Neolithische Revolution und frühe Hochkulturen
Überblick
Fast 2,5 Mio. Jahre lang ernährten sich die Menschen als Jäger und Sammler. Daran änderte auch das Erscheinen des Homo sapiens lange Zeit nichts. Erst als vor rund 11 500 Jahren das Klima nach dem Ende der letzten Eiszeit deutlich wärmer und auch niederschlagsreicher wurde, vollzogen einige Menschen im Gebiet des Fruchtbaren Halbmonds in Vorderasien den epochalen Schritt von der aneignenden zur bäuerlichen, auf der Nahrungsmittelproduktion basierenden Lebens- und Wirtschaftsweise. Diese vielleicht fundamentalste Entwicklung in der Menschheitsgeschichte war folgenreich nicht nur für die Nahrungsmittelversorgung, sondern auch für die Gesellschaft, die Individuen und die gesamte menschliche Kulturentwicklung.
Dieser Schritt wird als neolithische "Revolution" bezeichnet, vollzog sich aber keineswegs abrupt und plötzlich, die Übergänge waren vielmehr fließend. Die wesentlichen Merkmale des "neolithischen Bündels" - Sesshaftigkeit, Domestikation wilder Tiere und Pflanzen, Keramikproduktion zur Vorratshaltung - traten in unterschiedlicher Abfolge in Erscheinung und hatten auf allen Erdteilen ein anderes Gewicht. Dabei spielte die mehr oder minder günstige Naturausstattung eine entscheidende Rolle. Seit der Jungsteinzeit wurden weltweit nur 14 "große" (über 45 kg schwere) Haustierarten domestiziert, und von diesen haben die meisten nur regionale Verbreitung (zum Beispiel Dromedar, Rentier, Yak). Lediglich fünf Arten sind von globaler Bedeutung, nämlich Ziege, Schaf, Schwein, Rind und Pferd (die "großen Fünf"). Sie alle waren in Eurasien vorhanden - neben nahrhaften Wildgräsern und Hülsenfrüchten -, während dieser Naturreichtum anderen Weltregionen fast gänzlich fehlte. Nicht zufällig haben sich alle bedeutenden frühen Hochkulturen auf einem ähnlichen Breitengrad zwischen dem Fruchtbaren Halbmond und dem östlichen China entwickelt.
Die ersten Bauern im Nahen Osten domestizierten Emmer, Gerste, Einkorn, Weizen und Flachs, aber auch Hülsenfrüchte wie Saubohnen, Bohnen, Linsen und Kichererbsen. In ihren Lehmziegelhäusern konstruierten sie schon um 9500 v. Chr. hängende Böden, um die Vorräte vor Ungeziefer zu schützen. Die ersten Haustiere - neben dem Hund, der schon die Jäger und Sammler begleitet hatte - waren die genügsamen Ziegen und Schafe, die Fleisch und Milch, Felle und Wolle lieferten. Hausschweine lassen sich ab dem späten 8. Jahrtausend v. Chr. in Kleinasien, dem Nahen und Mittleren Osten, dann auch in Südostasien und China nachweisen. Das Rind wurde ab etwa 6000 v. Chr. im Nahen Osten, in Pakistan und Nordafrika domestiziert; es lieferte Milch, Fleisch, Felle, Dung (erst als Heizmaterial, später auch als Dünger), mit dem Aufstieg der Hochkulturen wurde es auch als Last- und Zugtier eingesetzt. Ein Nachzügler unter den "großen Fünf" war das Pferd, das um 4000 v. Chr. von Hirtennomaden der asiatischen Steppen (u. a. Jakuten, Kirgisen) gezähmt und gezüchtet wurde.
Der Übergang zur Landwirtschaft vollzog sich auch weit verstreut an anderen Orten, etwa im Osten der USA, in Mittelamerika und im Andenraum, in Westafrika, in Südostasien, Neuguinea, im indisch-pakistanischen Grenzgebiet und im östlichen China. Mancherorts gab es allerdings nur wenige Domestikationskandidaten, in Afrika südlich der Sahara und in Australien fehlten sie ganz. Andernorts waren sie zu unergiebig, um eine ausschließlich produzierende Lebensweise zu begründen. In Mesopotamien, dem Indusgebiet und am Gelben Fluss in China, später auch in Ägypten, entwickelten sich dagegen historisch bedeutende Hochkulturen. Ihre charakteristische Gemeinsamkeit war die intensive Beziehung zu einem Flusssystem.
Nach Mittel- und Westeuropa gelangte die sesshafte Lebensweise durch Kulturtransfer. Von Anatolien breitet sich die bäuerliche Kultur sukzessive über Griechenland und Südosteuropa aus. Zu dem "Gründerpaket" aus Kulturpflanzen und Haustieren kamen der Mohn und vermutlich auch der Hafer als originär europäische Anbaupflanzen hinzu. Die auf der Landwirtschaft beruhende Linearbandkeramische Kultur breitete sich ab der Mitte des 6. Jahrtausends v. Chr. von Osteuropa bis in das heutige Frankreich aus. Die Bandkeramiker, benannt nach der Form und Ornamentik ihrer Keramikgefäße, siedelten stets auf fruchtbaren Lössböden, errichten überall gleiche Wohn-Stall-Häuser, bauten identische Getreidesorten an und begründeten eine einheitliche europäische Kultur, die erst mit Beginn des Mittelneolithikums (um 5000 v. Chr.) aufgebrochen wurde und in regionale Kulturgruppen zerfiel.
In den Hochkulturen kam es nicht nur zu Innovationen in der Landwirtschaft (Pflug, Zugtiere, Bewässerung), es etablierten sich auch entscheidende kulturelle und gesellschaftliche Neuerungen. Als eine der ältesten Städte der Welt gilt Jericho (im 10. Jahrtausend v. Chr. gegründet, ab etwa 8000 v. Chr. befestigt). Mit der Gründung von Siedlungen kam es zu einer arbeitsteiligen Differenzierung und Perfektionierung des Handwerks, die Bevölkerung spaltete sich mit dem Wachstum der städtischen Zentren zunehmend in verschiedene Berufsgruppen (Bauern, Handwerker, Krieger, Priester, später Beamte und Händler) auf. Die Erfindung des Rades, der Töpferscheibe, die Anfänge der Kupferverarbeitung und die Erfindung der Schrift zählten zu den zahlreichen technisch-kulturellen Errungenschaften, die erst in Hochkulturen möglich waren.