Niederlande - Neulandgewinnung
Europa - Benelux - Länder
978-3-14-100770-1 |
Seite 113 |
Abb. 2|
Maßstab 1 : 2000000
Informationen
Die Karte zeigt neben den Dünen die eingedeichten und trockengelegten Gebiete an der niederländischen Küste. Die Entstehung von Neuland setzte etwa ab der Mitte des 13. Jahrhunderts ein, als die alten Flussmündungen im Deltagebiet von Rhein, Maas und Schelde begannen, allmählich zu verschlicken. Im Südwesten der Niederlande bildeten sich dadurch in den Flussmündungen Inseln heraus. Die langen Streifen angeschwemmten Neulands wurden südlich von Den Helder und westlich von Leeuwarden im Laufe der Zeit eingedeicht.Landgewinnung in der Neuzeit
Ab etwa 1600 wurde es durch technische Entwicklung möglich, immer größere Flächen trockenzulegen. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Entwicklung der Windmühlen im 16. und 17. Jahrhundert, durch die es gelang, große Flächen abzupumpen. Im 19. Jahrhundert waren es dann die Dampfschöpfwerke, durch die noch größere und tiefer gelegene Gebiete trockengelegt werden konnten. Viele der in der vorherrschenden Windrichtung Südwest -Nordost gelegenen Moorseen wurden zwischen 1600 und 1900 urbar gemacht, um auf diese Weise Neuland zu gewinnen und die Überschwemmungsgefahr zu verringern. Zu diesen Flächen gehörte auch das 18 000 Hektar große Haarlemmermeer bei Amsterdam, das sich zuvor bei jedem Südweststurm der Stadt genähert hatte. In dem tief gelegenen Nordostteil des Harlemmermeers (4,5 m unter NN) liegt jetzt Schiphol ("Schiffsgrab") an einer Stelle, an der viele Schiffe in Südweststürmen untergegangen sind.
Die mit Diesel oder Strom angetriebenen Pumpen des 20. Jahrhunderts machten es möglich, mehr als 100 km² große Polder in der ehemaligen Zuiderzee, dem heutigen IJsselmeer, zu errichten und dadurch bedeutende Flächen Neuland zu gewinnen; die vier auf der Karte eingetragenen Polder haben eine Gesamtfläche von 1650 km². Zu Beginn des Zuiderzeeprojektes wurde 1932 im Norden ein 30 Kilometer langer Abschlussdamm gebaut, der die damalige Zuiderzee vom Wattenmeer trennte; die allmählich ausgesüßte Zuiderzee heißt seitdem IJsselmeer.
Die ersten Polder im IJsselmeer sollten zu neuen Agrargebieten werden. Fast 90 Prozent der Nordostpolder werden auch heute noch für die Landwirtschaft genutzt, während es im Ost- und Südflevoland nur noch etwa 60 Prozent sind. Annähernd 22 Prozent der Fläche ist hier Wald- und Naturgebiet, 6 Prozent ist bebaut. Die Wasserflächen, die es heute noch gibt, wie beispielsweise das Markermeer, stehen inzwischen unter Schutz, und das nicht nur aufgrund ihres Naturwerts, sondern auch, weil man sie als Süßwasserreservoir und als Becken für das Flusswasser braucht. Westlich von Arnheim wurden am Niederrhein Stauwerke gebaut, durch die das Rheinwasser in das IJsselmeer geleitet werden kann.
Herausforderungen heute
Der Kampf gegen das Wasser ist seit jeher eine zentrale Herausforderung für die Niederlande; heute ist er es jedoch auf eine andere Art und Weise als noch vor 30 Jahren. Das Thema der Landgewinnung spielt keine Rolle mehr, auch die Frage des Küstenschutzes ist eher sekundär. Im Vordergrund stehen dafür nun Fragen des nationalen Wasserhaushalts. Die Hochwassergefährdung geht nicht nur von der Nordsee aus, auch die Pegel des Rheins und seiner Nebenarme liegen im westlichen Teil der Niederlande ständig über dem Niveau des Umlands. Die Flussauen wurden schon früh durch Deiche begrenzt, dadurch konnten die Ströme nur innerhalb der Deichgrenzen sedimentieren. Aufgrund dieser Tatsache wurden ihre Betten im Laufe der Zeit aufgehöht. Die massive Häufung von Flusshochwassern seit den 1990er-Jahren ist einerseits Folge klimatischer Veränderungen insbesondere der immer häufigeren lokalen Starkregen , zugleich ist sie aber auch menschengemacht: Am Oberlauf des Rheins beispielsweise sind die Flussauen immer weiter beschnitten und weite Teile des Umlands durch Bebauung versiegelt worden, wodurch das Wasser nicht mehr gespeichert werden kann. Deshalb fließt es heute ungehindert stromabwärts ab.
Die Hochwassergefahr wird dadurch verstärkt, dass weite Bereiche der küstennahen Landesteile von massiven Bodensackungen betroffen sind. In Gebieten, die dort vor langer Zeit durch die Anlage eines Ringdeiches um einen Binnensee und das anschließende Abpumpen des Wassers für die menschliche Nutzung gewonnen wurden, besteht der Untergrund aus von Niedermoorlagen durchsetzten jungen Meeresablagerungen, die immer stärker in sich zusammenfallen. Auch in den jungen Seeklei-Polderflächen im IJsselmeer kommt es aufgrund von Entwässerung und Setzung zu Bodensackungen. Gäbe es keine Deiche, stünden bei jedem normalen Tidehochwasser rund ein Drittel der Niederlande bis zu sechs Meter tief unter Wasser. Insgesamt 60 Prozent der niederländischen Bevölkerung müsste sich dann eine neue Heimat suchen.
L. Vankan