Einwanderung und Erschließung

Amerika - USA - Geschichte und Gegenwart
978-3-14-100770-1 | Seite 204 | Abb. 1| Maßstab 1 : 36000000

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Die Nordhälfte des amerikanischen Kontinents wurde seit der Mitte des 16. Jahrhunderts zur Einflusssphäre der rivalisierenden europäischen Großmächte Spanien, Frankreich und England. Aus dem Wettbewerb dieser Kolonialmächte um die Erschließung des Landes gingen im Verlauf des 18. Jahrhunderts zunächst die Briten und dann, in ihrer Nachfolge, die Amerikaner als eindeutige Gewinner hervor.

Beginn der Kolonialisierung
Die ersten Vorstöße in das Innere des Kontinents wurden durch die Spanier von Mexiko und der Karibik aus unternommen. 1556 wurde St. Augustine an der Küste Floridas als erste durchgängig besiedelte Stadt auf amerikanischem Boden gegründet. Im Jahre 1609 folgte Santa Fe im heutigen Staat New Mexico. Im Gegenzug versuchten die Franzosen, den Kontinent von Nordosten her über den St.-Lorenz-Strom zu erschließen. Nachdem die reichhaltigen Fischgründe um Neufundland bereits im 16. Jahrhundert regelmäßig von französischen Fischern aufgesucht worden waren, setzten sich die Franzosen um 1600 endgültig im Bereich der heutigen kanadischen Provinz Québec fest. Dort gründeten sie 1608 die gleichnamige Hauptstadt und nannten das Gebiet Nouvelle France. Von hier aus drangen sie in die Region der Großen Seen vor, erreichten über das Flusssystem des Mississippi den Golf von Mexiko und gründeten dort im Jahre 1718 die Stadt Nouvelle Orléans, das heutige New Orleans.
Die erste erfolgreiche Siedlungsgründung der Engländer erfolgte am 14. Mai 1607 mit der Anlage von Jamestown in der Chesapeake Bay südlich der späteren Hauptstadt Washington. Diese erste Siedlung wurde nicht nur zur Keimzelle der durch den Tabakanbau reich gewordenen Kolonie Virginia, sondern des gesamten englischsprachigen Amerika. 13 Jahre später, 1620, landete in der Nähe der heutigen Stadt Boston die legendäre "Mayflower" mit 149 Menschen an Bord, unter ihnen zahlreiche als "Pilgerväter" bezeichnete puritanische Glaubensflüchtlinge, die in der Folge "Neu-England" besiedelten. Nach diesen Anfängen erlebte die Einwohnerzahl in den englischen Kolonien einen raschen Anstieg. Lebten dort im Jahre 1630 nur knapp 5000 Kolonisten, so stieg deren Zahl bis 1700 auf 250 000. Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit (1776) hatten die USA bereits 2,5 Mio. Einwohner, bis zum Jahre 1800 war ihre Zahl auf 5,3 Mio. angewachsen.
Die Erschließung der Vereinigten Staaten durch Amerikaner und Einwanderer aus Europa erfolgte vor allem in ost-westlicher Richtung. Ihr Ausgangspunkt waren die britischen Kolonien, die sich in einem schmalen Küstenstreifen entlang der Ostküste entwickelt hatten. Von hier aus drangen die Siedler nach Westen vor, wobei die Erschließung neuer Gebiete meist nach einem ähnlichen Muster erfolgte. Als Pioniere beim Voranschieben der sogenannten Frontier, der Siedlungsgrenze, wirkten häufig die Pelzjäger und -händler. Auf sie folgten die Viehzüchter und Farmer, dann erst kam es zur Gründung von städtischen Siedlungen und dem Zuzug von Kaufleuten und Handwerkern. Zwar waren die Gebiete zwischen den Großen Seen im Norden und dem Golf von Mexiko bereits seit dem Ende des 17. Jahrhunderts von den Franzosen erschlossen, aber nicht in einem nennenswerten Umfang besiedelt worden. Wirkliches Neuland war das – im Jahre 1803 von Frankreich gekaufte – Gebiet westlich des Mississippi, dessen Besiedlung und wirtschaftliche Inwertsetzung durch den Bau der transkontinentalen Eisenbahnverbindungen nach 1860 entscheidend vorangetrieben wurde.

Indianische Ureinwohner
Das Bild der Indianer Nordamerikas wird auch heute noch sehr stark von jenen berittenen Stämmen der Great Plains bestimmt, die sich, wie die Sioux 1876 am "Little Big Horn", den Verbänden der amerikanischen Armee mit Pfeil und Bogen zu erwehren versuchten. Gerade diese Lebensform der Plains-Indianer, der berittenen Bisonjäger, ist aber außerordentlich spät unter dem Einfluss der spanischen Konquistadoren entstanden. Durch sie hatten die Indianer in den südlichen Plains um 1630 das Pferd kennengelernt. Um 1750 waren bereits alle Indianer dieses Raumes im Besitz von Pferden.
Man schätzt die Zahl der Indianer im Bereich des heutigen Kanada und der USA vor der Ankunft der Europäer auf 1 bis 2 Mio. Menschen. Diese Indianerbevölkerung war kulturell überaus differenziert und sehr ungleichmäßig über den Kontinent verteilt. Die höchste Dichte wurde in den Waldregionen des Ostens erzielt. Hier bildete neben der Jagd und dem Fischfang vor allem der Ackerbau die Existenzgrundlage. Die zum Teil zur Sprachfamilie der Algonkin zählenden Stämme wie die Delawaren und Mohikaner wurden früh von der weißen Bevölkerung vernichtet. Südlich der Großen Seen bildeten die Irokesen lange Zeit eine mächtige und kriegerische Konföderation von Stämmen. Im Südosten, im Bereich der südlichen Appalachen, lebten ebenfalls als Ackerbauern die zur Sprachgruppe der Muskogee zählenden Creek sowie die mit den Irokesen verwandten Tscherokesen. Sie zählten zum Kern der sogenannten fünf zivilisierten Stämme, die bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein hohes Maß an politischer und kultureller Eigenständigkeit entwickelt hatten.
Wie schon erwähnt, hatten sich die Lebensformen der Reiterstämme der Plains und Prärien erst im Kulturkontakt mit den Spaniern entwickelt. Ihre wirtschaftliche Grundlage bildete die Bisonjagd. Die häufig recht kriegerischen und mobilen Stämme wie die Sioux und Dakota im Norden, die Cheyenne in der Mitte sowie die Apachen und Komantschen im Süden gehörten sehr unterschiedlichen Sprachfamilien an. Von diesen Gruppen deutlich unterschieden waren die Indianer in den Trockengebieten des Südwestens. Neben dem großen Stamm der Navajo, der sich im Kulturkontakt mit den Spaniern durch die Übernahme von Pferd und Schaf von Jägern und Sammlern zu Viehzüchtern entwickelt hatte, stehen bis heute die Ackerbau treibenden Pueblo-Indianer wie die Hopi, die in festen Dörfern leben. Die Indianerbevölkerung im dünn besiedelten Kalifornien lebte vornehmlich vom Sammeln von Eicheln, während an der Nordwestküste der Fischfang die Lebensgrundlage bildete.

Systematische Vertreibung und Ermordung
Die Begegnungen zwischen der indianischen Bevölkerung und den europäischen Kolonisten verliefen anfangs meist friedlich, die Indianer halfen sogar beratend bei der Kultivierung des Landes. Mit der wachsenden Zahl der Siedler und den grundsätzlich verschiedenen Auffassungen hinsichtlich des Landbesitzes kam es jedoch bald zu ernsten Konflikten. Hatten die Pelzhändler noch Wert darauf gelegt, sich mit den Indianern zu arrangieren, so kamen die nachfolgenden Farmer mit dem erklärten Ziel, sich deren Land anzueignen. Maßnahmen der Umsiedlung und Vertreibung, aber auch die gezielte Ausrottung kennzeichneten die Politik der weißen Amerikaner gegenüber der indianischen Bevölkerung.
Zwar gab es seit der Mitte des 18. Jahrhunderts immer wieder staatliche Bestrebungen zum Schutz der Ureinwohner vor Bodenspekulanten und Siedlern, so durch die Ausweisung von Reservaten, in denen die Indianer meist zwangsweise angesiedelt wurden. Traurigen Ruhm erlangte die als "Marsch der Tränen" bekannte Zwangsumsiedlung der Tscherokesen aus der Appalachenregion in das "Indianerterritorium" Oklahoma im Winter 1838/39, in deren Verlauf fast ein Viertel der rund 15 000 betroffenen Indianer starben.
Mit dem stetigen Vordringen der Besiedlung während des 19. Jahrhunderts wurde die indianische Bevölkerung immer stärker ihrer ursprünglichen Lebensräume beraubt und vernichtet. Selbst aus den zugewiesenen Siedlungsgebieten und Reservaten wurden zahlreiche Stämme erneut vertrieben. Überdies fielen unzählige Indianer der großen Ebenen und Prärien nach 1860 den von der amerikanischen Armee mit großer Härte geführten "Indianerkriegen" zum Opfer. Allein zwischen 1887 und 1934 verloren die Indianer etwa 36 Mio. Hektar des ihnen ursprünglich zugesprochenen Territoriums von 56 Mio. Hektar. Der größte Teil des verbliebenen Landes war für die Landwirtschaft ungeeignet. Erst 1924 erhielten die Indianer die volle amerikanische Staatsbürgerschaft.
H. D. Laux, G. Thieme

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