Überblick
Die Theorie der fragmentierenden Entwicklung nach Scholz ist eine erklärende Beschreibung und Analyse der Entwicklungsrealität im Zeitalter der Globalisierung. Sie besagt, dass am globalen Wettbewerb und seinen Wohlfahrtseffekten nicht Länder und Gesellschaften als Ganzes, sondern immer nur bestimmte Orte/Regionen und auch dort nur Teile der Bevölkerung teilhaben.Theorie der fragmentierenden Entwicklung
Zur Erklärung von Unterentwicklung standen sich lange Zeit Modernisierungs- und Dependenztheorien gegensätzlich gegenüber. Daraus jeweils abgeleitete entwicklungspolitische Strategien zur Überwindung von Unterentwicklung zeigten jedoch nur sehr begrenzt Erfolge. Denn im Zeitalter der Globalisierung findet nicht eine nachholende, sondern eine fragmentierende Entwicklung und damit Unterentwicklung in neuer Form und Ausdehnung statt. Auch in den Industrieländern bilden sich von der dynamischen Entwicklung der Wirtschaft abgekoppelte und verarmte Bevölkerungsschichten heraus, während in den sogenannten Entwicklungsländern einzelne Wirtschaftssegmente und Wirtschaftseliten in das Netzwerk der Weltökonomie integriert sind.
Die Fragmentierung vollzieht sich bruchhaft und findet ihren sozialen Ausdruck in Auf- und Absteigern, Gewinnern und Verlierern, Teilhabenden und temporär Teilhabenden (Scheingewinnern), Marginalisierten und „Überflüssigen“ (als Arbeitskraft, Konsument und Produzent). Die verschiedenen räumlichen Fragmente sind keine Funktionsstandorte hoher Persistenz und raumgreifender Sicker- und Entwicklungseffekte. Auch gibt es keine garantierte dauerhafte Partizipation für die im Entwicklungsprozess beteiligten Personengruppen. Vielmehr bestimmen Konkurrenz und Verdrängung den Wettbewerb, dem die globalen und globalisierten Orte sowie deren Akteure ausgesetzt sind.
Bei den globalen bzw. globalisierten Orten/Regionen handelt es sich nicht um Länder im Sinne von Nationen. Auch dort partizipieren nur bestimmte Teile der Bevölkerung. Eine Teilhabe an den wirtschaftlichen Erfolgen des globalen Wettbewerbs gelingt jedoch nur so lange, wie die Orte/Regionen bzw. Akteure den Wettbewerbsbedingungen standhalten können. Nur die Orte und Personen, die sich dem globalisierten Wettbewerb stellen, können von den wirtschaftlichen Möglichkeiten, die die Globalisierung bietet, profitieren. Dies gelingt vor allem dann, wenn sie ihren Eigeninteressen folgen. Tragende gesellschaftliche Werte wie soziale Solidarität rücken in den Hintergrund.
Kategorien der räumlichen Fragmente
Nach der jeweils dominierenden Funktion werden – modellhaft erfasst – weltweit vier räumliche Fragmente unterschieden:
Global agierendes Milieu in den globalen Orten/Regionen: Sie sind Schalt- und Steuerzentren des grenzübergreifenden Wettbewerbs und globalen Finanz- und Wirtschaftsgeschehens, Hauptsitze transnationaler Konzerne, Hightech-Produktions-, Forschungs- und Innovationszentren. Sie konzentrieren sich vor allem im Bereich der Triade. Dafür stehen z. B. der Nordosten der USA mit New York, der wirtschaftliche Kernraum Europas mit London und Paris (s. 103.2), das Städteviereck von Tokio über Nagoya und Kyoto bis Hiroshima, Taipeh an der Westküste Taiwans, Shanghai sowie Shenzhen und Hongkong im Südosten Chinas.
Global reagierendes Milieu in den globalisierten Orten/Regionen: Funktional und in der Entscheidungshierarchie nachgeordnet konzentrieren sich hier die Billiglohn-, Massengüter- und Weltfabriken und somit die Filialen der transnational agierenden Konzerne und ihrer lokalen Partner. Über ihre Funktion und ihren Erfolg entscheiden die globalen Machtzentren. Dazu gehören u. a. Lanzhou in China, Kolkata und Karachi in Indien, Johannesburg und Kapstadt in Südafrika, Rio de Janeiro in Brasilien sowie Mexiko-Stadt und der Maquiladora-Streifen entlang der Nordgrenze Mexikos.
Global stagnierendes, regressives Milieu herrscht in der neuen Peripherie (Neuer Süden), wo die Mehrheit der Weltbevölkerung lebt. Sie ist weltwirtschaftlich nicht oder höchstens temporär und selektiv eingebunden. Die neue Peripherie ist im Norden wie im Süden anzutreffen und wird bildhaft auch als das „Meer der Armut“ bezeichnet, in dem es „Inseln des Reichtums“ gibt.
Global gefährdetes, vernichtetes Milieu findet sich in den Defektregionen: Hier werden durch klimatische Veränderungen im Rahmen der Globalisierung und aufgrund menschlichen Raubbaus weltweit Natur- und Lebensräume punkt- oder flächenhaft beeinträchtigt und zerstört.