Sibirien - Erschließung

Russland und Zentralasien - Räume im Wandel
978-3-14-100900-2 | Seite 182 | Abb. 1| Maßstab 1 : 40000000

Überblick

Sibirien ist für Russland ein wichtiger Rohstoff- und Energielieferant und zugleich bevorzugter Industriestandort. Die Erschließung des noch heute dünn besiedelten Gebiets zog sich über mehrere Jahrhunderte.

Die Erschließung Sibiriens

Mit fast 13 Millionen Quadratkilometern Fläche und einer Bevölkerung von rund 30 Millionen Menschen ist Sibirien ein insgesamt dünn besiedeltes Gebiet. Die Bevölkerung konzentriert sich im Wesentlichen auf den südwestlichen Bereich, wo eine flächenhafte landwirtschaftliche Nutzung möglich ist. Ostwärts engen die Kältegrenze von Norden und die Trockengrenze von Süden das Agrarland ein, sodass nur regional Landwirtschaft möglich ist.

Charakteristisch für das heutige Erschließungsbild der Region sind inselhafte, durch Bahnlinien verbundene industrielle Zentren. Zum Teil handelt es sich um ehemalige Stützpunkte aus der Frühzeit der Erschließung, zum Teil um „Territoriale Produktionskomplexe“, wie sie in den 1960er- und 1970er-Jahren von der Sowjetunion gegründet wurden.

Wichtigste Erschließungslinien sind die großen, in West-Ost-Richtung verlaufenden Eisenbahnlinien. Sie sind die Hauptträger der Transportströme zwischen Osten und Westen, da die klimatischen Bedingungen den Straßenverkehr und die Nutzung der Wasserwege erheblich behindern. Zudem entspricht die Süd-Nord-Richtung der großen Flüsse nicht der Erschließungs- und Transportrichtung. 1904 wurde die 9 300 Kilometer lange Transsibirische Eisenbahn (Transsib) eröffnet, die zweite große Linie ist die 1984 fertig gestellte, mehr als 3 100 Kilometer lange Baikal-Amur-Magistrale (BAM), die bei Komsomolsk am Amur im äußersten Osten Sibiriens endet.

Historische Phasen der Erschließung

Die Erschließung Sibiriens vollzog sich in Wellen der Ausbreitung von Bevölkerung, Siedlungen und Wirtschaft in diesen bis heute peripheren Raum. Eine Gliederung in Phasen wird im Folgenden vorgestellt:

Pelztierjagd: Die russische Eroberung Sibiriens wurde 1581 eingeleitet. Die Eroberer pressten den sibirischen indigenen Völkern Sibiriens einen Tribut an Zobelfellen ab und erklärten sie zu Untertanen des fernen Moskauer Zaren. Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts hatten sich Krieger, Abenteurer, Jäger und auch Händler über ganz Sibirien ausgebreitet und den Pazifischen Ozean erreicht. Zur Sicherung der Handelswege – in dieser Phase vor allem Flüsse – entstanden einfache befestigte Stützpunkte, sogenannte Ostrogi, von denen sich manche später zu Städten entwickelten (siehe Gründungsjahr in der Karte).

Agrarkolonisation: Die landwirtschaftliche Erschließung folgte nur zögernd. Zunächst siedelten sich nur wenige freiwillige Zuwanderer und einige aus der Leibeigenschaft entflohene Bauern an. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts setzte im Süden Westsibiriens entlang eines schmalen Streifens die allmähliche agrarische Kolonisierung ein. Aber erst die Bauernbefreiung löste mit der Abschaffung der Leibeigenschaft 1861 eine größere Wanderungswelle von Siedlern aus, die Teile des fruchtbaren Keils zwischen den sumpfigen Wäldern im Norden und der Steppe im Süden kolonisierten. Die wichtigste Vorstoßlinie war zunächst der „Sibirische Trakt“ über Surgut und Jenissejsk bis nach Irkutsk.

Transsibirische Eisenbahn: Der Bau der Transsibirischen Eisenbahn begann 1891/92 von beiden Enden her. Zunächst wurde sie vorläufig durch die chinesische Mandschurei – mit einer Direktverbindung von Wladiwostok nach Tschita – und dann 1914 auch mit dem Ostflügel auf russischem Territorium über Chabarowsk fertiggestellt. Dies wurde zwar mit ausländischem Kapital, aber im Wesentlichen mit eigener Kraft erbracht.

Die Bahnstrecke der Transsib lag südlicher als der „Sibirische Trakt“. Sie entwickelte sich schon während des Baus zur neuen Leitlinie der bäuerlichen Besiedlung und ist bis heute – inzwischen ergänzt durch die Baikal-Amur-Magistrale (BAM) – das verkehrstechnische Rückgrat der Erschließung Sibiriens. Die Transsib war eine Voraussetzung für die räumliche Ausdehnung der Landwirtschaft. Zwischen 1960 und 1991 wurden die Nutzflächen im Norden unter anderem entlang der Flüsse Ob und Irtysch und in Richtung Osten bis an den Amur ausgeweitet. Entlang der Transsib entwickelten sich erste Industrialisierungsansätze.

Industrialisierung im 20. Jahrhundert

Industrialisierung und Bodenschätze: In der sowjetischen Zeit wurden die Bemühungen zur Industrialisierung verstärkt, Sibirien gewann Bedeutung als Rohstoff- und Energielieferant. Die industrielle Erschließung – beispielsweise durch Gründung von Wirtschaftseinheiten wie dem Ural-Kusnezk-Kombinat ab 1931 – basierte auf dem Ressourcenreichtum, erforderte jedoch einen sehr hohen Aufwand, um die Herausforderungen des Klimas, der großen Entfernungen und der extrem dünnen Besiedlung zu bewältigen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden diese Bemühungen verstärkt, mit zentralistischer Planwirtschaft und hohem Kapitalaufwand.

Die über einen langen Zeitraum einseitig auf Rohstoffgewinnung ausgerichtete Erschließung Sibiriens erweist sich heute als fragwürdig, denn sie hat ökologische Schäden in großem Ausmaß und wirtschaftlich monostrukturierte Räume verursacht.

Transformation: Sibirien ist bis heute ein weitgehend unerschlossener und nur spärlich besiedelter Großraum. Die meisten Industrieräume haben mit Strukturproblemen zu kämpfen, deren Kennzeichen – etwa die Dominanz der Schwerindustrie oder die Monostruktur der Standorte – typisch für Transformationsstaaten in Osteuropa sind. Viele Standorte, zum Beispiel Nerjungri, sind nicht über die Erschließung von Rohstoffvorkommen hinausgekommen, nur unvollständig entwickelt und wirtschaftlich nicht tragfähig; die Folge ist eine vielerorts starke Abwanderung.

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Diercke

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