Interview mit Anne Wizorek
Wie und warum haben Sie angefangen, sich zu engagieren?
So genau lässt sich das gar nicht sagen, denn mein Gerechtigkeitssinn war irgendwie schon immer da. Wenn mein großer Bruder Dinge machen durfte und ich nicht – mit der „Begründung“, dass ich ja ein Mädchen sei –, habe ich mich schon immer beschwert. Dann kam das Bloggen und ich habe meine politische Stimme gefunden und übers Schreiben einfach immer weiter entwickelt. Ein wichtiger Meilenstein für meinen Aktivismus war dann der Slutwalk Berlin im Jahr 2011, eine Demonstration gegen sexualisierte Gewalt und für sexuelle Selbstbestimmung, die ich mitorganisiert habe. Dort habe ich zum ersten Mal meinen Aktivismus auch auf die Straße gebracht. Mein Einsatz gegen digitale Gewalt und Hate Speech hat so richtig begonnen, als ich selbst davon betroffen war und merkte, dass es (damals) eigentlich keine Möglichkeiten gab, um Betroffenen wirklich zu helfen und insgesamt nur wenig Bewusstsein für das Problem.
Was motiviert Sie, ständig weiter zu machen?
Das ist an manchen Tagen gar nicht so leicht, weil es mitunter so aussehen kann, als würde sich nichts ändern. Dann hilft es mir aber, einen Blick in die Geschichte zu werfen und all die Sachen zu sehen, die auch irgendwann mal unmöglich schienen und heute ganz normal sind. Ob das nun das Frauenwahlrecht ist, die „Nein heißt nein“-Reform im Sexualstrafrecht oder die Ehe für alle – all das hat lange gedauert, aber konnte auch nur erreicht werden, weil Menschen immer wieder dafür gekämpft haben. Ansonsten hilft mir immer auch der Austausch mit Freundinnen und Freunden und gleichgesinnten Aktivistinnen und Aktivisten, um sich auch mal „auszukotzen“, aber eben nicht zu verzagen, sondern aktiv zu bleiben.
Was raten Sie Schülerinnen und Schülern, wenn sie sich gegen den Hass in den sozialen Medien einsetzen wollen?
Ich finde es sehr wichtig, sich in solchen Situationen einzumischen, gerade wenn eine einzelne Person auf diese Weise angegriffen wird. Dann sollte man immer zuerst die betroffene Person ansprechen und fragen, welche Form der Unterstützung sie sich gerade wünscht. Wichtig ist, dass sie nicht damit alleine bleiben muss und merkt, dass andere Menschen ihr zur Seite stehen. Konkrete Hilfe kriegt man außerdem bei Anlaufstellen wie Hate Aid. Geht es um Hate Speech gegen bestimmte Menschengruppen, die dann z. B. rassistisch, sexistisch oder gegen queere Menschen gerichtet ist, dann kann sich, je nach Situation, auch die Gegenrede mit korrekten Fakten lohnen. Was man immer bedenken sollte: die meisten Menschen kommentieren eher nicht auf Social Media, sondern schauen sich die Sachen im Stillen an. Wenn man also bei diskriminierenden Äußerungen dagegen hält, ist das auch ein sehr wichtiges Signal an diese still Mitlesenden, gerade wenn sie vielleicht auch selbst von genau diesen Diskriminierungen betroffen sind.
Sehr bekannt wurde #aufschrei. Wie können Schülerinnen und Schüler aus Ihrer Sicht Aufmerksamkeit für ihr Anliegen erreichen?
Sexualisierte Gewalt beruht im Kern auf ungerechten Machtstrukturen und Geschlechterklischees. Ein guter Startpunkt ist also, sich mit eben diesen Klischees zu befassen („Mädchen können kein Mathe“, „Jungs müssen immer stark sein“, „Rosa ist nur was für Mädchen“ und so weiter) und darüber aufzuklären, wie schädlich sie für uns alle sind, weil sie am Ende immer auch zu ungerechten Geschlechterverhältnissen führen. Schülerinnen und Schüler könnten sich außerdem dafür einsetzen, dass der Sexualaufklärungsunterricht stattfindet (viel zu oft fällt er gekürzten Stundenplänen zum Opfer) und in diesem nicht nur über Fortpflanzung und Verhütung gesprochen wird, sondern auch darüber, wie wir die Grenzen unseres Gegenübers achten, keinen Druck ausüben und in dem einfach ein offenes Gespräch über Sexualität, Pubertät und alle Fragen drumherum ermöglicht wird.
Was müsste aus Ihrer Sicht passieren, damit wir uns als Gesellschaft noch stärker für weniger Hass und ein besseres und friedlicheres Miteinander einsetzen?
Ich glaube, unsere Gesellschaft muss ehrlicher mit sich selbst sein und zugeben, dass wir nun einmal von Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Behindertenfeindlichkeit und eben all diesen Vorurteilen (und auch entsprechendem Hass) beeinflusst sind. Ob wir wollen oder nicht, aber wir haben das in unterschiedlichem Ausmaß verinnerlicht und es eben schwer, das alles wieder zu verlernen. Es ist deshalb wichtig, dass wir bei uns selbst als Einzelpersonen anfangen, diskriminierendes Verhalten zu hinterfragen und zu ändern und dann aber auch gemeinsam daran arbeiten, unsere gesellschaftlichen Strukturen anders zu gestalten, damit wirklich alle Menschen ein gutes Leben führen können und ihre Rechte respektiert werden.