Ausländische Arbeitnehmer
Europa - Europäische Union
978-3-14-100770-1 |
Seite 95 |
Abb. 5|
Maßstab 1 : 30000000
Informationen
Die grenzüberschreitenden Mobilitätsströme innerhalb Europas haben sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Ein heute schon historisches Phänomen sind die Gastarbeiterströme der 1960er- und 1970er-Jahre. Auslöser dieser Wanderungen waren der wirtschaftliche Aufschwung in den Industriestaaten der Nachkriegszeit, der damit einhergehende Arbeitskräftebedarf und das Entwicklungsgefälle zu den europäischen Randgebieten. Eine zweite Einwanderungswelle ereignete sich in dem Dezennium zwischen 1988 und 1998, in dem sich die Zahl der in Europa lebenden Einwanderer um 36 Prozent auf knapp 19 Mio. Menschen erhöhte. In dieser Phase stieg der ausländische Anteil an der Wohnbevölkerung vor allem in solchen Ländern, die wie etwa Finnland, Dänemark, Spanien, Portugal und Italien zuvor einen relativ geringen Ausländeranteil hatten, während er beispielsweise in Deutschland zwar temporär durch die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien zunahm, dann aber durch eine Strategie aus Abschiebungen, Anreizen zur Rückkehr und Abschottung ab 1995 wieder fiel.Jüngste Entwicklungen
Dass der Umfang der ausländischen Bevölkerung trotz dieser Abschottungspolitik sowohl in absoluten Zahlen als auch relativ zur Gesamtbevölkerung beständig zunimmt, hat in erster Linie damit zu tun, dass viele der in den 1960er- und 1970er-Jahren angeworbenen temporären Arbeitskräfte entgegen den ursprünglichen Erwartungen vergleichsweise stabile "Communities" gebildet haben, die nunmehr schon in der zweiten oder dritten Generation in den Gastländern leben. Daraus hat sich für die Aufnehmerländer die Aufgabe der dauerhaften Integration ergeben. Überdies nehmen einige europäische Staaten wie etwa die Niederlande, Spanien und Großbritannien Menschen aus ihren ehemaligen Kolonialgebieten auf, wodurch sich beispielsweise der hohe Anteil der Nordafrikaner an den ausländischen Arbeitnehmern in Frankreich erklärt. Eine starke Zunahme der Wanderungsbewegungen gibt es in jüngster Zeit bei den temporären Einwanderungen, insbesondere bei denjenigen von hochqualifizierten Migranten und von Saisonarbeitern, durch die der Anteil von Bürgern aus anderen EU-Staaten in den Mitgliedesländern in letzter Zeit zunimmt, wenn auch nicht so stark wie der Anteil der ausländischen Bevölkerung. Der Aufenthalt im Gastland ist für diese Arbeitskräfte meist von beschränkter Dauer, entweder weil der Arbeitseinsatz von Beginn an terminiert ist oder weil der Einsatzort dieser Beschäftigten innerhalb ihres jeweiligen Unternehmens wechselt. Eine Änderung dieser Situation deutet sich mit der Einführung von GreenCard-Regelungen sowie mit der Debatte um die Einführung einer BlueCard innerhalb der EU für hochqualifizierte Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten an.
Die Staaten des ehemaligen Ostblocks waren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sowohl aufgrund des wirtschaftlichen Gefälles zu den westeuropäischen Staaten als auch infolge der Bürgerkriege im ehemaligen Jugoslawien und zahlreicher anderer ethnisch motivierter Konflikte in anderen Staaten fast ausnahmslos zu Abwanderungsgebieten geworden. Allerdings hat sich die Situation in den Ländern, in denen die politische und ökonomische Transformation bereits weit fortgeschritten ist (wie Tschechien) stabilisiert.
Durch politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklungen und Veränderungen sind die Wanderungsmuster beständig Wandlungen unterworfen. Während beispielsweise Frankreich bis in die 1990er-Jahre das Haupteinwanderungsland für nordafrikanische Emigranten war und es für Algerier auch heute noch ist , zieht es vor allem einwandernde Marokkaner und Tunesier in jüngster Zeit immer stärker nach Spanien und Italien. Irland, einst als "Armenhaus" Europas ein Auswanderungsland par excellence, erlebt seit einigen Jahren einen enormen Wirtschaftsboom, durch den sich der Anteil der ausländischen Unternehmen und Arbeitnehmer seit Mitte der 1990er-Jahre drastisch erhöht hat.
Der Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung ist in allen europäischen Staaten sehr unterschiedlich: In Finnland liegt er bei 7 Prozent, in Deutschland nur geringfügig höher bei knapp 9 Prozent, während Luxemburg einen ausländischen Bevölkerungsanteil von mehr als 30 Prozent verzeichnet. In absoluten Zahlen ausländischer Arbeitnehmer ist Deutschland europäische Spitze, auf den Plätzen zwei bis sechs folgen Frankreich, Italien, Großbritannien, Spanien und die Schweiz.
K. Lückemeier