Überblick
Die Karte umfasst den Raum zwischen Serbien, den südlichen Steppengebieten der Ukraine und des europäischen Russlands, dem Nord- und Südkaukasus sowie Anatolien mit dem Übergang in den Nahen und Mittleren Osten (Syrien, Irak, Iran). Zahlreiche Konfliktherde hemmen dort die wirtschaftliche Entwicklung. Kriege im Irak, in Syrien und der Ukraine hinterließen bzw. hinterlassen Zerstörungen, Armut und Flüchtlinge, welche die in der Karte dargestellten Strukturen nachhaltig beeinträchtigen.
Wirtschaftsräume
In Südosteuropa verlaufen „nicht sichtbare“ Grenzlinien zwischen dem integrierten europäischen Wirtschaftsraum mit den EU-Mitgliedern Kroatien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Griechenland und Zypern einerseits und den anderen Nachfolgestaaten Jugoslawiens, sowie Albanien, Moldau, der Ukraine und der Türkei andererseits, die jedoch bis auf den international nicht uneingeschränkt anerkannten Kosovo alle EU-Beitrittskandidaten sind, jedoch mit ungewisser Aussicht auf das Ob und Wann eines Unionsbeitrittes. Ungeachtet ihrer Zugehörigkeit zur EU bestehen allerdings auch in Griechenland, Bulgarien und Rumänien wirtschaftliche Strukturprobleme, wenn auch mit unterschiedlichen Ursachen (Schuldenkrise bzw. Transformation).
Die Türkei ist trotz ihres seit 1999 bestehenden Status als Beitrittskandidat eher durch eine Mittlerstellung zwischen der EU und dem Nahen Osten zu charakterisieren. Sie nimmt mit ihrer kontinuierlichen wirtschaftlichen Entwicklung innerhalb der Region eine Sonderstellung ein. Allerdings hat die Coronapandemie den Tourismus einbrechen lassen, der sich seit 2022 jedoch schnell erholt hat. Hinzu kommen Währungsverfall, Unternehmensverschuldung und eine defizitäre Handelsbilanz, sowie ein Verwaltungs- und Rechtssystem, in dem ein hohes Maß an Neutralität und Objektivität nicht immer gegeben scheint.
Die früheren Sowjetrepubliken Ukraine, Georgien, Aserbaidschan und Armenien ringen auf sehr unterschiedliche Weise um eine eigenständige Entwicklung und (europäische) Perspektive in unmittelbarer Nachbarschaft zur Großmacht Russland, die nunmehr offen eine zumindest revisionistische, wenn nicht sogar revanchistische Politik mit Blick auf die untergegangene Sowjetunion/UdSSR verfolgt. Territoriale Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen flackerten in der Vergangenheit immer wieder auf (z. B. durch die von Russland unterstützten abtrünnigen Gebiete Transnistrien in Moldau sowie Abchasien und Süd-Ossetien in Georgien). Seit Längerem ist besonders die Kaukasusregion ein Feld ethnischer Auseinandersetzungen und Spielball geopolitischer Interessen. Zudem wecken die Energiereserven am Kaspischen Meer (Aserbaidschan, Kasachstan) Begehrlichkeiten. Überragt werden all diese Konflikte jedoch durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine (seit 2014, eskaliert seit 2022), der neben den unmittelbaren Kriegsfolgen in den betroffenen ostukrainischen Regionen sowie durch Flugangriffe in der Ukraine insgesamt auch zu erheblichen internationalen Verwerfungen und Neubestimmungen mit Blick auf Allianzen und militärischen wie auch wirtschaftlichen und politischen Notwendigkeiten geführt hat. Für die Ukraine ist deshalb der Blick nach Zypern wichtig, als ein Beispiel für politische Zerstückelung: Nationalitätenkonflikte führten hier in Verbindung mit dem Eingreifen regionaler Mächte (Griechenland, Türkei) zur anhaltenden Teilung der Insel.
Naturräumliche Ausstattung, Landwirtschaft, Rohstoffe
Der Naturraum lässt sich in vier große Einheiten gliedern: In ein in West-Ost-Richtung verlaufendes Band aus Gebirgszügen und Abflusstälern sind wenige Becken und ebene Hochlandschaften eingelagert. Das Ägäische Meer mit seinen zahlreichen Inseln, das Marmarameer und der Bosporus unterbrechen dieses Gebirgsband. Der geologische Bau und das Relief bedingen Naturrisiken (Erdbeben) und erschweren die Erschließung für den Verkehr. Landwirtschaftliche Gunsträume sind hier vor allem die Täler der größeren Flüsse, Becken und die schmalen Küstenebenen. Bei bestimmten Erzeugnissen (Haselnüsse) stammt ein Großteil der Weltproduktion aus der Region.
Im Norden der Gebirgsbänder und jenseits des Schwarzen Meeres erstrecken sich die osteuropäischen Ebenen. Ausreichend hohe Niederschläge und fruchtbare Böden machen sie (in Friedenszeiten!) zu einem landwirtschaftlichen Gunstraum: etwa für einen großflächigen Anbau von Weizen, Mais und Sonnenblumen, regional auch von Sonderkulturen wie Wein und Tabak.
Im Süden der Gebirgsbänder schließt sich der Fruchtbare Halbmond an. Er markiert den Übergang zu den Wüsten der Arabischen Halbinsel. Wo das Wasserangebot ausreicht – am Fuß der Gebirge und in den Flussoasen von Euphrat und Tigris – ist eine produktive Bewässerungslandwirtschaft möglich; angebaut werden Baumwolle, Getreide, Zitrusfrüchte und Dattelpalmen. Außerhalb dieser Gebiete wird Wasser immer stärker zum limitierenden Faktor der Landwirtschaft.
Die östlichen Nebenmeere des Mittelmeers und das Schwarze Meer schieben sich bis zum Asowschen Meer weit in die eurasischen Kontinentalmassen vor, doch besteht eine deutliche Abseitslage zu den offenen Weltmeeren (Atlantischer und Indischer Ozean). Schiffbare große Flüsse sind die Donau und die nördlichen Zuflüsse des Schwarzen Meers (Dnipro, Don).
Die gesamte Region ist reich an Rohstoffen. Erdöl und Erdgas werden vor allem am Kaspischen Meer und im Irak gefördert und überwiegend exportiert. Die Steinkohle- und Erzlager in der Ukraine bilden die Basis der dortigen Montanindustrie; allerdings sind die zahlreichen Förderanlagen im Donbas teilweise beschädigt oder infolge der Besetzung unter russischer Kontrolle. Braunkohle ist in vielen Ländern eine wichtige Säule der nationalen Energieversorgung (Bulgarien, Türkei, Serbien). Das Spektrum bei Metallerzen ist breit und reicht von Bauxit über Stahlveredler, Blei, Zink und Kupfer bis zu Gold. Zwar werden keine Fördermengen erreicht, die große Weltmarktanteile ermöglichen, dennoch ist die volkswirtschaftliche Bedeutung des Erzbergbaus erheblich.
Industrie und Dienstleistungen
Aus den Erdöl- und Erdgasfördergebieten erstreckt sich ein dichtes Netz großer Pipelines, die zum Teil direkt zu den Abnehmern verlaufen, zum Teil in Häfen am Mittelmeer oder am Schwarzen Meer enden, von wo aus die Rohstoffe in Tanker an ihre Ziele verschifft werden. Diese Transportstrukturen bestimmen das Standortnetz der Raffinerien und der chemischen Industrie. Einnahmen aus dem Export von Erdöl und Erdgas prägen in vielen Förderländern die Wirtschaftsstrukturen und finanzieren den Staatshaushalt zu großen Anteilen, besonders in Aserbaidschan.
Die Türkei ist das wirtschaftlich stärkste Land der Region. Die Industrie- und Dienstleistungsstandorte konzentrieren sich auf die großen Küstenstädte im Westen des Landes, auf die Hauptstadt Ankara und die Region um Adana am Mittelmeer. Neben Industriebranchen auf niedrigerem Technologieniveau (Textilindustrie, Bauwirtschaft) treten Unternehmen auf mittlerem bis hohem Niveau (Konsumgüterindustrie, Produktionsstätten ausländischer Kfz-Hersteller, Flugzeugbau, Elektronik). In der Schwarzmeerregion und in Anatolien ist der Anteil der Landwirtschaft an der Wirtschaftsleistung relativ hoch, im Golf von Antalya („türkische Riviera“) sowie an der südöstlichen Ägäisküste zwischen Bodrum und Fethiye ist der Tourismus die Leitbranche. Der Südosten Anatoliens hat durch das GAP-Bewässerungsprojekt starke wirtschaftliche Entwicklungsimpulse erhalten; dort liegt ein Zentrum der türkischen Textilindustrie. Istanbul begünstigt durch seine Lage am Bosporus, ist die Wirtschaftsmetropole des Landes. Elf der 15 größten türkischen Unternehmen haben dort ihren Hauptsitz.
Die Ukraine war vor den militärischen Angriffen Russlands (2014 bzw. 2022) hinsichtlich der Roheisenerzeugung mit Brasilien, den USA und Deutschland vergleichbar und einer der weltgrößten Exporteure von Stahlerzeugnissen. Zwar war die Produktion im Zuge der Transformation nach 1990 zunächst zurückgegangen, sie stabilisierte sich aber nach 2000 und nahm bis zum Konflikt in der Ostukraine 2014 wieder zu, ist jedoch seitdem stark zurück gegangen, da der Donbas russisch besetzt ist und viele Produktionsanlagen und Transportwege auf ukrainischem Gebiet in Mitleidenschaft gezogen wurden.