Überblick
Das Modell des demographischen Übergangs vermittelt eine idealtypische Vorstellung der natürlichen Bevölkerungsentwicklung beim Übergang der Agrar- in eine Industriegesellschaft. Der Übergang von archaischen zu modernen demographischen Strukturen einer Gesellschaft verläuft dabei von einem Zustand mit hohen Geburten- und Sterberaten über eine Zwischenphase mit wachsenden Bevölkerungszahlen zu einer stabilen Situation, die sich durch niedrige Geburten- und Sterberaten auszeichnet.
Die fünf Phasen der Transformation
Es werden fünf Phasen der Transformation unterschieden: Die prätransformative Phase ist gekennzeichnet durch hohe Geburten- und Sterberaten. In der frühtransformativen Phase zeigt sich eine konstante oder auch leicht zunehmende Geburtenrate, wohingegen die Sterberate zurückgeht. Infolgedessen kommt es zum natürlichen Wachstum der Bevölkerung; die Bevölkerungsschere öffnet sich.
In der hochtransformativen Phase kommt es zu einem weiteren Absinken der Sterberate, aber auch zu einem langsamen Absinken der Geburtenrate, weshalb hier die maximale natürliche Wachstumsrate erzielt wird. In der spättransformativen Phase sinkt die Geburtenrate bei andauernd niedriger Sterberate weiter ab.
Ursprünglich war im Modell als Endpunkt des demographischen Übergangs ein Gleichgewicht zwischen Fruchtbarkeit und Sterblichkeit erreicht. Es zeigt sich allerdings gegenwärtig in den postindustriellen Staaten, dass sich die Entwicklung fortsetzt und die Geburtenrate in manchen Fällen deutlich unter das Niveau der Sterberate gesunken ist und es zu einer Abnahme der Bevölkerungszahlen kommt. Aus diesem Grund ist das Modell durch eine fünfte Phase, die posttransformative Phase, ergänzt worden (häufig auch als zweiter demographischer Übergang bezeichnet). Sie ist durch sinkende niedrige Geburtenraten und leicht ansteigende Sterberaten gekennzeichnet, wodurch es zu einem Bevölkerungsrückgang kommt.
Anwendbarkeit des Modells
Der schematische Verlauf von Geburten- und Sterberate trifft für die meisten Industrienationen zu. Der demographische Übergang lässt sich dabei jeweils zu unterschiedlichen Zeitpunkten ausmachen und ist von unterschiedlicher Dauer.
Das „Modell des demographischen Übergangs“ ist kulturspezifisch und historisch auf die Industriestaaten bezogen, da es eng mit einem wachsenden Wohlstand aller gesellschaftlichen Gruppen verknüpft war. Andere kulturspezifische Gründe der veränderten demographischen Entwicklung können folglich nicht am Modell abgelesen werden. Bringt historisch gesehen die städtische Industriegesellschaft den Übergang durch das Zusammentreffen ökonomischer, sozialer und kultureller Veränderungen mit sich, so ist dies in vielen Entwicklungsländern nicht der Fall. Dort vollzieht sich der demographische Übergang häufig durch einen „importierten Fortschritt“, zum Beispiel durch den Einsatz wirksamer Arzneimittel aus den Industriestaaten, erheblich rascher, als dies in Europa der Fall war.
Anhand der Karte 110.1 und der Altersstrukturdiagramme im Atlas, insbesondere jenen von Frankreich zwischen 1740 und 2021, lassen sich Zuordnungen zwischen Staaten und den beschriebenen Modellphasen vornehmen. Der überwiegende Teil der europäischen Staaten befindet sich in der spättransformativen Phase (nur geringes Bevölkerungswachstum), ein Teil, unter anderem Deutschland, in der posttransformativen Phase (sinkende Bevölkerung). Die Altersstrukturdiagramme dieser Staaten haben jeweils die Form einer Urne, wobei sich bei einigen Staaten deutliche Einschnitte infolge der Weltkriege bemerkbar machen (z. B. Polen; hohe Opferzahlen, verkleinerte Elterngenerationen). Bei Frankreich ist die Urnenform nur leicht ausgeprägt. Einzig die Türkei hat ein Altersstrukturdiagramm in Form eines Bienenstocks – dies signalisiert eine längerfristig stabile Bevölkerungszahl.