Überblick
Es gibt zahlreiche schematische Darstellungen der wirtschaftsräumlichen Struktur Europas. Sie werden als Raummodelle bezeichnet, weil sie sowohl abstrahierte Aussagen über reale Verbreitungen als auch solche über politisch angestrebte, erwartete oder vermutete räumliche Wandlungen enthalten. Raummodelle sind unterschiedlich zu interpretieren und können auf vielfache Weise variiert werden. Diese bildhaften Modelle haben eine Gemeinsamkeit: Regionen, die nicht innerhalb eines dargestellten Kernraumes oder einer Entwicklungsachse liegen, haben geringere Chancen im wirtschaftlichen Wettbewerb.Die „Blaue Banane“
Das Modell der „Blauen Banane“ ist der Ursprung des hier abgebildeten Raummodells. Diese geht auf eine skizzierte These des französischen Geographen Brunet (1989) zurück, die in einer Grafik das damalige Westeuropa zeigte. Brunet vertrat die Ansicht, dass ein Bedeutungsverlust für Paris infolge der fortschreitenden Europäisierung und der Lage der französischen Hauptstadt ausserhalb des Rückgrats Europas zu erwarten wäre, sollte die damalige Politik der Dezentralisierung Frankreichs zulasten der Hauptstadt fortgesetzt werden. Die Grafik Brunets fand in Europa unter dem von einem französischen Journalisten geprägten Schlagwort der „Blauen Banane“ (in Analogie zum Wirtschaftsbegriff Blue Chips gewählt) starke Beachtung.
Die „Blaue Banane“ erstreckte sich von Birmingham über London, Brüssel, Randstad, das Ruhrgebiet, die Rheinachse, Basel und Zürich bis nach Mailand, Turin und Florenz und wird dann in den Grafiken unterschiedlich weitergeführt, meist bis Rom. Dass die „Blaue Banane“ kein Raum ist, der sich homogen entwickelt, zeigen Schwerpunktverlagerungen zum Beispiel von Südost-England nach Amsterdam, Frankfurt oder Paris infolge des Brexit.
Erweiterungen und Entwicklungsachsen
Der wirtschaftliche Kernraum der „Blauen Banane“ wurde in den vergangenen Jahrzehnten durch unterschiedliche Elemente erweitert. Die „Gelbe Banane“ erstreckte sich von Paris über Brüssel / Amsterdam bis Hamburg und, grosszügig umrissen, bis nach Berlin. „Blaue“ und „Gelbe Banane“ wurden zusammen als das wirtschaftliche Herz Europas bezeichnet.
Der Gürtel von Hightech-Regionen, der sich rings um den Kernraum bildete, sollte auf die Bedeutung von Städten wie Bordeaux, Glasgow oder Wien hinweisen. Der Begriff Sunbelt wurde in Anlehnung an den wirtschaftsstarken sonnigen Süden der USA mit dem kalifornischen Silicon Valley gebildet.
Brunets Raummodell wurde nach 1990 auch durch Inhalte und grafische Erweiterungen für Osteuropa ergänzt, wo eine grundlegende politisch-ökonomische Neuausrichtung erfolgte (Transformation). Die Entwicklungsachsen der erhofften West-Ost-Verbindungen haben sich teilweise zu Transportkorridoren herausgebildet und unterschiedlich entwickelt. Während die drei baltischen Staaten Mitglieder der EU geworden sind (hoher Integrationsgrad), gilt dies in Südosteuropa nur teilweise. Die Achse Berlin–Moskau wird durch politische Auseinandersetzungen beeinflusst (wie die Ukrainekrise 2014, die sich im Ukrainekrieg und in Wirtschaftssanktionen fortsetzt).
„Blauer Pilz“
Im dargestellten Raummodell wird der „Blaue Pilz“ als Kernraum angesehen und stellt eine Weiterentwicklung der Bananenmodelle dar. Er reicht im Süden bis nach Rom, schliesst Norditalien und Nordostfrankreich bis Paris mit ein, reicht über die südliche Nordseeküste mit dem bedeutungsvollen Hafen Rotterdam bis über Hamburg, Berlin und Prag und weiter über München und Zürich Richtung Rom. Eine weitere Möglichkeit ist die Darstellung als Stern, der in enger Verbindung damit steht und die Ost-West-Ausdehnung noch mehr berücksichtigt, bisweilen dabei auch Südspanien einbezieht.
Als Zentren globaler Bedeutung werden Paris innerhalb des EWR und ausserhalb London, Istanbul und Moskau dargestellt. Wirtschaftszentren mit europäischer Bedeutung innerhalb des EWR sind Hamburg, Berlin, München, Rhein-Ruhr, Rhein-Main, Wien/Bratislava, Rom, Mailand, Barcelona, Madrid, Lissabon, Brüssel, Randstad, Stockholm und Warschau – ausserhalb sind das Zürich, Nordengland und Sankt Petersburg. Viele weitere Wirtschaftszentren mit einer Bedeutung für mehrere Länder verteilen sich entlang der Transportkorridore – sowohl als Einkernballung als auch als Mehrkernballung.
Ausdehnung des Wirtschaftsraumes Europa (EWR)
Der Handel zwischen dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und den nicht dazugehörigen Regionen und Staaten ist durch Grenz- und Zollkontrollen sowie durch Handelsschranken erschwert. Der EWR stellt mit Ausnahme der Schweiz eine relativ grosse, kompakte Landfläche dar. Die Schweiz ist indirekt durch eine ganze Reihe von bilateralen Verträgen, die zwischen 1972 und 2004 in vier Etappen mit den Vorläufern der Europäischen Union geschlossen wurden, teilweise an den Europäischen Wirtschaftsraum angebunden. Sie partizipiert somit teilweise, aber nicht gänzlich, an den „vier Freiheiten“ im EWR: dem freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitnehmern. Mit dem Brexit befindet sich hingegen Grossbritannien seit Februar 2020 ausserhalb des EWR. Im Osten grenzt der EWR an Russland, Belarus, Moldau und die Ukraine; im Südosten gehören Serbien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Albanien, Kosovo und Mazedonien sowie die Türkei nicht zum EWR.
Die grünen Transportkorridore stellen die Hauptverbindungen im EWR dar, die Weiterführung dieser ausserhalb des EWR werden hier als Entwicklungsachsen bezeichnet. Generell ist zu beachten, dass auch in den Kernräumen strukturschwache Gebiete liegen. Dies verweist auf die Fragmentierung Europas, also auf die Tatsache, dass sehr gegensätzliche Raumkategorien, etwa klassische Altindustrieareale und neue Investitionsstandorte, besonders arme oder reiche Regionen, oft dicht beieinanderliegen. Ähnliches ist auch ausserhalb des Kernraumes zu beobachten.