Mexiko-Stadt - Fragmentierung

Mittelamerika - Disparitäten
978-3-14-100900-2 | Seite 237 | Abb. 4

Überblick

Mexiko-Stadt ist der größte städtische Agglomerationsraum in Mittelamerika. In der Stadt selbst leben rund 9 Mio. Menschen, in der Stadt und ihrem Umland rund 21 Mio. Der Agglomerationsraum ist mit 7 866 Quadratkilometern knapp halb so groß wie Thüringen.

Auf den Trümmern des aztekischen Tenochtitlán erbaut, zählt Mexiko-Stadt heute zu den Megastädten der Erde. Die gravierenden Umweltprobleme, die sich aus der enormen Bevölkerungsballung ergeben, werden seit wenigen Jahrzehnten ganz gezielt und zum Teil auch erfolgreich bekämpft. Nicht minder groß sind in Mexiko-Stadt die sozialen Probleme, vor allem unter den Bewohnern der ausgedehnten Slums.

Relief und Klima

Mexiko-Stadt liegt in einem abflusslosen Hochtal der Kordilleren in einer Höhe von etwas über 2 200 Metern. Die umrahmenden Gebirgszüge mit ihren Vulkanen erheben sich an der Ostflanke über 5 000 Meter hoch (Ixtaccihuatl 5 286 Meter), im Süden in der Sierra del Ajusco bis knapp 4 000 Meter und im Westen in der Sierra las Cruces bis 3 193 Meter Höhe.

Die Kessellage ist ein strukturelles Problem der Megastadt. Sie äußert sich bei zunehmender Bevölkerungs-, Autoverkehrs- und Industrieverdichtung in nicht ausreichender Ventilation:

horizontal, indem die am Nordeingang des Hochtals freigesetzten Industrieemissionen mit der nordöstlichen Passatströmung in den Hochtalkessel hineingetrieben werden und nicht zurückfließen,

vertikal, indem der so gerichtete Luftaustausch durch die nicht seltenen Inversionswetterlagen behindert oder gar unmöglich gemacht wird.

Zur Zeit der Azteken war dies kein Problem, aber im emissionsreichen Hauptstadtmilieu der Gegenwart – mit Wärmeinseln, Abgasen von Kraftfahrzeugen und Industrie, Smog, Staub und Schmutzpartikeln in der Luft – wird dies schnell zu einer starken Belastung.

Mexiko-Stadt liegt randlich zu den Tropen. Der jahreszeitliche Wechsel umfasst eine Regenzeit im Sommer (Mai bis Mitte Oktober) und eine Trockenzeit in den Wintermonaten (Ende Oktober bis April). Niederschläge von durchschnittlich 710 Millimetern pro Jahr ermöglichen unter normalen Bedingungen eine perennierende Wasserführung der Flüsse und einen Regenfeldbau ohne künstliche Bewässerung. Die potenzielle Verdunstung ist mit 1 400 Millimetern pro Jahr sehr hoch.

Von jeher galten die Lebensbedingungen in dieser Region als einladend: die dank der Höhenlage relativ ausgeglichenen Temperaturen, die trocken-klare Luft, der Wechsel von fruchtbaren Ackerebenen und beeindruckenden schneebedeckten Sierren, nicht zuletzt das meist sonnige Wetter.

Expansion und Fragmentierung

In den Phasen mit besonders starkem Bevölkerungswachstum – allein zwischen 1950 und 1970 wuchs die Bevölkerung von Mexiko-Stadt (nicht Ballungsraum) von 3,1 Mio. auf 6,8 Mio. – entfiel der größte Teil des Bevölkerungsgewinns auf Binnenmigration. Ein hoher Anteil der Zugewanderten lebte als marginalisierte Bevölkerung entweder am Stadtrand in „Ciudades Proletarias“ wie der eigenständigen Stadt Nezahualcóyotl (2020: 1,1 Mio.) oder in „Ciudades Perdidas“ („verlorenen Städten“), die über das ganze Stadtgebiet verteilt liegen. Daraus resultieren starke soziale Spannungen.

Das historische Stadtzentrum wird heute zum einen touristisch genutzt, zum anderen als Dienstleistungsstandort (Büros, Einzelhandel). Zahlreiche öffentliche Einrichtungen wie der Nationalpalast (der Sitz der Regierung Mexikos) und das Parlament befinden sich dort oder in unmittelbarer Nachbarschaft. Sie zeigen exemplarisch die Hauptstadtfunktionen, die in der Innenstadt konzentriert sind. Deren wirtschaftliches Gegenstück ist das westlich anschließende moderne Stadtzentrum mit Büros, Dienstleistungsunternehmen und Unternehmenszentralen.

Im Westen und Süden schließen sich an das moderne Geschäftszentrum die Wohnviertel der Oberschicht an. Innerhalb der Wohnviertel der Oberschicht liegt die grüne Lunge von Mexiko-Stadt, der Bosque de Chapultepec (400 Hektar groß).

Jenseits der Wohnviertel der Oberschicht schließen sich rund um die Stadt die Wohnviertel der Mittelschicht an. Die Peripherie der Stadt ist von dezentral verteilten Marginalvierteln und Standorten sozialen Wohnungsbaus überzogen. Stadtentwicklungsprogramme sorgen einerseits für eine Konsolidierung solcher Viertel, was mit einer Verbesserung der Lebensbedingungen einhergeht. Andererseits entstehen aufgrund des hohen Zuzugs immer neue Marginalviertel. Die Stadt Nezahualcóyotl im Osten von Mexiko-Stadt wird von den Wohnvierteln der Unterschicht beherrscht. Die Stadt gilt als ärmste Millionenstadt Mexikos.

Die vormals klar definierte Gliederung in Wohnviertel der Oberschicht, Mittelschicht und Unterschicht hat heute in Mexiko-Stadt keinen Bestand mehr. Der Stadtraum der Gegenwart ist auf das Auto ausgerichtet. Verkehrs- und Einzelhandelsstrukturen sowie die zugangsbeschränkten Wohnkomplexe prägen sein Bild. Diese bewachten Wohnkomplexe (Barrios Cerrados) verteilen sich heute sowohl in den Vierteln der Oberschicht als auch in jenen der Mittelschicht. Hinsichtlich des Wohnens zeigen sich damit klar erkennbar Züge der fragmentierten Stadt.

Wirtschaft und Industrie

Den wirtschaftlichen Transformationsprozess von Mexiko-Stadt bestimmt gegenwärtig der tertiäre Sektor, in dem sich die Zahl der Beschäftigten mehr als verdoppelt hat. In der Hauptstadt sind repräsentative Leitungsfunktionen aus Industrie und Verwaltung konzentriert, insbesondere im nationalen Versorgungs- und Dienstleistungssektor (zum Beispiel Bankwesen, Börse und Telekommunikation).

Mexiko-Stadt ist eine der wichtigsten Industriestädte des Schwellenlandes Mexiko. Die Hauptstadt wird seit der Jahrtausendwende von „schmutzigen“ Industrien entlastet. Die Standorte werden in peripher gelegenen Industrieparks und -korridoren gebündelt. Ein industrieller Schwerpunkt ist der Raum Azcapotzalco – Cuautitlán im Norden, der verkehrsgünstig an Verkehrsachsen liegt und dadurch in enger Verbindung mit der Maquiladora-Zone an der Grenze zu den USA steht (s. 237.3).

Eine weitere Industriekonzentration ist die von Iztapalapa am Ostrand der Stadt, gelegen an der Grenze zu Nezahualcóyotl. Durch ihren Autobahnanschluss in Richtung Osten und Süden orientiert sie sich primär nach Puebla (mit einem Volkswagenwerk) und zur Golfküste (Veracruz, s. 240.1).

Aktuelle Probleme

Die Trinkwasserversorgung hat sich zu einem vordringlichen Problem entwickelt. Der natürliche Zufluss in das Hochtal (20 bis 25 m3/s) ist deutlich geringer als der Verbrauch (mehr als 60 m3/s). Das Defizit wird durch Wasserzuleitung aus benachbarten Hochtälern gedeckt. Als problematisch erweisen sich Dürren wie die im Jahr 2021, die rund 85 Prozent des Staatsgebietes betraf und den Wasserstand vieler Stauseen schrumpfen ließ.

Auch die Verbesserung der Luftqualität ist eine drängende Aufgabe. Industrie und Verkehr sind die Hauptverursacher der Luftbelastung. Inzwischen ist es gelungen, die extreme Zahl der Überschreitung von Grenzwerten zu verringern.

In den letzten Jahren wurden ökologische Gesichtspunkte stärker in die Entwicklungspolitik des Agglomerationsraums einbezogen. Ein neues Umweltministerium wurde geschaffen, in dem die bis dahin zersplitterten umweltbezogenen Kompetenzen gebündelt wurden. Das ökologisch sanierte Texcoco-Gebiet wurde als ökologisch schützenswert klassifiziert und strikt von künftiger Besiedlung ausgenommen.

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Diercke

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Mexiko-Stadt - Fragmentierung
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