Überblick
Das schleichende Verschwinden des Aralsees gilt als eine der größten von Menschen verursachten Umweltkatastrophen. Experten sprechen heute vom „Aralsee-Syndrom“, um eine weiträumige Umweltdegradation mit gravierenden ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen zu beschreiben, die durch bedenkenlose großtechnische Eingriffe in den Wasserhaushalt einer ganzen Region hervorgerufen wurde.
Der Aralsee war noch vor nicht langer Zeit der viertgrößte Binnensee der Erde (vgl. Karte von 1960). Doch die von ihm eingenommene Fläche hat sich allein in den Jahren zwischen 1960 und 2010 von 68 000 Quadratkilometern auf etwa 21 000 Quadratkilometer um mehr als zwei Drittel verringert. Der einstige Fischerort Muinak, in dem früher tausende Menschen vom Fischfang und der Fischverarbeitung lebten, ist heute eine am Südrand der Salzwüste Aralkum gelegene Kleinstadt, in der verrostete Schiffswracks mehr als 80 Kilometer von der Küste entfernt auf dem Trockenen liegen. Trotz zahlloser Umweltkonferenzen hat sich der Rückgang des Großen Aralsees bis 2012 nahezu ungebrochen fortgesetzt. War er bis in die späten 1990er-Jahre noch ein geschlossenes Gewässer, in dem das ehemalige Testgelände für Biowaffen eine Insel bildete, ist er inzwischen an seinem Südrand weitflächig ausgetrocknet und durch einen dutzende Kilometer breiten Wüstenstreifen in zwei Hälften geteilt; im Norden sind die beiden Restseen lediglich noch durch einen schmalen Wasserarm verbunden. Der östliche Restsee ist flacher und trocknet in manchen Jahren inzwischen fast ganz aus.
Vom Binnensee zur Wüstenlandschaft
Ursächlich für das Verschwinden des Aralsees war der Umstand, dass die beiden Zuflüsse Amurdarja und Syrdarja statt der einst 56 Kubikkilometer nur noch rund 5 Kubikkilometer Wasser zur Jahreswasserbilanz des Sees beitrugen; in manchen Jahren erreichten sie ihn gar nicht mehr. Da sich der Aralsee in einem Trockenraum mit hohen Sommertemperaturen befindet, in dem die mittlere Jahresniederschlagssumme unter 250 Millimetern liegt, war die Verdunstung immens. Die geringen Niederschläge reichen bei weitem nicht aus, die Verdunstungsverluste auszugleichen: Sie trugen zusammen mit den unterirdischen Zuflüssen nur 10 Kubikkilometer pro Jahr zur Wasserbilanz bei.
Mit der abnehmenden Wassermenge nahm der Salzgehalt zu. Der hohe Eintrag von Düngemitteln aus den Bewässerungsflächen verstärkte diesen Prozess. Die heute trocken gefallenen einstigen Seeflächen sind von ausgedehnten Salz- und Bodenverwehungen betroffen. Zu den ökologischen Auswirkungen des Landschaftswandels zählen die zunehmenden Salzstaubstürme östlich des Sees ebenso wie die Versalzung und Verunreinigung des Flusswassers. Die 1960 noch vorhandenen Auenwälder in den Flussdeltas sind ganz verschwunden. Wo sie sich einst erstreckten, wurde inzwischen ein breiter Streifen mit salzresistenten Büschen gepflanzt, um die fortschreitende Desertifikation zu bremsen. Der kommerzielle Fischfang musste in den 1980er-Jahren eingestellt werden. Die noch vorhandenen Restflächen des Großen Aralsees sind ökologisch tot oder in ihrer Arten- und Individuenzahl extrem verarmt.
Landschaftswandel durch Bewässerung
Zentralasien ist eine generell wasserarme Region und deshalb besonders anfällig für die chronische Übernutzung der knappen Ressourcen. Die wichtigste anthropogene Ursache für das Verschwinden des Aralsees war die zunehmende Inanspruchnahme der Flüsse Amurdarja und Syrdarja. Die wasserreichen Staaten am Oberlauf der Flüsse, Tadschikistan und Kirgisistan, nutzen deren Wasser vorwiegend zur Energieproduktion, während die am Flussunterlauf liegenden Staaten Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan das Wasser hauptsächlich für landwirtschaftliches Bewässerungsland benötigen. Um vom Ausland unabhängig zu werden, hatte die Führung der Sowjetunion schon in den frühen 1960er-Jahren beschlossen, den Anbau von Reis und Baumwolle in Zentralasien drastisch zu steigern. Da beide zu den wasserbedürftigsten Nutzpflanzen überhaupt gehören, musste ein riesiges Bewässerungssystem errichtet werden, das aus den genannten Flüssen gespeist wurde. Die Wasserentnahme gipfelte Anfang 1974 in einer vollständigen Blockade des Syrdarja, 1982 folgte die Blockade des Amurdarja.
Infolge eines mangelhaften Wassermanagements und unsachgemäßer Anbaumethoden waren die Anbauflächen von starker Bodenversalzung betroffen. Bewässert wurde ohne Drainagesystem, sodass große Mengen an Wasser verschwendet wurden. Das überschüssige Wasser wurde in etwa 40 relativ große künstliche Drainageseen oder in Kleinseen und Senken abgeleitet, wo es zu großen Teilen verdunstete. Unbeabsichtigt speiste das Wasser des Amurdarja so auch den Sarykamysch-See im Grenzgebiet von Turkmenistan, dessen Fläche sich deshalb zwischen 1960 und 2012 um ein Vielfaches vergrößerte.
Bis heute wird an Amudarja und Syrdarja großflächig Baumwolle angebaut. Usbekistan ist zweitgrößter Baumwollexporteur der Welt und wirtschaftlich stark von Anbau und Export abhängig. Vor Ort arbeiten bis zu 65 Prozent der Bevölkerung im Baumwollanbau. Strukturelle Probleme, zum Beispiel bei der Bewässerung, bestehen fort; es wird aber mit internationaler Unterstützung versucht, die Land- und Wassernutzung nachhaltiger zu gestalten.
Wassermanagement und Kooperation
Baumwolle ist bis heute ein wichtiger Bestandteil der zentralasiatischen Ökonomien, insbesondere in Usbekistan und Tadschikistan, wo sie zu den wichtigsten Exportgütern zählt. In beiden Ländern ist noch immer ein Großteil der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft tätig. Trotz der wirtschaftlichen Bedeutung der Baumwolle gibt es seit Jahren Anstrengungen, den landwirtschaftlichen Wasserverbrauch zu senken, um dessen negative Auswirkungen auf die Umwelt zu verringern. Alle zentralasiatischen Staaten haben seit der Unabhängigkeit den Baumwollanbau zurückgefahren. Usbekistan hat die Anbaufläche von 50 auf 30 Prozent der Bewässerungsfläche reduziert. Durch verstärkte Kultivierung von Getreide, Gemüse und Futtermitteln konnte der Wasserverbrauch reduziert und die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln verbessert werden. Überdies hat Usbekistan dank internationaler Unterstützung in den letzten zehn Jahren etwa eine Milliarde US-Dollar in neue Technologien investiert, um die Wassereffizienz zu steigern. Eine vollständige Sanierung der Bewässerungsinfrastruktur im gesamten Aralseebecken ist allerdings aufgrund der immensen Kosten praktisch unmöglich; nach Schätzungen der Weltbank wären zu diesem Zweck Investitionen in Höhe von mehr als 40 Mrd. US-Dollar nötig.
Heute gibt es keine Hoffnung mehr, den Aralsee als Ganzes zu retten. Nichtsdestotrotz zeigen die Bemühungen der fünf Anrainerstaaten, dass die ökologische und sozioökonomische Situation mit kleinen Schritten verbessert werden kann. Durch den Bau des Kok-Aral-Damms, der 2005 mit Unterstützung der Weltbank fertiggestellt wurde, und durch Flussbettsanierungen zur Eindämmung der Versickerung ist es Kasachstan gelungen, den Wasserstand im Kleinen Aralsee zu stabilisieren. Dort ist der Wasserstand seit dem Tiefstwert von 2004 (32 Meter) inzwischen wieder auf ein Niveau von 43 Meter angestiegen, die Wasserfläche hat sich im gleichen Zeitraum um rund 30 Prozent ausgedehnt, der Salzgehalt ist von 4 Prozent auf einen Wert unter 1,5 Prozent gefallen. Weil der Syrdarja heute wieder kontinuierlich den Kleinen Aralsee erreicht, haben sich die ökologischen Bedingungen dort stark verbessert, selbst Fischfang ist wieder möglich.
Folgen für Mensch und Umwelt
Die Lebensbedingungen der Menschen im Aralseebecken haben sich in den letzten Jahrzehnten stark verschlechtert. Große Probleme bereiten neben dem Vordringen der Wüste und der Versalzung der Böden die hohe Belastung der gesamten Region durch Düngemittel, Herbizide und Pestizide, die in den Baumwollkulturen massenhaft zum Einsatz kamen. Die Anwohner leiden unter Wasserknappheit, dem verstärkten Auftreten einer Vielzahl von Krankheiten, einer deutlich erhöhten Säuglingssterblichkeit, einer ebenso deutlich verringerten Lebenserwartung und nicht zuletzt unter drastisch verschlechterten Erwerbsmöglichkeiten. Nach dem Ende der Atomindustrie, des Landmaschinenbaus und der Nahrungsmittelindustrie – die auf dem Fischfang im Aralsee beruhte – gibt es kaum noch Arbeit für sie. Hinzu kommen großräumige Probleme, die sich aus der ehemaligen militärischen Nutzung ergeben: Das ehemalige Testgelände für Biowaffen, einst auf einer Insel im Aralsee, hat inzwischen eine dauerhafte Landverbindung, gilt aber immer noch als verseucht.