutschen fahrbare Strasse den alten Saumpfad. Die Eröffnung der Gotthardbahn 1882 mit ihren zahlreichen Kehrtunnels und einem 15 km langen Scheiteltunnel auf 1 150 m Höhe brachte den alten Passverkehr für Jahrzehnte fast zum Erliegen.
Die starke Zunahme des Strassenverkehrs im 20. Jahrhundert erforderte aber neue Lösungen: Der Autoverlad durch den Eisenbahntunnel im Winter und der Ausbau der Südrampe in den 1960er-Jahren, bei dem die Steigung mit den bisher 45 engen Kurven der Tremola neu in wenigen, weit ausholenden Kurven bezwungen wurde, brachten eine vorübergehende Besserung.
1980 konnte schliesslich der Gotthard-Strassentunnel (Scheitelhöhe 1 171 m, Länge 16,9 km) als Teil des nationalen Autobahnnetzes eröffnet werden. Diese Verbesserung des Strassennetzes war primär für den Personentransit vorgesehen. Dass damit aber auf europäischer Ebene eine entscheidende Weichenstellung zugunsten des Strassengüterverkehrs in Abkehr vom bisherigen Bahntransport vorgenommen wurde, erkannte man damals nicht.

Der Gotthard-Basistunnel und die NEAT

So mussten die Verkehrsplaner wieder Lösungen für eine Neue Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) suchen. Im September 1992 votierte das Schweizer Stimmvolk deutlich für den Bau einer neuen Gotthard-Eisenbahnstrecke zwischen Arth-Goldau und Lugano (125 km). Kernstück dieser Strecke bilden die Basistunnel am Gotthard (ca. 57 km) mit einer Scheitelhöhe von nur 550 m und am Monte Ceneri (ca. 15 km). Die Linienführung entspricht einer Flachbahn mit den Vorteilen einer Hochleistungsstrecke. Der Gotthard-Basistunnel konnte 2016 in Betrieb genommen werden. Er ist zurzeit der längste Eisenbahntunnel der Welt. Der Ceneri-Basistunnel wurde Ende 2020 dem Verkehr übergeben.
Der Gotthard-Basistunnel führt zu rund 85 % durch kristallines Gestein, das Tunnelbauer als günstig bezeichnen. Bohrtechnisch besonders anspruchsvoll waren zwei Bereiche: die schmalen Zonen des Tavetscher Zwischenmassivs (Tavetsch-Decke) und der Piorazone.
Die altkristalline Tavetsch-Decke setzt sich wechselweise aus steilstehenden, harten Gneisen und weichen Phylliten und Schiefern zusammen.
Die Piorazone besteht aus stark metamorph überprägten Sedimenten, v. a. zuckerförmiger, wassergesättigter Dolomit. Diese mesozoischen Ablagerungen (245 – 50 Millionen Jahre) wurden bei der alpinen Gebirgsbildung zwischen den Massiven eingeklemmt und deformiert. Ergebnisse von Sondierbohrungen konnten die frühere Befürchtung, dass der zuckerförmige Dolomit mit seinem hohen Wasserdruck bis auf den Basistunnel herabreichen könnte, nicht bestätigen; unterhalb von 600 m ü. M. (also im Bereich des Basistunnels) bestand die Zone aus trockenem und festem Dolomit-Anhydrit-Gestein. Die grosse Länge des Basistunnels zwang die Tunnelbauer zu gleichzeitiger Bohrung an verschiedenen Stellen. Die sogenannten Zwischenangriffe von Amsteg, Sedrun und Faido verkürzten die Bauarbeiten entsprechend. Die ganze Tunnelstrecke wurde in fünf Abschnitte eingeteilt, die mit unterschiedlichen Tunnelbaumethoden angegangen wurden.
Die Zeitersparnis durch Gotthard- und Ceneri-Basistunnel beträgt auf einer Bahnfahrt von Zürich nach Mailand über eine Stunde. Die alten Bahnstrecken sind im Nahverkehr auch noch in Betrieb und erfreuen sich durch ihre kühnen Tunnel- und Brückenanlagen sowie die Ausblicke ins Tal grosser touristischer Beliebtheit.

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