Überblick
Die Stromgewinnung in Kernkraftwerken stellt für Japan traditionell eine wichtige Grundlage der Energieversorgung dar. Die Kraftwerke liegen wegen der Kühlwasserversorgung überwiegend direkt an den Küsten, mehrere Grossstandorte auch an der besonders durch Erdbeben und Tsunamis gefährdeten, zudem dicht besiedelten Pazifikküste. Zu ihnen ist das Kraftwerk Fukushima I zu zählen. Es war das älteste und eines der grössten Kernkraftwerke Japans.Kernkraftwerk Fukushima I
Die Grafik im Atlas zeigt die Lage von vier Reaktorblöcken (zehn Meter über dem Meeresspiegel gelegen) und die Kühlwasserversorgung. Zu den Funktionsgebäuden zählen unter anderem Abklingbecken, Brennstofflager, Abfalllager und Turbinen. Zwei weitere Reaktoren liegen rechts ausserhalb des Schemabilds, geringfügig höher als die Reaktoren 1 bis 4.Naturkatastrophe von 2011
Am 11. März 2011 waren drei der abgebildeten Reaktoren in Betrieb, der vierte war zu Wartungszwecken heruntergefahren worden. Im Abklingbecken des vierten Rektors befanden sich verbrauchte Brennelemente, die dort mit Wasser gekühlt wurden, um ihre Nachwärme zu regulieren. Auf dem Gelände des Kraftwerks befanden sich rund 14 300 Brennelemente (11 000 abgebrannt, 2 800 in den Reaktoren, 500 neu).
Das Erdbeben (s. 239.4) gegen 14:46 Uhr löste eine Schnellabschaltung der Reaktoren aus. Da die externe Stromversorgung der Anlagen durch das Erdbeben ausfiel, wurden die Notstromaggregate in Betrieb genommen. Zwar gab es Schäden als unmittelbare Folge des Erdbebens, zum Beispiel an Rohrleitungen und Kühlsystemen. Zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich aber noch keine Katastrophe ab, obwohl das Kraftwerk nur gegen deutlich schwächere Erdbebenbelastungen abgesichert war, als sie am 11. März auftraten. Um 14:48 Uhr waren die Reaktoren heruntergefahren. Wegen der extrem hohen, anhaltenden Nachwärme wurden sie weiterhin gekühlt, und zwar mit Meerwasser, die dafür nötigen elektrischen Pumpen wurden von den Notstromaggregaten mit Strom versorgt. Im beschädigten Block 1 des Kraftwerks wurde um 14:52 Uhr auf Notkühlung umgestellt.
Die eigentliche Katastrophe wurde erst gegen 15:35 Uhr ausgelöst, als ein zehn bis fünfzehn Meter hoher Tsunami das Kraftwerk traf, das dagegen nur unzureichend gesichert war. Die Schutzmauer gegen Tsunamis auf der Meerseite war nur 5,70 Meter hoch. Dies führte dazu, dass die Reaktoren 1 bis 4 bis zu fünf Meter hoch überschwemmt wurden. Innerhalb von wenigen Minuten fielen sowohl die Kühlwasserversorgung als auch die Notstromaggregate aus. In den Reaktorgebäuden stand das Wasser; elektrische Türen, Beleuchtung, Versorgungs- und Steuerungsanlagen und Kommunikationseinrichtungen waren zerstört oder nicht mehr nutzbar. Das Gelände war von Trümmern übersät, die Strassen beschädigt.
Mitentscheidend für den weiteren Verlauf der Katastrophe war, dass sich nur relativ wenige Mitarbeiter im Kraftwerk befanden und die Notfallpläne nur auf eine Havarie in einem einzigen Reaktor ausgelegt waren. Kurze Zeit später rief die Regierung den Notstand aus. Die Reaktoren begannen sich mangels ausreichender Kühlung zu erwärmen, auch die Temperatur in den Abklingbecken stieg an. Trotz verschiedener Gegenmassnahmen gelang es nicht, diese Entwicklung aufzuhalten und die Lage zu stabilisieren. Die Situation geriet ausser Kontrolle, in drei Reaktoren kam es zur Kernschmelze, dem grössten anzunehmenden Unfall in einem Kernkraftwerk (GAU). Grosse Teile des Reaktorgeländes werden stark radioaktiv verseucht. Eine Einordnung der Strahlenbelastung ist mithilfe des Wertes 100 000 Mikrosievert möglich.
Folgen
Aufgrund der Havarie kam es in der Umgebung zu starken Strahlenbelastungen, etwa doppelt so hoch wie beim Reaktorunfall von Tschernobyl 1986. Zum einen traten aus den beschädigten Gebäuden grosse Mengen kontaminierter Luft aus. Eine radioaktive Wolke breitet sich über Osthonshu aus. Am stärksten war die Belastung in nordwestlicher Richtung, wo die Stadt Fukushima liegt. Nur wenige Tage nach dem Unfall war auch der Grossraum Tokio mit rund 35 Mio. Menschen betroffen. Die Evakuierung der Wohnbevölkerung in der Umgebung des Kraftwerks begann gegen 19 Uhr am Tag der Katastrophe. In den nächsten Tagen wurde der Radius der Evakuierungszone zunächst auf 20 Kilometer, zwischenzeitlich auf 30 Kilometer um das Kraftwerk ausgeweitet. Betroffen waren 140 000 Menschen, die in diesem Gebiet lebten. Die japanische Regierung versuchte damit, die Strahlenbelastung der Menschen auf maximal 50 Millisievert pro Jahr zu begrenzen. Am 22. April wurde die 20-Kilometerzone zum Sperrgebiet erklärt. In den folgenden Monaten und Jahren wurde klar, dass Teile der Region Fukushima nicht dekontaminiert werden können und daher auch langfristig keine Wiederbesiedlung stattfinden wird.
Neben der Strahlenbelastung der Luft gerieten grosse Mengen an Radioaktivität ins Meer: durch Eintrag aus der Luft, mit kontaminiertem Wasser, das aus dem Reaktorgelände ins Meer zurückströmte, sowie mit Wasser aus den Versuchen zur Notkühlung, das über Drainagen, Schächte, Lecks und Risse aus den Reaktoren bzw. Abklingbecken ins Meer floss.