Überblick
Das Oberengadin ist eines der höchstgelegenen bewohnten Täler Europas. Hier herrscht ein kühles, aber sonniges Klima – die Natur sowie die ausgezeichnete Infrastruktur für den Tourismus machen dieses Tal zu einem beliebten Reiseziel. Die Anzahl der Übernachtungen zeigt, dass im Winterhalbjahr mehr Touristen ins Oberengadin reisen als im Sommer. Der Wintertourismus hat in diesem Gebiet Tradition: St. Moritz bezeichnet sich als „Geburtsort“ des alpinen Wintersports oder gleich des gesamten Wintertourismus. Während in St. Moritz, Pontresina und Sils im Engadin überwiegend Hotelübernachtungen registriert werden, sind in den anderen Gemeinden die Touristen auch zu einem grossen Teil in Ferienhäusern/-wohnungen oder auf Campingplätzen bzw. in Jugendherbergen untergebracht.Naturgefahren im Oberengadin
Die Bevölkerung des Oberengadins ist ausserdem permanent Naturgefahren ausgesetzt. In den letzten Jahren wurden daher Investitionen in die Infrastruktur nicht nur für den Tourismus getätigt, sondern auch mit grossem Aufwand für Schutzbauten. So entstanden in Pontresina zwei hohe Schutzwälle, welche die Bevölkerung vor Murgängen und Lawinen schützen sollen. In Samedan wurde der Fluss Flaz umgeleitet und im Zuge dieser Massnahme zu einem grossen Teil renaturiert. Damit soll die Gemeinde in Zukunft besser vor Hochwasser geschützt sein.
Die globale Erwärmung kann die Intensität von Naturrisiken verstärken. Heute ist zu beobachten, dass Niederschläge vermehrt in Form von Regen fallen, der Permafrostboden auftaut und viel mehr Schmelzwasser von den Gletschern abfliesst. Seit 1850 hat die Fläche der Gletscher im Berninagebiet um mehr als 30 % abgenommen. Zudem liegen im Oberengadin einige Skigebiete auf Permafrostboden. Bei zunehmender globaler Erwärmung besteht z. B. die Gefahr, dass sich die Masten der Transportanlagen verschieben.
Rückgang der Gletscher
In den schneearmen und besonders warmen Jahren 2022 und 2023 verloren die schweizerischen Gletscher 6 bzw. 4 % ihres Volumens, schrumpften also um ein Zehntel (vgl. auch Aletschgletscher, Karte 28.2, Rhônegletscher, Karte 29.3, und Zermatt, Karte 53.5). Dieser Rückgang entspricht dem Volumenverlust der Jahre 1960 bis 1990. Mit Blick auf den Morteratschgletscher am unteren Kartenrand sagte der Glaziologe Matthias Huss (ETH Zürich) im Mai 2023, die Häufung von sehr warmen Phasen habe dazu geführt, dass er „richtiggehend in sich zerfällt“. Alleine im Jahr 2003 mit einem ebenfalls besonders warmen Sommer, betrug die Längenänderung bereits - 76,5 Meter, in den vergangenen 145 Jahren (1878-2023) - 3 005 Meter.
Die heutige Gletscherausdehnung in der Karte geht auf das noch aktuelle Schweizer Gletscherinventar von 2016 zurück (siehe Webseite des Glacier Monitoring Switzerland / GLAMOS) und veranschaulicht die Lage und Grössenverhältnisse der heute noch vorhandenen Gletscher sowie deren Verlustflächen seit 1850. Es fällt auf, dass die grossen Eisströme im Gebiet der höchsten Erhebungen gehäuft vorkommen und in den nordwärts orientierten Tälern dank der strahlungsgeschützten Lage grösser sind als in den südexponierten Tälern. Weiter ist ersichtlich, dass die Gletscher gegen den Gebirgsrand hin bei abnehmenden Gipfelhöhen und damit kleiner werdenden potenziellen Nährgebietsflächen deutlich an Grösse verlieren und in den Nebentälern nur noch winzige Restflächen vorhanden sind.
Laut Klimaszenarien werden im sich südlich des Kartenausschnitts anschliessenden Berninagebiet in den nächsten Jahren fünf kleinere Gletscher verschwinden. Bei einem Temperaturanstieg von 1,4°C wären zwischen 2035 und 2075 bereits 30 oder fast die Hälfte der Gletscher geschmolzen. Gegen Ende des 21. Jahrhunderts wären 45 oder zwei Drittel der Gletscher verschwunden. Lediglich die höher gelegenen Teile der Morteratsch-, Roseg- und Tschiervagletscher würden auch bei einem weiteren Temperaturanstieg künftig bestehen.
Auftauen des Permafrosts
Permafrost ist eine weit verbreitete Erscheinung in den Alpen oberhalb 2000 m ü. M. und damit wichtiger Teil des alpinen Lebensraums. Als Permafrost bezeichnet man Untergrund, welcher während mindestens zwei Jahren Temperaturen unter 0°C aufweist. Im Zusammenhang mit der globalen Erwärmung taut der Permafrost auf, was das Risiko für Naturgefahren erhöht. Dauernd gefrorener Schutt wird durch wasserundurchlässiges Bodeneis vor Erosion durch Hochwasser und Rüfen (Murgänge) geschützt. Damit wird das Gefahrenpotenzial durch den Permafrost stark reduziert. Taut das Permafrosteis auf, werden grössere Schuttmengen dem Hochwasser ausgesetzt und es können sich Rüfen bilden. Zudem wird durch die zunehmende Nutzung von früher gemiedenen Gefahrenzonen das Schadenspotenzial vergrössert – und dies obwohl sich der Permafrost, durch seine ständige Bewegung, beispielsweise nicht als Baugrund eignet. Messungen haben ergeben, dass sich Klimaveränderungen im Permafrost widerspiegeln: Je wärmer die Aussentemperatur, desto höher steigt die Grenze der ganzjährig gefrorenen Böden respektive desto tiefer sinkt die Permafrostgrenze im Boden.Lawinen-Murgang-Sicherungsdamm Pontresina
Oberhalb von Pontresina, am Schafberg im Val Giandains, liegt ein Permafrostgebiet. Hier erschwerte kriechender Permafrost das Errichten von Schutzverbauungen; der Boden verschiebt sich ständig. Heute bietet der Schutzdamm Giandains den Einwohnern und Gästen von Pontresina den nötigen Schutz vor Lawinen- und Rüfenniedergängen. Mit dem Bau am Fusse des Berges steht die Schutzeinrichtung auf unproblematischem Grund und kann nicht abrutschen.
Technische Daten des Dammprojekts:
Maximale Dammhöhe (bergseits)13,5 m
Maximale Dammbreite67,0 m
Dammlängen2 x 230 m
Auffangvolumen Lawinen240 000 m3
Auffangvolumen Rüfe (Murgang)100 000 m3
Bauzeitca. 2 Jahre
Fertigstellung 2003
Hochwasserschutz-Projekt Samedan
In den 1950er Jahren wurde Samedan von einigen Überschwemmungen, die grosse Schäden anrichteten, heimgesucht. Die damals errichteten Dämme bewahrten Samedan während vieler Jahre vor weiteren Überflutungen. Später befürchtete man im Falle eines ausserordentlichen Hochwassers, dass der Flaz und der Inn über ihr Flussbett hinaus anwachsen und so neuerlich zu einer Gefahr werden könnten. Mit einem Hochwasserprojekt (Ausführung zwischen 2002 und 2005) konnte die Gemeinde Samedan den Hochwasserschutz verbessern. Gleichzeitig diente das Projekt der ökologischen Aufwertung sowie der naturnahen Umgestaltung der Flussläufe. Dazu wurden die in den 1950er Jahren errichteten Dämme abgerissen und das alte Flussbett des Flaz renaturiert. Der neue Flaz wurde ausserhalb des Dorfes durchgeleitet. Verschiedene Profiltypen bieten einen grösstmöglichen Schutz vor Hochwasser sowie einen ökologisch wertvollen Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Auch der kanalisierte Flusslauf des Inn wurde renaturiert.Massnahmen zur Klimasensibilisierung
Damit die Auswirkungen des Klimawandels vor Ort erlebt und verdeutlicht werden können, wurden im Oberengadin zu verschiedenen klimatischen Themen Lehr- und Erlebnislehrpfade errichtet.Tourismus und Verkehr im Oberengadin
Die Oberengadiner Dörfer liegen auf einer Höhe zwischen 1 700 und 1 850 m ü. M. Die Dorfkerne sind geprägt durch alte, gut erhaltene oder renovierte Engadinerhäuser (z. T. in Sgraffito-Technik verziert). Das weltbekannte St. Moritz ist vor allem im Winter ein Treffpunkt der „Reichen und Schönen“. Die Legende besagt, dass hier durch eine Wette des damaligen Direktors des Hotels Kulm mit englischen Touristen der Grundstein für den Wintertourismus in den Alpen gelegt wurde.
Für das Oberengadin ist vor allem die Wintersaison von Bedeutung (siehe Karte 50.1). Skifahrern und Snowboardern stehen 48 Liftanlagen und 293 gut präparierte Pistenkilometer in 7 Skigebieten zur Verfügung. Zudem ist das Tal für den Langlaufsport geeignet und lockt jeden März für den Engadin Ski-Marathon über 14 000 Sportler an. Für Wanderer bietet das Oberengadin im Sommer ein grosses Angebot an Wanderwegen. Die vier Oberengadiner Seen sind im Sommer und Winter eine Attraktion.
Entwicklung von Zweitwohnungen und Ferienwohnungen im Oberengadin
Ein grosses Problem ist der Zuwachs an Zweit- oder Ferienwohnungen bzw. -häusern, welche oft nur zu gewissen Zeiten im Jahr genutzt werden (oftmals nur während Hauptsaison im Sommer und Winter). Diese Wohnobjekte brauchen sehr viel Platz und benötigen Infrastruktur (Anschlüsse, Strasse, Strom, Wasser usw.), ebenso wie dauerhaft bewohnte Erstwohnimmobilien. Die enorme Nachfrage nach Zweit- bzw. Ferienwohnungen/-häusern führt zu einem hohen Druck auf den lokalen Wohnungsmarkt und somit zu erheblichen gesellschaftlichen Verwerfungen. Seit Jahrzehnten werden vor allem historische Engadinerhäuser von Einheimischen an auswärtige, finanzstarke Personen oder Gesellschaften verkauft, luxussaniert und danach zu Preisen weiterverkauft bzw. vermietet, die sich einheimische Familien oder Beschäftigte mit geringem Einkommen sowie im Tourismus tätige ausländische Mitbürger nicht leisten können (siehe auch Karte 42.2). Diese Immobilien führen aufgrund des saisonalen Leerstands zu einer schleichenden Entleerung besonders der Ortszentren. Die dauerhaft ortsansässige Wohnbevölkerung ist hingegen gezwungen an die Ortsränder und dort z. T. in geringwertigen, beengten Wohnraum auszuweichen oder das Oberengadin gänzlich verlassen. Dies hat unweigerlich Folgen für die soziale Infrastruktur (z. B. Kindergärten, Schulen, Büchereien, Kulturangebote) und den sozialen, gesellschaftlichen Zusammenhalt mit Blick auf Vereine, ehrenamtliches Engagement und kulturell-historische Traditionen etc. In einer Abstimmung im Herbst 2005 hat das Oberengadiner Stimmvolk einem Gesetz zugestimmt, welches den Zweitwohnungsbau für das gesamte Gebiet einschränken soll. Auch auf Bundesebene wurde 2012 eine Initiative zur Beschränkung des Zweitwohnungsbaus angenommen. Es wird sich noch zeigen müssen, welche langfristigen Auswirkungen die Umsetzung dieser Initiativen im Oberengadin haben wird. Aus der Berichterstattung der vergangenen Jahre ergibt sich diesbezüglich kein klares, eindeutiges Bild.Erreichbarkeit und öffentlicher Naherverkehr
Das Oberengadin erreicht man mit dem Auto über den Julierpass (ganzjährig geöffnet) oder den Albulapass (nur Juni bis November). Die Rhätische Bahn fährt von Chur durch den Albulatunnel (knapp 6 km) bis nach St. Moritz und über den Berninapass nach Poschiavo. Zugverbindungen bestehen zudem über das Unterengadin und den Vereinatunnel (19 km) direkt in das Prättigau und weiter in das Rheintal. Der öffentliche Verkehr im Oberengadin wird durch Engadin Bus, den Ortsbus St. Moritz, Postbus und die Rhätische Bahn betrieben, die zusammen den Tarifverbund engadin mobil bilden.St. Moritz
Das legendäre St. Moritz verdankt seine Bedeutung ursprünglich seinen Heilquellen, die seit gut 3 000 Jahren bekannt sind (siehe Ortsteil St. Moritz-Bad). Heute ist es die attraktive Mischung aus Natur, Kultur, Sport, Aktivität und Ruhe, die St. Moritz zu einem populären Reiseziel macht.
Der Kurort liegt auf 1 822 m ü. M. und hat mit einer ständigen Wohnbevölkerung von 4 926 (2023) fast 1 000 Personen weniger als 40 Jahre zuvor (- 16 %). Diese für alle Gemeinden im Oberengadin kennzeichnende Entwicklung ist u. a. auf eine Verdrängung von Wohnbevölkerung durch einen lukrativen Zweitwohnungsmarkt zurückzuführen, welcher dem Ferienort laut einer Immobilienstudie bereits 2011 einen Zweit- bzw. Ferienwohnungsanteil von 54 % aller damals 5 248 Wohneinheiten beschert hatte. Dieser Anteil dürfte in den vergangenen 15 Jahren gerade infolge der Corona-Pandemie nochmals deutlich gestiegen sein. Die über 780 000 Logiernächte in der Hotellerie des Jahres 2023 generierten sich hingegen aus fast 4 600 Hotelbetten in 30 Hotels, davon fünf 5-Sterne-Luxushotels. Ausserdem gibt es einen Campingplatz und zwei Jugendherbergen/Hostels.
St. Moritz ist fünffacher Austragungsort der alpinen Ski-WM (zuletzt 2017) und zweifacher Gastgeber von olympischen Winterspielen (1928 und 1948). Auf dem gefrorenen St. Moritzersee werden verschiedene Pferdesportveranstaltungen durchgeführt. Dank den optimalen Temperaturen kann auch die Bobbahn aus Natureis gebaut werden.
Silvaplana
Das Dorf mit 1 089 Einwohnern (2023) in den Ortsteilen Silvaplana, Surlej und Champfer liegt auf 1815 m ü. M. wenige Kilometer südlich von St. Moritz am Silvaplaner- und Champferersee. In Silvaplana stehen 6 Hotels, ein Hostel und knapp 200 Ferienwohnungen als Übernachtungsmöglichkeit zur Verfügung. Die 80 000 Logiernächte der Hotellerie im Jahr 2023 generierten sich aus fast 800 Hotelbetten. In Silvaplana beginnt bzw. endet die wichtigste, ganzjährig befahrbare Strassenverbindung aus dem Oberengadin Richtung restliches Graubünden und Kantonshauptort Chur, die Hauptstrasse 3 / Nationalstrasse 29 über den Julierpass (Passhöhe 2284 m ü. M.).Sils/Segl im Engadin
Das typische Engadiner Dorf mit seinen Ortsteilen Maria und Baselgia liegt auf 1809 m ü. M., zählt 708 Einwohner (2023) und verfügt über 14 Hotels und gut 200 Ferienwohnungen. Die rund 229 000 Logiernächte der Hotellerie im Jahr 2023 generierten sich aus 505 Hotelbetten.
Die Lage zwischen zwei einzigartigen Seen, zwei unverfälschte, autofreie Dorfkerne, unzählige Sport- und Erholungsmöglichkeiten sowie ein einmaliges kulturelles Angebot zeichnen den Ferienort aus. Direkt von Sils führt die Luftseilbahn Furtschellas ins Ski- und Snowboardgebiet mit über 60 km Pisten.
Von 1881 – 1888 lebte der Philosoph Friedrich Nietzsche in Sils. Heute können im berühmten Nietzsche-Haus Originalschriften, Briefe und Erstausgaben besichtigt werden.
Samedan
In Samedan (1 720 m ü. M.) leben 2 913 Einwohner (2023). Zur Beherbergung stehen 7 Hotels, etwa 530 Ferienwohnungen sowie zwei Campingplätze zur Verfügung. Die 45 000 Logiernächte der Hotellerie im Jahr 2023 generierten sich aus 290 Hotelbetten.
Vom Hausberg Muottas Muragl aus kann die wunderschöne Seenlandschaft des Oberengadins bestaunt werden. In Samedan befindet sich der höchstgelegene Flughafen Europas. Wegen den ausgezeichneten thermischen Bedingungen ist das Segelfliegen in dieser Region sehr beliebt. Mit dem Oberengadiner Spital, dem Güterumschlagszentrum der Rhätischen Bahn und einem grösseren Gewerbe- und Dienstleistungspark ist der Verkehrsknoten Samedan das wichtigste Wirtschafts- und Versorgungszentrum im Oberengadin.