Überblick
Das Push-Pull-Modell der Migration umfasst in Mittelamerika eine Fülle an Faktoren, die die Migration in der Region fördern. Neben Armut, sozioökonomischen Herausforderungen und Perspektivlosigkeit treten Faktoren wie Naturkatastrophen, Korruption, Epidemien und ansteigende Kriminalität in den Vordergrund. Die Karte zeigt den Migrationsstrom aus Süd- und Mittelamerika in Richtung USA in absoluten Zahlen und verdeutlicht zugleich den Anteil der Rücküberweisungen von Migrierten am durchschnittlichen Einkommen sowie den Kriminalitätsgrad in den Herkunftsländern.Einwanderung in die USA
Zwar steht den meisten Immigranten in der Regel kein legaler Weg für einen Aufenthalt in den USA offen, doch viele hoffen – auch durch die Erfahrungen in der Vergangenheit –, nicht als Illegale entdeckt zu werden oder setzen darauf, dass ihr Aufenthalt oder der ihrer Kinder im Nachhinein legalisiert werden könnte. Präsident Barack Obama hatte 2012 ein Dekret erlassen, dass jungen Einwanderern, sogenannten Dreamers (Träumern), die illegal über die Grenze in die USA eingereist waren, vor der Ausweisung schützte, indem ihnen eine begrenzte Aufenthalts- sowie eine Arbeitserlaubnis gewährt wurde. Ein Einbürgerungsrecht wurde ihnen im Rahmen dieser DACA-Regelung (Deferred Action for Childhood Arrivals) nicht zugestanden. Nachdem Präsident Donald Trump 2017 die DACA-Regelung zunächst abgeschafft hatte, wurde sie nach einer Entscheidung des Obersten US-Gerichtshofs 2020 wieder in Kraft gesetzt, bis sie im Oktober 2022 von einem Gericht erneut gekippt wurde. Das Gericht begründete das Aussetzen der DACA-Regelung mit der fehlenden Befugnis Obamas, das Gesetz als Dekret zu verabschieden. Insgesamt hatten rund 600 000 junge Menschen von dem Programm profitiert.Zunehmende Kriminalität
Neben ökonomischen Gründen sowie Naturkatastrophen und den Auswirkungen des Klimawandels gewinnen politische Instabilität und zunehmende Kriminalität weiter an Bedeutung als Pull-Faktoren der Migration. Die Karte zeigt den von der Globalen Initiative gegen transnational organisiertes Verbrechen definierten Kriminalitätsindex der einzelnen Herkunftsländer. Demnach zählen Mexiko und Kolumbien – auch aufgrund der Aktivität von Drogenbanden – zu den Spitzenreitern in puncto Kriminalität.
In El Salvador ist die ausufernde Bandenkriminalität heute eines der größten Entwicklungshemmnisse. Sie hat ihren Ursprung im Bürgerkrieg in den 1980er-Jahren, als Migrierte aus El Salvador in die USA flohen und dort in den Armenvierteln zum Schutz gegen rivalisierende Banden anderer Ethnien eigene Banden gründeten. Nachdem in den 1990er-Jahren zahlreiche Kriminelle in ihre Heimatländer abgeschoben wurden, setzten sie dort ihre Bandenaktivitäten weiter fort. Heute zählt El Salvador zu den gewalttätigsten Staaten der Region und weist einer der weltweit höchsten Mordraten auf.
In Haiti gehört die eskalierende Kriminalität ebenfalls zu den wichtigsten Gründen der Migration. Das Land wurde in jüngster Zeit von mehreren schweren Naturkatastrophen heimgesucht – nach dem Erdbeben 2010 mit 300 000 Todesopfern und 1,5 Millionen Obdachlosen brachte 2016 Hurrikan Matthew weitere Zerstörungen. Der Ausbruch der Cholera, hohe Korruptionsraten und die unkontrollierte Gewalt verhinderten einen erfolgreichen Wiederaufbau der Wirtschaft und der Infrastruktur. Nach dem Erdbeben 2010 gewährten die USA Personen aus Haiti bis 2017 einen vorübergehenden Schutzstatus. Rund 60 000 nahmen das Angebot an, verloren aber nach dem endgültigen Auslaufen des Programms 2019 ihre Aufenthaltserlaubnis. Heute leben rund 1,8 Millionen aus Haiti kommende Menschen im Ausland, davon rund 700 000 in den USA. Die Rücküberweisungen der Migrierten tragen insgesamt zu fast einem Drittel am BIP bei. Auch in Ländern wie Honduras, Guatemala, Nicaragua, Jamaika, der Dominikanischen Republik sowie mehreren Karibikstaaten tragen die Rücküberweisungen von Migrierten in hohem Maße an der Wirtschaftsleistung des Landes bei. Die dadurch fehlenden nationalen Steuereinnahmen hemmen oftmals den Ausbau des Bildungs- und Gesundheitssystems.
Migrationsbewegungen
In den letzten Jahren ist eine neuartige Dynamik in den Migrationsbewegungen in Mittelamerika zu beobachten. Menschenkarawanen mit mehreren Tausend Personen schließen sich auf dem Weg in die USA zusammen. Sie stimmen sich über soziale Medien über Aufbruch und Route ab. Die Karte zeigt wichtige Etappenziele auf der Migrationsroute durch Mexiko. Die Migrierenden sind in Mexiko oftmals Polizeiwillkür ausgeliefert oder sie werden Opfer von Drogenkartellen, die durch Entführungen Lösegeld erpressen. Viele, die Mexiko durchqueren, kommen aus Honduras, El Salvador, Kuba und Venezuela. Auch der Landweg von Südamerika nach Mittelamerika ist für Migrierende ein sehr gefährliches Unterfangen, vor allem wegen Überfällen am Isthmus von Darién zwischen Kolumbien und Panama (s. 236.1).
Bis 2019 stellte Mexiko Migrantinnen und Migranten aus anderen Ländern humanitäre Visa aus, schaffte diese Möglichkeit aber auf Druck der USA wieder ab. Im Zug des unter Präsident Donald Trump 2019 initiierten Migrantenschutzprogramms „Remain in Mexico“ wurden bis Anfang 2021 über 70 000 Migrantinnen und Migranten nach Mexiko zurückgeschickt, wo sie sich für die Dauer des Asyl- bzw. Einwanderungsverfahrens aufhalten sollen. Unter Trump wurden auch die Staaten El Salvador, Guatemala und Honduras als „sichere Drittstaaten“ eingestuft. Präsident Joe Biden setzte nach seinem Amtsantritt im Januar 2021 diese Regelungen wieder aus. Seitdem verschärft sich der Migrationsdruck an der Grenze zu den USA erneut.