Küstenformen
Überblick
Der europäische Kontinent wird von einer Südwest-Nordost-verlaufenden Hauptwasserscheide geteilt, die zum Teil entlang von Gebirgszügen, zum Teil aber auch im Tiefland verläuft. Große Teile Südwest-, West-, Mittel- und Nordeuropas entwässern zum Nordatlantischen Ozean und seinen Randmeeren, der äußerste Nordosten zum Nordpolarmeer. Der überwiegende Teil Südeuropas sowie Südost- und Osteuropa entwässern zu den Binnenmeeren im Süden des Kontinents (Mittelmeer, Schwarzes Meer, Kaspisches Meer). Nur wenige Kanäle verbinden die Flusssysteme in diesen beiden Großräumen:
• Verbindungen zwischen Rhein und Rhône,
• Rhein-Main-Donau-Kanal,
• Dnjepr-Bug-Kanal,
• Wolga-Ostsee-Kanalsystem.
Die Küsten im Mittelmeerraum sind zwar stark gegliedert, was zu langen Küstenlinien führt. Wegen ihres gebirgigen Hinterlandes sind die Einzugsgebiete der Flüsse hier aber vergleichsweise klein. Im Gegensatz dazu stehen Größe und Einzugsgebiete der Flüsse in den weiten Ebenen Osteuropas. Das Einzugsgebiet der Wolga, des längsten Flusses in Europa, ist rund viermal so groß wie Deutschland.
Gezeiten prägen die Küstenlandschaften am Nordatlantischen Ozean einschließlich seiner Randmeere (mit Ausnahme der Ostsee, die nur einen schmalen Zugang zum Ozean hat, der den Wasseraustausch begrenzt). Die höchsten Tidenhübe werden am Kanal zwischen Großbritannien und Frankreich erreicht (bis 12 m).
Küstenformen
Küsten lassen sich auf verschiedene Weise begrifflich beschreiben und voneinander abgrenzen. Eine allgemeine Klassifizierung nach der Art der dominierenden Prozesse bei der Küstenentstehung – Versinken, Zerstören, Aufbauen – enthält die Karte 90.2; Beispiele dazu sind jeweils in 90.1 abgebildet.
Glaziallandschaften und Flusstäler können versinken – durch Ansteigen des Meeresspiegels und / oder Absinken von Landmassen. Dadurch geraten sie unter denEinfluss des Meeres. Solche Küsten nennt man „versunkene Küsten“, bekanntestes Beispiel sind die Fjordküsten in Skandinavien. Riasküsten ähneln im Erscheinungsbild den Fjordküsten. Sie sind stark gegliedert und durch Überflutung von ehemaligen Flusstälern entstanden, die aber – anders als bei Fjordküsten – nicht glazial überformt wurden. Als längliche Meeresbuchten ragen sie weit landeinwärts, meist parallel zueinander. Typische Beispiele sind der Südwesten Irlands und der Süden der Insel Peloponnes in Griechenland. Eine regionale Form der Riasküsten in Dalmatien mit stärker küstenparallel verlaufenden Meeresarmen und –buchten wird als Canaleküste bezeichnet.
An einigen Küsten wird in großem Umfang Material abgetragen und durch Meeresströmungen wegtransportiert. Die Küstenlinie wird dadurch nach und nach in Richtung Land vorgeschoben, es geht Festlandsfläche verloren. Solche Küsten nennt man „zerstörte Küsten“. Typisch für diese Art Küsten sind steil aufragende Felsen in exponierter Stellung, direkt am Meer gelegen; ein bekanntes Beispiel sind die Kliffküsten im Ostseeraum.
Wenn an Küsten durch Meeresströmungen oder einmündende Flüsse mehr Lockersedimente abgelagert werden als abgetragen, entstehen neue Festlandsflächen. Dadurch entstehen „aufgebaute Küsten“, typische Beispiele sind Nehrungs- und Wattküsten. Auch Deltaküsten gehören zu dieser Gruppe. Bei ihnen werden Lockersedimente von einem Fluss aufgeschüttet; es entstehen als Grundriss markante dreiecksähnliche Formen. Deltalandschaften weisen einenhohen Anteil an Fließen, Flussarmen und stehenden Gewässern im Hinterland der Küsten auf. Typische Beispiele in Europa sind das Delta der Rhône (s. 129.3), des Po, der Donau (s. 90.3) und der Wolga.
Eine andere Art der Klassifizierung betont die Geofaktoren Relief und geologischer Bau. Sie ermöglicht eine differenzierte Unterscheidungvon Küstenformen im Nord- und Ostseeraum (s. 91.4,91.5). Zu den dort vertretenen Küstenformen Schärenküste, Fjordküste, Buchten- und Fördenküste, Kliffküste, Meeresbodenküste, Ausgleichsküste, Haff-/Nehrungsküste und Wattküste siehe die Anmerkungen zu den genannten Karten.