Überblick
Landwirtschaftlich gliedert sich Mittelengland in Anpassung an das regionale Relief und Klima in die südwestlichen Bergländer (traditionell mit Rinderhaltung), in die nördlichen Pennines (mit intensiver Schafhaltung) und in die ackerbaulich genutzten Penninesvorländer. Letztere entwickelten sich ab dem späten 18. Jahrhundert zum Standort einer Reihe industrieller Ballungsräume und ihrer städtischen Zentren. Die beiden Karten (1950 und 2023) lassen die räumlichen Auswirkungen der Deindustrialisierung ab Beginn der 1970er-Jahre und die Folgen des anschließenden wirtschaftlichen Strukturwandels erkennen.Aufstieg der Industrieregionen Mittelenglands
Zu den traditionellen Schlüsselindustrien Nord- und Mittelenglands zählten neben dem Bergbau vor allem die Textil-, die Eisen- und die Stahlindustrie. Den natürlichen Wasserläufen folgend, war die Textilindustrie weit in die nördlichen Pennines vorgedrungen. In den östlichen Teilen dieser Region stützte sie sich mit ihren Woll- und Kammgarnprodukten vor allem auf die heimische Schafhaltung. In ihren westlichen Gebieten um Manchester spezialisierte sie sich hingegen auf die Verarbeitung importierter Baumwolle aus den überseeischen Kolonien (über den Einfuhrhafen Liverpool).
Die mittelenglischen Steinkohlevorkommen und importierte Erze waren die Basis für eine starke Konzentration der Eisen- und Stahlindustrie in Lancashire (v. a. Manchester), West und South Yorkshire (v. a. Bradford, Sheffield). Die Salzvorkommen östlich von Chester wurden zur Grundlage der chemischen Industrie. Liverpool als wichtigster Hafen wurde Standort des Schiffsbaus und Zentrum der Weiterverarbeitung von Kolonialprodukten wie Tabak, Zucker und Gummi. Die Stadt war zugleich Ausgangspunkt eines ausgedehnten, für den Transport von Rohstoffen und Industrieprodukten genutzten Kanalsystems. Ein verzweigtes Eisenbahnnetz verband die Industriegebiete miteinander und mit den übrigen Landesteilen.
In den 1950er- und 1960er-Jahren entwickelten sich die industriellen Zentren zu Zielgebieten einer vorwiegend regionalen Bevölkerungszuwanderung, der danach eine internationale Zuwanderung folgte – zunächst aus unabhängig gewordenen Staaten des ehemaligen britischen Kolonialreichs (v. a. Karibik, West-, Ost- und Südafrika, Südasien) und nach der EU-Osterweiterung 2004 vor allem aus mittel- und osteuropäischen Neumitgliedsstaaten (v. a. Polen, Rumänien und Bulgarien). Im Jahr 2021 zählte Bevölkerung der mittelenglischen Metropolitan Counties Merseyside 1,42 Mio., Greater Manchester 2,81 Mio., West Yorkshire 2,32 Mio. und South Yorkshire 1,40 Mio. Menschen.
Deindustrialisierung und Strukturwandel
Faktoren wie die verschärfte Konkurrenz (v. a. aus Ostasien) und veraltete Produktionsmethoden führten ab Beginn der 1970er-Jahre zu einer Absatzkrise in der mittelenglischen Eisen- und Stahlindustrie. Den umfassenden Konzentrations- und Rationalisierungsmaßnahmen der Folgejahre fielen fast alle Verhüttungsstandorte zum Opfer. Auch an den stahlverarbeitenden Industriestandorten wurden die Kapazitäten reduziert. Ebenfalls veraltete Produktionsanlagen und -methoden sowie zu geringe Investitionen ließen die Textilindustrie seit den 1960er-Jahren schrumpfen. Erhalten blieben nur wenige spezialisierte Standorte.
Durch den Niedergang der Eisen- und Stahlindustrie brach auch die Nachfrage nach Steinkohle ein. Viele der weniger produktiven Bergwerke wurden aufgegeben. Die britische Steinkohleförderung sank von 219,5 Mio. Tonnen 1950 auf 92,8 Mio. Tonnen 1980 und auf 16,8 Mio. Tonnen 2012. Drei Jahre später wurde das letzte Bergwerk geschlossen.
Der Niedergang der alten Schlüsselindustrien hatte in allen Teilen Mittelenglands einen Rückgang der industriellen Produktion und bis Mitte der 1990er-Jahre auch eine rückläufige Gesamtbeschäftigung zur Folge. Seit den späten 1980er-Jahren gelang es jedoch, im Umfeld der alten Ballungsräume Industrien weiterzuentwickeln – wie die chemische Industrie im Raum Liverpool – und neue Unternehmen, insbesondere aus der Metallverarbeitung und des Maschinen- und Fahrzeugbaus, aber auch aus den Bereichen Verkehr und Logistik sowie Umwelttechnologie anzusiedeln. Wie überall in Großbritannien entstanden im Dienstleistungssektor neue Arbeitsplätze. Nach dem vollzogenen Strukturwandel zählen die alten Industriezentren Manchester und Birmingham heute wieder zu den wirtschaftsstärksten Regionen Englands und zu bedeutenden Dienstleistungzentren.