Überblick
Die Mittelmeerküste Südfrankreichs zählt zu bevorzugten Siedlungsräumen Europas, in denen sich Bevölkerung und Wirtschaftsleistung konzentrieren (s. 102.1). Die Karte zeigt die wirtschaftlichen Strukturen des Gebiets, die an der Küste einen massiven Druck auf die Natur ausüben.Raumgliederung und Landwirtschaft
Das Gebiet lässt sich in drei große räumliche Einheiten gliedern: das Küstentiefland, die Gebirge im Landesinneren und das Rhônetal; Übergänge werden von Plateaus, Hügelländern und eingelagerten Becken gebildet. Zwischen dem Delta der Rhône und den Pyrenäen erstreckt sich eine 180 Kilometer lange Ausgleichsküste mit relativ breitem Hinterland, östlich von Marseille (2020: 870 000 Einw.) dagegen findet sich eine landschaftlich attraktive, aber nur aufwendig erschließbare Steilküste (Nationalpark Calanques). Sommerliche Hitze und Trockenheit prägen die Region gleichermaßen (mediterranes Klima mit starken Schwankungen der Niederschläge im Jahresgang und einer vergleichsweise hohen Niederschlagsvariabilität).Landwirtschaft
Heute wird im Küstentiefland Bewässerungslandwirtschaft betrieben. Zu den traditionellen Kulturen Getreide, Reis, Oliven und Wein sind Sonderkulturen (Obst, Gemüse) getreten; zur Produktionspalette zählen nun auch Spargel, Tomaten und Melonen. Insbesondere der Weinbau wirkt weithin landschaftsprägend. Auf der Basis der Landwirtschaft haben sich zahlreiche Standorte der Nahrungsmittelindustrie entwickelt. Die Intensivierung des Anbaus zog mittelbar einen Rückgang der Viehwirtschaft nach sich. In den Tieflandgebieten spielt nur noch die Crau als Weidegebiet eine Rolle. In den Gebirgen ist die Milchschafhaltung hingegen eine wichtige Nutzung. Auf die Grands Causses, verkarstete Hochebenen aus Kalkstein, konzentriert sich die Milchproduktion für den renommierten Schafskäse von Roquefort. Ein traditioneller Erwerbszweig ist die Fischerei, der größte Fischereihafen Südfrankreichs ist Sète. In Aquakulturen werden in Küstenlagunen Austern und Miesmuscheln gezüchtet.Industrie
Die Rhôneachse ist seit langem eine Siedlungs- und Verkehrsachse von europäischer Bedeutung. Dort verlaufen wichtige Verkehrswege wie die kanalartig ausgebaute Schifffahrtsstraße Rhône, die Autobahn A7 und die TGV-Hochgeschwindigkeitsstrecke Méditerranée (s. 135.2). Letztere gabelt sich bei Avignon in zwei Stränge auf, die nach Montpellier und Marseille führen. Nur noch touristische Bedeutung besitzt der als Weltkulturerbe klassifizierte Canal du Midi zwischen der Garonne und Sète am Mittelmeer. Auf Energiegewinnung, Schiffbarmachung, Hochwasserschutz und den Ausbau der Bewässerungslandwirtschaft zielten flussbauliche Maßnahmen im Rhônetal nach 1947. Längs des Flusses entstanden Wasser- und Kernkraftwerke. Im Kartenbild zu sehen ist das Kernkraftwerk Marcoule. Wichtige Industriestrandorte befinden sich mit den Raffinerien am Rande der Bucht Étang de Berre. Ein wichtiger Arbeitgeber ist der größte französische Hafen Marseille-Fos. Mit rund 77 Mio. Tonnen Güterumschlag bzw. 1,5 Mio. TEU im Containerverkehr (2022) ist der Hafen deutlich kleiner als die größten europäischen Häfen (vgl. Rotterdam 104.4; Hamburg 34.2).Dienstleistungen
Südfrankreich verfügt über ein dichtes Netz von Bildungseinrichtungen. Weichen Standortfaktoren verdankt vor allem Montpellier (2020: 300 000 Einw.) einen starken wirtschaftlichen Aufschwung. Die alte Universitätsstadt setzte insbesondere auf die Ansiedlung von Unternehmen und Instituten aus den Bereichen Forschung und Entwicklung und besitzt inzwischen mehrere Technologie- und Forschungsparks mit unterschiedlichen fachlichen Ausrichtungen. Ein zweites Forschungs- und Entwicklungszentrum bildet die Agglomeration Aix-Marseille (2020: 1,6 Mio. Einw.). Dies hat die Ansiedlung einer ganzen Reihe technologieorientierter Betriebe stimuliert, erkennbar an Standorten der Biotechnologie, Pharmazie und Elektronik.Tourismus
Eine überragende Stellung nimmt der Tourismus ein. Doch nicht nur für den Tourismus, sondern auch als Altersruhesitz ist der französische „Sunbelt“ eine begehrte Region. Die Karte zeigt die unterschiedlichen Strukturen der Tourismusorte an der Mittelmeerküste: Während etwa Valras-Plage ein gewachsenes Seebad mit Hotels und Campingplätzen ist, wurde Adge/Marseillan gezielt vom Staat entwickelt und innerhalb von nur zwei Jahrzehnten (ebenso wie La Grande Motte) zu einem großen Seebad ausgebaut, dort überwiegen Hotels und Clubanlagen. In Leucate, ebenfalls zentralstaatlich entwickelt, wurden dagegen Ferienwohnungen und Zweitwohnsitze gebaut. Zu den traditionellen Seebädern zählt etwa Saintes-Maries-de-la-Mer.Naturschutz
Die außerordentlich hohe Dichte der touristischen Nutzung bringt eine Reihe von Problemen mit sich, darunter sind das Verbauen wertvoller Landschaftsabschnitte sowie die Beeinträchtigung ökologisch sensibler Gebiete wie der Camargue zu nennen. Letztere ist ein einzigartiges Küstenfeuchtgebiet mit Fließgewässern, Schwemmlandflächen, Salzgärten, Schilfgebieten und flachen Brackwasserseen. Ein Teil steht unter Naturschutz (860 km2; etwa das 3,5-fache des Nationalparks Bayerischer Wald).
2011 wurde der Meeresnaturpark Golfe du Lion mit einer Fläche von knapp über 4 000 km2 gegründet. Er umfasst zwölf Küstengemeinden auf über 100 Kilometern und soll die Bewirtschaftung dieses Meeresraumes ermöglichen und dabei die Biodiversität schützen. Ein wichtiger Schritt für Naturschutz war außerdem die Entscheidung der französischen Regierung im Jahr 2017, die Förderung von Öl und Gas im Golfe du Lion bzw. im gesamten Mittelmeerraum zu unterbinden.
2012 wurde südöstlich von Marseille mit dem Nationalpark Calanques ein 8 500 ha großes Festlands- und 43 500 Hektar großes Meeresareal unter Schutz gestellt – direkt vor den Toren der Großstadt. Er dient dazu, die intensive (touristische) Nutzung der Calanques mit ihrem einzigartigen Ökosystem mit Umwelt- und Naturschutz zu verbinden.