Bevölkerungsentwicklung

Erde - Erde
978-3-14-100870-8 | Seite 38 | Abb. 3| Maßstab 1 : 180000000

Im Jahre 1804 lebten erstmals eine Milliarde Menschen auf der Erde. Seitdem ist die Weltbevölkerung nicht nur kontinuierlich, sondern geradezu sprunghaft angewachsen. Derzeit steigt sie etwa alle zwölf Jahre um eine weitere Milliarde Menschen an. Dass dieses Bevölkerungswachstum nahezu ausschließlich in den Entwick-lungsländern stattfindet, ist kein Zufall. In Ländern, in denen der Aspekt der Versorgungssicherheit dank entsprechender Sozial- und Sicherungssysteme von der leiblichen Reproduktion vollkommen abgekoppelt ist und die überdies weitgehend säkularisiert und aufgeklärt sind, geht die Zahl der Kinder tendenziell zurück. Anders in den armen Ländern, in denen der Aspekt der materiellen Not durch Faktoren wie mangelnde Aufklärung und Bildung, religiöse Bevormundung und die Entrechtung und Diskriminierung des weiblichen Geschlechts negativ befördert wird.

Die Weltkarte gibt einen Überblick über die unterschiedliche Intensität des Bevölkerungswachstums in den verschiedenen Staaten und Regionen der Erde. Die relativen Angaben (Veränderungen in Prozent) werden durch Flächenfarben dargestellt und durch eingedruckte Zahlen mit absoluten Angaben ergänzt. Letztere zeigen, dass sich das absolute Bevölkerungswachstum auf nur wenige große Länder vor allem in Asien und Afrika konzentriert (Indien mit großem Abstand, dann China, Nigeria, Pakistan und Indonesien). Eine Sonderstellung nehmen nicht zuletzt aufgrund der Zuwanderung die USA ein, die in dieser Rangliste auf Platz 5 liegen.

Auffällig ist die Diskrepanz zwischen den Industrieländern mit nur geringem oder sogar negativem Bevölkerungswachstum einerseits und vielen Entwicklungsländern, insbesondere den Least Developed Countries, mit hohen Geburten- und Sterberaten sowie hohem natürlichen Bevölkerungssaldo andererseits.

In den Industrieländern liegen Geburten- und Sterberaten dicht beieinander. Aus diesem Grund ergibt sich entweder nur ein geringer Bevölkerungsanstieg oder eine Stagnation, teilweise sogar ein Rückgang der Bevölkerungszahl. Letzteres trifft unter anderem auf Japan (s. 38.1), Deutschland, Ost- und Südosteuropa zu, wo die Sterberate vor allem aufgrund der verbesserten medizinischen Versorgung zwar gesunken ist, die Geburtenrate aber noch stärker fällt. Hinzu kommt in Osteuropa die erhebliche Abwanderung aus den potenziellen Elterngenerationen zum Zwecke der Arbeitssuche, vor allem mit dem Ziel Westeuropa. In einigen Industrieländern, zum Beispiel Schweden und Australien, beeinflusst die Zuwanderung das Bevölkerungswachstum stärker als das natürliche Bevölkerungswachstum. Dort ist eine positive Bevölkerungsentwicklung zu verzeichnen.

In den Entwicklungsländern, in denen die Zahl der Geburten deutlich die der Sterbefälle übersteigt, ist das Wachstum hingegen relativ stark. Die Bevölkerung ist dort überdurchschnittlich jung, was sich aus dem Diagramm im Atlas zum Beispiel für Afrika ableiten lässt. Die für die Entwicklungsländer dargestellte Bevölkerungsentwicklung wird auf dem afrikanischen Kontinent am deutlichsten sichtbar (s. 38.1, Nigeria).

Modell des demographischen Übergangs

Als Erklärung für die regional unterschiedliche Bevölkerungsentwicklung wird häufig das Modell des demographischen Übergangs herangezogen, das auf der Abhängigkeit zwischen dem Entwicklungsstand und dem generativem Verhalten der Bevölkerung eines Staates basiert. Dabei ist zu beachten, dass dieses Modell nur den Ablauf einer Bevölkerungsentwicklung darstellt, aber nichts über die Verweildauer des einzelnen Staates in einem bestimmten Stadium aussagt.

Der agrarischen Gesellschaft mit schwankenden Geburten- und Sterbeziffern als Ausgangspunkt folgt nach diesem Modell eine Phase mit gleichbleibend hoher Geburten-, aber schnell fallender Sterberate. Hervorgerufen wird diese frühtransformative Phase durch leichte Verbesserungen in den Bereichen Ernährung, Gesundheit und Hygiene in Verbindung mit einem schwachen industriellen Entwicklungssatz und durch das tradierte generative Verhalten.

Die sich hieran anschließende mitteltransformative Phase, auch als Phase des demographischen Übergangs bezeichnet, ist durch einen leichten Rückgang der Geburtenziffern sowie ein weiteres Absinken der Sterbeziffern charakterisiert. Die wachsende Industrialisierung bewirkt ein Aufweichen des traditionellen Verhaltensmusters.

In der vierten Phase, der spättransformativen Phase, kommt der demographische Übergang zum Abschluss. Die abschließende posttransformative Phase, in der sich die modernen Industrienationen befinden, wird von einer niedrigeren Geburten- und Sterbeziffer geprägt. Sie geht einher mit einem hohen Lebensstandard und starken sozialen und wirtschaftlichen Sicherungen.

Zunehmend wird - trotz aller Plausibilität und Anschaulichkeit - Kritik am Modell des demographischen Übergangs geübt und die Forderung erhoben, über ökonomische Faktoren hinaus stärker neuere sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse einzubeziehen, zum Beispiel hinsichtlich soziokultureller Kontexte, der Heterogenisierung von Lebensräumen und politischer Rahmenbedingungen in den Industrieländern.

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