Überblick
Der Kampf mit dem Wasser ist seit jeher eine zentrale Herausforderung für die Niederlande. Gäbe es keine Deiche, stünden bei jedem normalen Tidehochwasser rund ein Drittel der Niederlande bis zu sechs Meter tief unter Wasser. Noch weitaus größere Flächen des Landes sind durch Hochwasser gefährdet. Die Hochwassergefährdung geht dabei nicht nur von der Nordsee aus, auch die Pegel des Rheins und seiner Nebenarme liegen im westlichen Teil der Niederlande ständig über dem Niveau des Umlands. Die Flussauen wurden schon früh durch Deiche begrenzt, dadurch konnten die Ströme nur innerhalb der Deichgrenzen sedimentieren und ihre Sohlen lagen immer höher.
Die massive Häufung von Flusshochwassern seit den 1990er-Jahren ist einerseits Folge klimatischer Veränderungen – insbesondere der immer häufigeren lokalen Starkregen –, zugleich ist sie aber auch von Menschen gemacht: Am Oberlauf des Rheins beispielsweise sind die Flussauen immer weiter beschnitten und weiteTeile des Umlands durch Bebauung versiegelt worden, wodurch das Wasser nicht mehr gespeichert werden kann (s. 61.6, 61.7) und weitgehend ungebremst stromabwärts fließt.
Die Hochwassergefahr wird dadurch verstärkt, dass weite Bereiche der küstennahen Landesteile von massiven Bodensackungen betroffen sind. In Gebieten, die vor langer Zeit durch die Anlage eines Ringdeichs um einen Binnensee und das anschließende Abpumpen des Wassers für die menschliche Nutzung gewonnen wurden, besteht der Untergrund aus von Niedermoorlagen durchsetzten jungen Meeresablagerungen, die immer stärker in sich zusammenfallen. Auch in den jungen Polderflächen im IJsselmeer (s. 121.3) kommt es aufgrund von Entwässerung und Setzung zu Bodensackungen, diese werden durch die Erdgasförderung verstärkt. Man rechnet mit Werten von bis zu drei Zentimetern pro Jahr.
Die Küstenlinie der Niederlande hat sich infolge zahlreicher Maßnahmen zur Gewinnung von Land (s. 121.3), zum Schutz vor Hochwasser und zur Sicherung der Schiffsverkehrswege (s. 123.3) im Laufe der Zeit immer mehr verkürzt. Im Südwesten liegt das weitverzweigte Mündungsgebiet von Maas und Schelde. Es ist mit Deichen, Sperrwerken und Küstenbefestigungen gegen Hochwasser geschützt (Deltaprojekt). In nordöstlicher Richtung schließt sich ein Streifen mit Küstendünen an, die relativ hoch sind und einen guten natürlichen Hochwasserschutz bilden. Der Küstenlandschaften im Osten der Niederlande werden durch vorgelagerte Inseln geprägt, zwischen ihnen und der vergleichsweise geradlinigen, durch Seedeiche markierte Küstenlinie des Festlands liegen ausgedehnte Wattflächen.
Zum Schutz und zur dauerhaften Nutzbarmachung zum Beispiel der Polder genügt es nicht, Deiche zu errichten. Große Teile der Niederlande liegen in Höhen unterhalb des Meeresspiegels (s. 122.1), vielerorts im Binnenland liegen die Flüsse höher als ihr Umland. Hinzu kommen die Niederschläge in den Polderflächen, die nicht – wie anderswo – dem natürlichen Gefälle folgend abfließen können. Es ist deshalb notwendig, Wasser dauerhaft aus tief gelegenen Gebieten, zum Beispiel aus Poldern, abzupumpen. Besonders im Westen des Landes wurden zahlreiche Pumpwerke errichtet. Ohne sie würde Wasser aus Richtung Meer oder aus den Flüssen in Richtung der Polder drücken, dort den Grundwasserspiegel ansteigen lassen und Überschwemmungen verursachen. Die Trockenhaltung der tief gelegenen Gebiete in den Niederlanden verursacht Jahr für Jahr Kosten in Milliardenhöhe.